Die Bequem-Klamotten vom Corona-Homeoffice werden diesen Winter durch lässige, weit geschnittene und wieder tief auf der Hüfte sitzende Jeanshosen abgelöst. Baggy und Low-Rise sind angesagt, in tief dunkelblauem Indigo.
In der Modewelt scheint derzeit die einhellige Meinung vorzuherrschen, dass Denim, vor allem in Gestalt der heiß geliebten Jeans, in der Wintersaison 2021/2022 wieder seinen bevorzugten Platz in der Alltagsgarderobe zurückerobern wird. Die meisten Damen weltweit hatten angeblich während der endlosen Lockdown-Monate im Homeoffice hauptsächlich bequeme Schlabberklamotten wie Tracksuits oder Yoga-Pants mit elastischem Bund getragen. Ob dem tatsächlich so war, sei mal dahingestellt. Jedenfalls wird das vermeintliche Faktum derzeit als wesentlicher Erklärungsansatz für einen neuen Jeans-Trend benutzt, wonach Skinny-Hosen diesen Winter und wohl auch darüber hinaus absolut out sein werden. Sie sollen durch weit geschnittene Teile, Stichwort baggy, ersetzt werden. Die Baggy Jeans wird gewissermaßen als zwangsläufige Fortsetzung des häuslichen BequemLooks oder als weiterer Meilenstein hin zu einem unkompliziert-lässigen Style deklariert.
Beispiele für weite Jeans gibt es in den aktuellen Designer-Kollektionen fraglos zuhauf. Wobei jedoch bislang kaum berücksichtigt wurde, dass die klassischen Denim-Spezialisten wie Levi’s, Mustang oder Wrangler offenbar noch keine große Lust zum Umschwenken auf den Baggy-Schnitt haben. Daher können sich die Damen mit Slim-Fit-Vorlieben auch weiterhin sozusagen an der Quelle eindecken. Oder sogar selbst diesen Winter nach einigem Stöbern in Designer-Kollektionen bei Labels wie Helmut Lang (High-rise mit hoher Taille), Molly Goddard, Alexandre Vauthier, Mother oder L’Agence (Cropped-Variante) fündig werden. Worauf allein die britische „Vogue" unter der Headline „Skinnies live on" hingewiesen hatte. Weil Totgesagte wie die Skinny Jeans, deren Verschwinden von der modischen Bildfläche nun schon seit einigen Jahren immer wieder prognostiziert wurde, manchmal umso länger leben.
Es ist schlichtweg zu einfach, sich unkritisch auf Autoritäten zu berufen, was man eigentlich schon im Philosophie-Grundkurs lernen müsste und wie die deutsche „Vogue" den Designer Marc Jacobs, Tiktok und die „Gen Z" als Sprachrohre für das Ende der Skinny-Hosen ins Feld zu führen. Nur weil der Designer auf seinem Instagram-Profil in ultra-weiten (Damen-)Balenciaga-Jeans posiert hatte, musste das nicht zwangsläufig die Schlussfolgerung eines Skinny-Jeans-Verschwindens auslösen. Aber trendbewusste Fashionistas werden nun einmal sicherlich diesen Winter auf die Baggy setzen, jenem der Figur nicht sonderlich schmeichelndem Relikt aus der Skater- und Hip-Hop-Szene der 90er-Jahre. Schon wegen der Vielfalt an Stylingmöglichkeiten, die die weite Hose bietet, von Rollkragenpullover oder Hoodie bis hin zu Stiefeletten mit Blockabsatz oder Sneakers als Kombi-Partner. Die Auswahl an aktuellen Designer-Baggy-Jeans ist riesig, einfach mal auf den Internetseiten von Labels wie Louis Vuitton, Petar Petrov, Eytys, Raey, Boyish oder Acne Studios vorbeischauen.
Ein weiteres Detail der Skater-Buxen, allerdings in der Variante aus den Nullerjahren, wurde diesen Winter als zusätzlicher Jeans-Trend aufgegriffen. Denn die Hosen sind nicht nur baggy geschnitten, sondern sollen auch wieder tief sitzend getragen werden. Wir sprechen also auch von einem Revival der tief sitzenden Hüftjeans, für die im Englischen die Bezeichnungen Low-Slung-Jeans oder Low-Rise-Jeans gebräuchlich sind. Auch das Adjektiv „slouchy", zu Deutsch „lässig", wird zur Beschreibung der Hosen mit ihren weiten Beinen oft verwendet. Spätestens nachdem Kendall Jenner die Hüftjeans auf dem Laufsteg von Jacquemus für die Wintersaison 2021 präsentiert hatte, wurde die Hose wieder zum modischen Gesprächsthema. Zumal sie im Streetstyle durch Bella Hadid schon geraume Zeit vorher wieder salonfähig gemacht worden war. Ob die Beine dabei besonders gerade, „straight", ausgestellt sind oder einen Schlag aufweisen, ist dann letztendlich Geschmackssache. Slip-Blitzer können dank des Baggy-Schnitts weitgehend vermieden werden, weil die Hosen weder auf den Hüftknochen noch an den Oberschenkeln knalleng anliegen. Das Magazin „Instyle" veröffentlichte eine Influencerinnen-Bilderreihe in tiefsitzenden Baggy-Jeans, von Caro Daur bis Anouk Yve. Auf der internationalen Webseite der „Vogue" wurden besonders prägnante Hüftjeans-Exemplare aus den aktuellen Designer-Kollektionen präsentiert, beispielsweise von Labels wie MSGM, Chanel, Christian Dior, Alberta Ferretti, Y-Project, Celine, Tom Ford (gebleachtes Denim in weiß-blauer Tie-Dye-Ausführung), Marques’Almeida (ebenfalls changierendes Bleaching), Brunello Cucinelli oder Balenciaga.
