Nach langer Pause veröffentlicht Natalie Imbruglia ihr sechstes Album: „Firebird". Nach dem Erfolg ihres Welthits „Torn" in den 90er-Jahren verkaufte die heute 46-Jährige über zehn Millionen Alben. Im Interview spricht sie über ihre Schreibblockade, das Muttersein und warum ihr der kommerzielle Erfolg egal ist.
Frau Imbruglia, herzlichen Glückwunsch zum neuen Album. Was bedeutet dieses Album für Sie persönlich?
Viele Dinge. Ich habe eine schwierige Zeit hinter mir, hatte unter anderem mit Schreibblockaden zu kämpfen. Mit diesem Album feiere ich, dass ich all das hinter mir gelassen habe und momentan einfach nur rundum glücklich bin und mich in der kreativsten Phase meines bisherigen Lebens befinde.
Wie haben Sie es geschafft, die Schreibblockade zu überwinden?
Es ist komisch, dass ich diese Blockade überhaupt hatte. Manchmal musste ich mir die Songs anhören, die ich am Anfang meiner Karriere geschrieben habe, nur um mir zu beweisen, wozu ich fähig bin. Als Kinder haben wir keine Angst, denken, dass wir unbesiegbar sind und nichts unmöglich ist. Und dann gibt es Rückschläge: Ein Junge macht mit dir Schluss, man kriegt den Job nicht, den man haben wollte, und diese Dinge kratzen dann am Selbstvertrauen. Ich glaube, bei jedem gibt es etwas, das einen dazu bringen kann, an sich selbst zu zweifeln, egal wie erfolgreich man war. So auch bei mir.
Was ist genau passiert?
Als mich meine Plattenfirma nach drei Jahren harter Arbeit fallen gelassen hat, hat das ziemlich an mir genagt. Aber Zeit, Geduld und vor allem Disziplin haben mir geholfen, das zu überwinden. Es gab viele Tränen, und ich habe Lieder geschrieben, auf die ich rückblickend nicht stolz bin. Aber irgendwann kam das Selbstvertrauen zurück. Ich möchte all denjenigen da draußen, die an einer kreativen Blockade leiden, Hoffnung geben, dass man niemals aufgeben darf.
Was hat Sie zu diesem Album motiviert?
Ich mag es nicht, wenn Dinge aus einem Gefühl der Angst heraus entstehen. Es hat mich unglaublich beschäftigt, dass ich etwas, was ich sehr lange getan hatte, nämlich das Songschreiben, plötzlich nicht mehr konnte und sogar Angst davor hatte. Aber ich bin niemand, der gern aufgibt. Das war also eine ziemliche Motivation für mich. Meine Fans hatten auch einen großen Anteil. Als ich vor vielen Jahren die Tour mit dem Cover-Album „Male" gemacht habe, haben mir meine Fans gesagt, dass sie wieder hören wollen, was ich zu sagen habe. Und das Singen auf der Bühne hat mir so viel Spaß gemacht. Es gibt nichts Schöneres, als die eigenen Geschichten zu singen. Das hat mich also zusätzlich bestärkt.
Welche Botschaften wollen Sie mit dem Album vermitteln?
Jeder Song hat seine eigene kleine Geschichte, dass ich mit irgendwas ins Reine komme oder etwas zelebriere. Es sind Offenbarungen über mich selbst. Wie zum Beispiel der Song „Nothing Missing": Ich habe zehn Jahre lang versucht, mich selbst in Ordnung zu bringen, in einer normalen Beziehung zu sein, zu einer bestimmten Zeit eine Familie zu gründen und so weiter. Und irgendwann habe ich gemerkt, dass eigentlich gar nichts fehlt. In „Build It Better" geht es darum, etwas auseinanderfallen zu lassen, um es danach wieder neu und besser aufzubauen. Jeder kann diese Botschaften von Stärke und Mut auf sich selbst übertragen.
Haben Sie Angst, dass das Album nicht den gewünschten Erfolg bringen könnte?
(lacht) Oh, das ist mir total egal. Ich bin inzwischen in einem Alter, wo mir kommerzieller Erfolg und Chart-Platzierungen nicht mehr wichtig sind. Das Leben ist zu kurz, um sich Gedanken darüber zu machen, was andere Leute denken. Tief in meinem Herzen weiß ich, dass ich mit diesem Album einige meiner besten Arbeiten gemacht habe. Bevor es überhaupt rauskam, war ich so zuversichtlich und selbstbewusst wie selten zuvor, und ich bin der festen Meinung, dass ich schon allein deshalb erfolgreich war, weil es mir so gut geht.
