Es war der erwartet lange Wahlabend mit knappen Ergebnissen. Das Duell Scholz-Laschet geht jetzt mit Sondierungsgesprächen weiter. Die machen aber wohl erst einmal Grüne und FDP untereinander aus.
Demoskopen konnten endlich ein wenig durchatmen, lagen sie diesmal doch nicht so sehr daneben, wie es bei zurückliegenden Wahlen der jüngsten Vergangenheit zu beobachten war. Aufatmen auch, weil das Ritual weitgehend ausblieb, dass sich alle unisono und unabhängig vom Ergebnis zum Sieger erklären.
Olaf Scholz gab sich trotz des am Schluss deutlichen Vorsprungs geradezu staatsmännisch zurückhaltend. Dass Armin Laschet den bissigen Ton der letzten Tage vor der Wahl nicht abschütteln konnte und sich praktisch wie der nächste Hausherr im Kanzleramt gab, ist den Verlusten der Union nicht wirklich gerecht geworden. Tags drauf gab es dafür auch heftige Kritik aus den eigenen Reihen. Annalena Baerbock und Robert Habeck räumten ein, ihr Wahlziel nicht erreicht zu haben. Christian Lindner hat zwar sein Ziel, im Schlussspurt noch an den Grünen vorbeizuziehen, nicht erreicht, aber die Liberalen mit zweistelligem Ergebnis entscheidend im Spiel gehalten. Alice Weidel mochte dagegen nicht so recht einordnen, dass der Aufstieg der AfD an seinen Grenzen angekommen ist. Für die Linke war es nach Worten von Gregor Gysi ein Desaster.
Damit sind die Erkenntnisse des Wahlabends allerdings auch schon ziemlich erschöpft. Dass es Klarheit über die künftige Bundesregierung geben würde, war ohnehin nicht ernsthaft erwartbar.
SPD hat sich zurückgemeldet
Olaf Scholz wurde nicht müde, auf das Signal der „Balken" hinzuweisen. Die sprechen in der Tat in der Gewinn- und Verlustrechnung eine ziemlich eindeutige Sprache. Mit Scholz hat sich nicht nur die SPD eindrucksvoll zurückgemeldet, fünf Punkte über dem letzten Ergebnis und zehn Punkte über dem lange wie eigemauert wirkenden 15-Prozent-Tal. Damit ist auch eine bislang eherne Regel außer Kraft gesetzt, wonach der Juniorpartner einer Großen Koalition am Schluss immer den Kürzeren zieht. Wobei das nur bedingt gilt, da die Regierungschefin nicht mehr zur Verfügung stand. Trotzdem ist der Wiederaufstieg der Sozialdemokraten eine erstaunliche Geschichte, die in dieser Form bislang einzigartig ist. Und noch dazu die besonders pikante und oft zitierte Note hat, dass die Partei den Wahlsieger nicht als Vorsitzenden haben wollte. Im Nachhinein dürfte die Arbeitsteilung erheblich mit zum Erfolg beigetragen haben. Man muss schon sehr lange zurückblicken, um die altehrwürdige Sozialdemokratie so geschlossen gesehen zu haben.
Die Union liefert das gegenteilige Bild. Kritiker sehen sie bereits auf einem Weg, den die SPD seinerzeit beschritten hat. Mit Armin Laschet hat die Union einen Absturz erlebt, den man allerdings nur zum Teil dem Spitzenkandidaten allein anheften kann. Der verzweifelte Schlussspurt mit einer „Richtungswahl" hat nicht verfangen, zumindest nicht wie erhofft zum Nachteil der SPD. Die Partei hat die Quittung dafür bekommen, dass der vor zweieinhalb Jahren einmal geplante Neuanfang sowohl inhaltlich als auch personell ins Leere gelaufen ist. Ob dieses Versäumnis jetzt in der Opposition nachgeholt werden muss und kann, ist trotzdem noch nicht endgültig ausgemacht.
