Henri Nannen war einer der drei großen Gründungsväter der bundesdeutschen Nachkriegspublizistik und machte seinen „Stern" zum auflagenstärksten Magazin Europas. Nach seiner journalistischen Karriere machte er sich auch als Kunstmäzen einen Namen. Vor 25 Jahren starb der Publizist.
Auf der Gedenkfeier für den am 13. Oktober 1996 im Alter von 82 Jahren verstorbenen Henri Nannen war in der Hamburger St. Michaelis-Kirche am 4. November 1996 die gesamte hanseatische Prominenz zusammengekommen. Die journalistische Gilde wurde von „Spiegel"-Chef Rudolf Augstein angeführt, dem letzten Überlebenden aus dem Triumvirat großer bundesdeutscher Nachkriegspublizisten neben Axel Springer und Henri Nannen. Auch Altbundeskanzler Helmut Schmidt erwies Nannen die letzte Ehre und würdigte dessen Lebenswerk pointiert in einem Satz: „Der ‚Stern‘ ist von Anfang an und dann jahrzehntelang Henri Nannen gewesen – Henri Nannen war der ‚Stern‘."
Dass der schon mit seiner äußeren Statur und einem breiten Hans-Albers-Rücken beeindruckende Hüne Nannen, der in besten Zeiten bei einem Gardemaß von 1,89 Meter gut zwei Zentner auf die Waage gebracht hatte, ausgerechnet von einer Krankheit dahingerafft wurde, vor der er sich als geborener Hypochonder mit stark ausgeprägter Karzinophobie immer gefürchtet hatte, war letztlich Schicksal. Zwischen der Diagnose Magenkrebs und zwei Operationen bis zu seinem Tod lagen nur wenige Monate.
„Bauchgefühl für Themen, Trends und Träume"
Das Arbeiten beim „Stern" war für das Redaktionsteam zwischen 1949 und 1980 unter der strengen Knute des als eitel, leidenschaftlich, kampfeslustig und zuweilen auch rachsüchtig beschriebenen Chefredakteurs Henri Nannen alles andere als ein Zuckerschlecken. Er trieb seine Mitarbeiter regelmäßig an ihre Grenzen, wobei seine Wutausbrüche und Abkanzelungen gefürchtet waren. Unter Nannens Ägide war „die Luft bleihaltig, das Tempo stürmisch und der Ton grob" gewesen, sagte der Redakteur Claus Lutterbeck. „Wer ihm Paroli bot", so Lutterbeck, „wurde zwar gebissen, aber ernst genommen." Doch jeder ambitionierte Schreiberling wollte zum „Stern", weil die Bezahlung besonders in den goldenen Zeiten des Magazin-Journalismus in den 1960er- und 1970er-Jahren erstklassig war und „Stern"-Redakteure natürlich immer erster Klasse reisen durften.
Zudem konnten alle von dem Vollblutjournalisten Nannen, der Spontaneität und Perfektionismus als seine wesentlichen Charakterzüge bezeichnet hatte, noch vieles lernen, wobei vor allem sein untrüglicher Instinkt für Trends und die Geschichten hinter der eigentliche Geschichte gerühmt wurde. Nannen habe einfach ein beispielloses „Bauchgefühl für Themen, Trends und Träume" gehabt, wie es mal der „Zeit"-Herausgeber Theo Sommer auf den Punkt gebracht hatte. „Nie wieder ist mir in der journalistischen Zunft jemand begegnet", sagte Sommer, „der sich so meisterhaft auf das Schreiben, das Titel-Texten, die Bildauswahl oder auf das Rekrutieren und Motivieren eines oft schwierigen und heterogenen Redaktionsteams verstand." Nannen wurde daher von seinen Mitarbeitern gleichermaßen gehasst wie geliebt. Oder um ein bekanntes Bonmot des Mitstreiters Günter Dahl zu zitieren: „Oft wollten wir ihn ermorden, um dann an seiner Bahre zu weinen."
Probleme bereitete Nannen immer wieder seine journalistische Rolle in der NS-Zeit. Was sich bis hin zum legendären, von 20 Millionen Zuschauern verfolgten TV-Duell mit dem rechten Hardliner und Moderator des „ZDF-Magazins" Richard Löwenthal am 20. Dezember 1970 hochschaukelte. Letztlich war es dabei nur vordergründig um den sich schließlich als haltlos herausstellenden Vorwurf einer Beteiligung Nannens an Partisanen-Hinrichtungen im italienischen Bevilacqua gegangen. Die Attacken waren eigentlich mit dem Ziel der Diskreditierung des Magazin-Chefs mit Unterstützung der Axel Springer-Medien gegen die vom „Stern" publizistisch unterstützte sozialliberale Koalition und deren neue Ostpolitik gerichtet.
Manche Vorwürfe ließen aber sich nicht widerlegen, wobei Nannen mit seiner NS-Vergangenheit in der bundesrepublikanischen Nachkriegs-Publizistik bei Weitem kein Einzelfall war. Da es in der deutschen Presselandschaft ähnlich wie bei den Juristen keine Stunde null gab, musste man zum Aufbau einer neuen Medienkultur fast überall auf gelernte Kräfte zurückgreifen, die schon während der braunen Diktatur meinungsbildend gewesen waren. Auch wenn Nannen immer wieder beteuerte, niemals ein Nazi gewesen zu sein, so konnten ihm doch seine Mitarbeit beim Reichssender München beispielsweise mit einer Reportage zur Eröffnung der „Großen Deutschen Kunstausstellung 1937" nachgewiesen werden.