Was hat es mit dem „Firebird" auf sich, der namensgebend für das Album ist?
Der Feuervogel ist so was wie ein Symbol für den Phoenix, der aus der Asche stieg. Er symbolisiert, dass man seine Stärke aus der eigenen Verletzlichkeit ziehen kann. So ist es mir ergangen: Ich hatte viele Rückschläge und bin gestärkt zurückgekommen. Ich sehe mich selbst als diesen Feuervogel. Ich finde das ist ein wunderschönes Bild, sehr stark und gleichzeitig sehr verletzlich.
Wie hat sich Ihre Musik in den letzten 20 Jahren verändert?
Meine Stimme ist voller geworden. Ich glaube da spiegelt sich die Lebenserfahrung wider. Das gefällt mir sehr gut. Und ich habe auch wesentlich mehr Selbstvertrauen, was meinen Geschmack betrifft. Ich lege mich nicht gern auf ein Genre fest und die Lieder haben alle einen eigenen, teilweise sehr unterschiedlichen Stil. Ich weiß heute besser, was ich gut kann und was ich nicht so gut kann. Darum war ich auch in der Lage, dieses Album mitzuproduzieren.
Vor einigen Jahren haben Sie mal in einem Interview gesagt, das Musik-Business wäre sexistisch, weil Frauen schnell als „schwierig" abgestempelt werden. Wie stehen Sie heute dazu?
Ich habe definitiv damals mehr gelitten als heute. Keine Ahnung, ob das an der Zeit lag oder an meinem Alter. Ich wollte damals zum Beispiel für Fotoshootings keine Kleider anziehen. Und dann hieß es, ich wäre schwierig. Solche Dinge passieren mir heute nicht mehr – ich mache einfach das, was ich selbst will. Ich möchte gern daran glauben, dass sich die Dinge seit der #MeToo-Bewegung zum Positiven verändert haben. Man sollte einfach so sein, wie man ist und sich nicht den Vorstellungen anderer beugen.
Was hat sich noch verändert?
Eigentlich ist alles komplett anders. Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich richtig altmodisch bin, weil ich ein Album mache, was eine Geschichte erzählt mit einem Anfang, einem Mittelteil und einem Ende. Ich habe immer noch das Bild vor Augen, dass jemand sich das Booklet in die Hand nimmt und die Texte liest. Andere Musiker bringen dagegen jeden Monat eine neue Single raus. Aber ich finde auch, dass die Art und Weise, wie Künstler Geld verdienen, fairer sein sollte, zum Beispiel mit der Beteiligung am Streaming. Um ehrlich zu sein, kämpfe ich mit manchen Veränderungen ein bisschen, aber gleichzeitig weiß ich, dass es wichtig ist, diese Veränderungen anzunehmen.
Die sozialen Medien gewinnen eine immer größere Bedeutung für Musiker – wie ist Ihr Verhältnis zu diesen Medien?
Für aufstrebende junge Künstler ist es großartig, wie unmittelbar sie mit ihren Fans kommunizieren können. Aber es ist im Prinzip eine ganz eigene Karriere. Eigentlich müsste man sich klonen, um all den Anforderungen gerecht zu werden. Diesen Teil des Business finde ich ehrlich gesagt etwas anstrengend. Ich weiß gar nicht, wo ich in meinem Kalender noch Zeit dafür finden soll.
Das Album wurde während des Lockdowns letztes Jahr aufgenommen. Wie kann man sich den Prozess vorstellen?
Ich hatte mich hier auf dem Land in Oxfordshire abgekapselt, um Songs zu schreiben. Als dann der Lockdown kam, mussten wir irgendwie einen Weg finden, die Songs aufzunehmen. Neben meinem Haus steht so eine Art Scheune und da habe ich mir kurzerhand eine eigene kleine Gesangskabine gebaut. Wir haben morgens einen Chat gemacht und die Elemente durchgesprochen und dann haben alle Musiker zu Hause oder in ihren Studios ihre Teile aufgenommen und die Produzenten in London haben es zusammengefügt, und mir abends zum Anhören wieder zugeschickt. Es war einfach unglaublich. Und wenn ich zwischendurch eine kleine Umarmung brauchte, war mein kleiner Sohn direkt nebenan. (schmunzelt)
Sie sprechen sehr offen darüber, dass Sie Ihren zweijährigen Sohn mittels Samenspende und künstlicher Befruchtung gezeugt haben – warum diese Offenheit?