Die eigentlichen Sondierungen werden jetzt erst einmal Grüne und FDP unter sich ausmachen. Das Doppelzünglein an der berühmten Waage entscheidet am Ende, ob der Wahlgewinner Scholz oder der verlustreiche Laschet ins Kanzleramt einziehen können.
Robert Habeck hatte schon früh am Wahlabend darauf hingewiesen, wie er es auch schon in seiner früheren landespolitischen Funktion gehalten hat: Erst mal mit den Juniorpartnern untereinander eine Einigung finden. Auch Christian Lindner hatte das schnell als Vorgehen angekündigt. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock wirkte dabei zunächst etwas irritiert.
Ohnehin stellt sich bei den Grünen die Frage nach der Verteilung der Rollen neu. Zum wiederholten Mal sind sie trotz günstiger Ausgangslage nicht zum gewünschten Erfolg gekommen. Dass sie mutig eine Kanzlerkandidatin ins Rennen geschickt haben, war im Grunde aufgrund der Gesamtentwicklung folgerichtig. Trotzdem müssen die Grünen wohl zur Kenntnis nehmen, dass sie vom Status einer Volkspartei (soweit man den Begriff heutzutage noch sinnvoll verwenden kann) ein gutes Stück entfernt sind. Fulminante Umfragewerte vor einigen Monaten haben überdeckt, dass die Partei einigen internen Klärungsbedarf hat, der weit über die Frage hinausgeht, ob Frau Baerbock die richtige Kandidatin war. Grüne in Ballungszentren ticken anders als in den Regionen, und ob die Grünen noch guten Gewissens eher auf der linken Seite im politischen Spektrum angesiedelt werden dürfen, darf mit gutem Grund bezweifelt werden.
Maximales Druckpotenzial
Dass bei den Verhandlungen weniger die Kandidatin, sondern der Co-Vorsitzende Habeck gefragt ist, liegt neben den internen Klärungsfragen auch schlicht an dessen praktischer Politik-Erfahrung, auf die es jetzt ankommen wird. Das umso mehr, weil ihm mit Christian Lindner ein alter Fuchs gegenübersitzt, der zudem nach dem Wahlergebnis seiner Liberalen sagen kann: alles richtig gemacht. Grüne und FDP sind in vielen Politikfeldern gar nicht so weit entfernt, in anderen Bereichen scheinen dagegen Welten dazwischenzuliegen. Beide wissen, dass sie maximales Druckpotenzial für die Verhandlungen aufbauen können, aber gleichzeitig auch, dass sie sich nicht vor der Verantwortung drücken können.
Mag sein, dass im ersten Moment Verhandlungen mit einem angeschlagenen Armin Laschet, der zudem jetzt noch die Merz‘ und Spahns in den eigenen Reihen und den selbsternannten „Kandidaten der Herzen" neben sich hat, einfacher scheinen. Aber so angeschlagen die Union auch ist: Wenn es um die Machtfrage geht, hat sie immer bewiesen, dass sie dabei alles andere erst mal zur Seite schieben kann. Machtfrage kann die Union. Scholz ist ein alter Politprofi, der zudem eine Partei hinter sich weiß, die den Eindruck macht, als können sie das Ergebnis noch gar nicht so recht fassen.
Verhandlungen, bei denen zwei Dreierbündnisse möglich sind, sind auf Bundesebene ein Novum. Auf Landesebene war schon mal zu besichtigen, welche Eigenleben das entwickeln kann. 2009 war im Saarland sowohl ein rot-rot-grünes Bündnis möglich als auch Jamaika. Dabei war allerdings mit den Grünen nur eine Partei das entscheidende Zünglein an der Waage. Jetzt sind es gleich zwei Parteien, die als Kanzlermacher auftreten können. Erfahrungen mit dieser Gemengelage gibt es auf Bundesebene bislang nicht. Welche Dynamik das in den kommenden Wochen entwickelt, wird spannend werden. Der Zeitplan bis Weihnachten ist ambitioniert, aber nach den Erfahrungen von vor vier Jahren dringend geboten.