Ebenso bei Leni Riefenstahls filmischem Werk über die Berliner Olympischen Spiele mit einer im Studio nachgedrehten, gerade mal acht Sekunden langen und nur aus einem einzigen Satz bestehenden Szene, seiner mit reichlich NS-Terminologie aufgeladenen Reportagen als Kriegsberichterstatter, seinen Aktivitäten als Chef einer in Italien agierenden Propaganda-Einheit oder mit seiner aktiv betriebenen Ernennung zum Leutnant der Reserve.
Er machte „Stern" zur Goldgrube
Der von Nannen sorgsam zusammengebastelte Gründungsmythos des „Stern" sollte erst in den vergangenen Jahren infolge der Doktorarbeit des Medienhistorikers Tim Tolsdorff zerbröckelt werden. Titel, Logo, Idee und Konzept waren demnach keineswegs einem Geistesblitz von „Sir Henri", wie er schon in Kriegszeiten als bekennender Lebemann und Genießer genannt wurde, entsprungen. Vielmehr wurden sie von einem Nazi-Magazin „Der Stern" übernommen, das in den Jahren 1938/1939 mit einer Auflage von 750.000 Exemplaren dank des Schwerpunkts auf einem Promi-Bildjournalismus und unter Verzicht auf politische Hetze zugunsten der Propagierung einer glücklichen Volksgemeinschaft ein Publikumserfolg gewesen war. Die erste, in 130.000 Exemplaren gedruckte Ausgabe des Nannen-Magazins vom 1. August 1948, 16 Seiten dünn und für 40 Pfennig erhältlich, trug noch den Vorgängertitel „Der Stern", erst in der fünften Ausgabe wurde der Artikel weggelassen und 1959 die heute noch gebräuchliche Kleinschreibung „stern" eingeführt.
Da war das Wochenmagazin mitsamt Nannens Verlag längst in den Besitz des Hamburger Verlegers Gerd Bucerius und des Druckereibesitzers Richard Gruner übergegangen und hatte von der Gründerstadt Hannover über ein einjähriges Zwischenspiel in Duisburg in der Hansestadt Hamburg sein festes Zuhause gefunden. Letztlich konnte Bucerius seine Wochenzeitung „Die Zeit" nur durch die florierenden Gewinne aus dem „Stern" über Wasser halten, der im Frühjahr 1967 eine Rekordauflage von 1,93 Millionen Exemplaren vermelden und im Jahr 1990, als Nannen allerdings schon von Bord gegangen war, einen sagenhaften Anzeigenumsatz von 318 Millionen Mark netto erzielen konnte. Laut Schätzungen des Verlegers Hubert Burda hat der „Stern" unter Nannen seinen Besitzern umgerechnet rund zwei Milliarden Euro eingebracht.
Im Laufe der Jahre hatte Nannen das oft als thematische „Wundertüte" bezeichnete Konzept seines Magazins mit seiner Bilder-DNA Richtung Infotainment verändert, wobei neben dem verstärkten Einfließen von politischen Sujets vor allem der Aufbau eines Investigativ-Journalismus, mit dem Korruption und Missstände aufgedeckt wurden, Neuland war. Auch gesellschaftliche Tabus wie der Paragraf 218 wurden mit einer 1971 veröffentlichten Titelgeschichte „Wir haben abgetrieben" angepackt. Und auch die beginnende Drogenproblematik mit der Reportage über „Christiane F. und die Kinder vom Bahnhof Zoo" 1978 wurde nicht ausgespart. Die Verantwortung für das Desaster mit den Hitler-Tagebüchern 1983 konnte Nannen eigentlich nicht angelastet werden, da er seit 1980 nur noch als „Stern"-Herausgeber fungiert hatte und der gesamte Deal hinter seinem Rücken abgewickelt worden war. Dennoch übernahm er die Verantwortung und zog sich vom Journalismus komplett Richtung Kunst zurück. Unter Einsatz seines gesamten Privatvermögens in Höhe von 6,7 Millionen Mark und der Stiftung seiner hochkarätigen Expressionismus-Sammlung etablierte er gemeinsam mit seiner dritten Ehefrau Eske die im Oktober 1986 eröffnete Kunsthalle Emden, in die jährlich bis zu 100.000 Besucher strömen.
Kunsthalle als Vermächtnis
Damit setzte er seiner Heimatstadt, in der er am ersten Weihnachtstag des Jahres 1913 unter dem Namen Henri Franz Theodor Max Nannen als Spross eines späteren Polizeikommissars geboren worden war, ein kulturelles Denkmal. Nach dem Abitur auf einem humanistischen Gymnasium 1933 nahm er noch im gleichen Jahr das 1937 abgeschlossene Studium der Kunstgeschichte in München auf, wurde glühender Verehrer des Malers Emil Nolde und verdiente sich seinen Lebensunterhalt mit ersten journalistischen Tätigkeiten. Nach dem Krieg, der Trennung von seiner ersten Frau Monika, der Heirat der zweiten Partnerin Martha, erster leitender Positionen bei den „Hannoverschen Neuesten Nachrichten" und der „Hannoverschen Abendpost" sowie einer gescheiterten Kandidatur als FDP-Kandidat bei den niedersächsischen Landtagswahlen, wurde ihm 1948 von den britischen Besatzungsbehörden die Lizenz für ein Jugendmagazin namens „Zick-Zack" angeboten, aus dem er flugs den „Stern" machte.