Ich teile eigentlich nicht so gern allzu private Dinge. Aber ich stehe nun mal in der Öffentlichkeit, und ich wollte es einfach von mir aus direkt ansprechen, um weitere Nachfragen zu verhindern. Wenn man zu privat wird, macht das alles nur noch schlimmer. Also habe ich ein Statement gemacht und konnte dann einen Punkt dahinter setzen. Ich rede gern darüber, wie schön es ist, Mutter zu sein, aber ich beschütze auch die Privatsphäre meines Sohnes. Es war schließlich nicht seine Entscheidung, einen berühmten Elternteil zu haben. Nachdem ich an die Öffentlichkeit gegangen war, haben mich sogar Frauen direkt angesprochen und bedankt, weil sie gesagt haben, dass es die Entscheidung für sie erleichtert hat. Das war zwar niemals meine Absicht, aber es ist schön zu wissen, dass ich anderen helfen konnte.
Ist die Elternschaft so, wie Sie es sich vorgestellt haben?
Diese Art der bedingungslosen Liebe ist schwer in Worte zu fassen. Es ist definitiv bei Weitem das Beste, was mir je passiert ist. Aber es ist auch ein Albtraum, alles unter einen Hut zu bringen. Zum Glück habe ich sehr viel Unterstützung. Als Mutter fühlt man sich oft schuldig, wenn man wieder arbeitet. Ich habe sehr viel Mitgefühl für all die Mütter und Väter da draußen, die arbeiten müssen und von ihren Kindern getrennt sind. Es ist schwer, aber man tut einfach das Beste, was man kann.
Was möchten Sie Ihrem Kind beibringen, welche Werte wollen Sie vermitteln?
Andersrum: Ich glaube Kinder sind da, um uns etwas beizubringen. Sie werden in einer Welt leben, die wir uns selbst als Kinder niemals hätten vorstellen können. Manche Dinge sind nicht so toll, aber manche sind besser. Wir sind dazu da, sie am Beginn ihres Lebens an die Hand zu nehmen, aber sie gehören uns nicht, und irgendwann müssen wir dann auch loslassen und sie ihren eigenen Weg finden lassen. Das ist bestimmt einer der schwersten Schritte für Eltern.
Demnächst finden wieder erste Konzerte statt. Wie fühlt sich das an?
Ich bin wahnsinnig aufgeregt und sehr nervös. Ich kann mich kaum noch an den letzten Auftritt erinnern, aber es ist bestimmt schon über zwei Jahre her, also vor dem Baby. Live nehmen die Stücke immer noch mal eine ganz andere Form an als auf dem Album.
Werden Sie auch nach Deutschland kommen?
Ich hoffe es sehr. Leider war ich bisher noch nicht so oft in Deutschland, aber jedes Mal, wenn ich da war, hatte ich großartige Erfahrungen, und die Fans waren sehr aufgeschlossen. Ich hoffe, dass dieses neue Album die Gelegenheit bietet, nach Deutschland zu kommen.
Sie haben in Ihrem Leben schon so viel erreicht und scheinen jetzt sehr zufrieden und im Reinen mit sich. Gibt es noch etwas, was Sie erreichen möchten?
Ja! Und eins der Dinge wäre, noch viel mehr zu reisen. Leider ist das momentan unmöglich. Ich liebe zwar meine Arbeit, aber ich genieße auch sehr gern mein Leben. Je älter ich werde, desto mehr weiß ich die kleinen Dinge im Leben zu schätzen. Ich verbringe zum Beispiel gern Zeit in der Natur.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Ich habe absolut keine Ahnung. Das ist eins der Dinge, die ich gelernt habe: Mach nicht zu viele Pläne. Ich lebe einfach im Moment. Natürlich habe ich Hoffnungen und Träume. Zum Beispiel möchte ich irgendwann mal ein Haus in Byron Bay (In der Nähe von Brisbane, Australien, Anm. d. Red.) haben. Das Land habe ich bereits gekauft, aber ich hatte noch keine Zeit das Haus zu bauen. Das soll irgendwann mal mein Rückzugsort werden. Ansonsten lebe ich im Moment, versuche glücklich zu sein und denke nicht zu weit in die Zukunft.
Und beruflich?
Ich arbeite seit über fünf Jahren an einer neuen Geschäftsidee abseits der Musik. Wenn es soweit ist, wird man definitiv davon hören. Aber ich habe keine Eile. Ich mache die Dinge lieber etwas langsamer, aber dafür gründlich. Ich bin eine ziemliche Perfektionistin. Ein anderes Ziel ist, nicht so lange für das nächste Album zu brauchen. Aber das habe ich auch schon bei den letzten drei Alben gesagt. (lacht)