Besonders beliebt sind die sogenannten Destroyed Jeans
Verwunderlicherweise wurden keinerlei kritische Stimmen bezüglich Baggy- oder Low-Rise-Jeans laut, deren Suchanfragen bei Portalen wie Lyst inzwischen regelrecht in den Himmel geschossen sind. Dabei wirken die Exemplare weniger elegant. Und in anderen Bereichen hat die Mode diesen Winter ja bekanntlich wieder einen Schritt Richtung vornehm-glamourösem Wow-Effekt gemacht. Was ja durchaus auch in Sachen Denim möglich ist, wie es beispielsweise Chanel mit einer mit dem ikonischen Doppel-C-Monogramm als Muster übersäten Luxus-Hosen-Variante vorgemacht hat. Oder auch Miu Miu mit einer mit Kunstperlen verzierten Denim-Jacke. Ganni mit einer nietenbesetzten Straight-Leg-Jeans oder Sea mit einer mit Kunstperlen geschmückten Hose. Eine weitere luxuriöse Denim-Variante sind grafisch kunstvoll bedruckte Jeans, wie sie Marine Serre, Vivienne Westwood, Juliet Johnstone, Loewe oder Maximilian Davis in ihren aktuellen Kollektionen führen. Auch Denim in strahlendem Weiß kann für Aufmerksamkeit sorgen, egal ob es sich dabei um eine Hose wie bei The Row oder Re/Done oder um eine Jacke wie bei L’Autre Chose handelt. Von Leuchtfarben-Pieces in den Kollektionen von Paloma Wool, Marc Jacobs und Jacquemus oder einem stylischen Canadian Tuxedo von Victoria Beckham ganz zu schweigen. Die derzeit dank der Netflix-Serie „Bridgerton" gefragten Korsetts nicht zu vergessen, die Labels wie Ganni, Dion Lee, Marques’Almeida oder Safiyaa aus Denim-Material geschneidert haben.
Besonders auffällig ist, dass die Mehrzahl der eleganteren Denim-Pieces in einen tiefdunklen Blauton namens Indigo getaucht sind. Das wurde etwas vorschnell als die neue Denim-Farbe des Winters 2021/2022 bezeichnet, wo doch genügend Marken weiterhin den Acid-Wash-Look der 80er-Jahre präferieren. Dennoch ist der tiefblaue Indigo-Hosen-Anzug von Hermès mit mittigen Jeans-Bundfalten an Eleganz kaum zu übertreffen. Höchstens von den an der Vorderseite plissierten Hosen von Christian Dior, wozu die Models pelzige Bomberjacken trugen, von den ebenfalls an der Vorderseite Bundfalten aufweisenden Hosen von Zimmermann oder vom Suit von Carolina Herrera mit ausgestellten Hosenbeinen. Bei Celine gab es eine Culotte, die trotz weit schwingender Beine dank des Indigo-Tons sehr schick daherkam (wie überhaupt Hedi Slimane bei Celine auch den Jeansröcken diesen Winter die nötige Aufmerksamkeit in der Kollektion geschenkt hat). Marine Serre hat einen eleganten Mutter-Kind-Anzug-Einheitslook aus Indigo-Denim geschaffen. Molly Godard hat ihrer zeitlosen Indigo-Jeans durch Hochkrempeln einen besonderen Pfiff verliehen (und damit ebenso wie die Labels Rokh oder R13 eine Alternative zur Cropped-Länge vorgestellt). Völlig aus dem Rahmen fiel der Indigo-Denim-Anzug von Schiaparelli, weil bei ihm Vorder- und Rückseite vertauscht waren. Sprich, bei ihm waren die Goldknöpfe und Taschen auf dem Rücken angebracht. Wie immer frau so ein Teil ohne Hilfe anziehen soll. Weitere Jeans-Trend-Prognosen? Natürlich gibt es die. So sollen ausgefranste Hosen ausgedient haben und stattdessen die Destroyed- oder Distressed-Jeans wieder en vogue sein. Wie es beispielsweise Hedi Slimane von Celine bei der Baggy-Variante vorgemacht hat oder wie es auch Marken wie Ksubi bei einer High-Rise-Hose und Raey bei einer Boyfriend-Jeans gezeigt hatten. Ja, auch die lässigen Boyfriend-Jeans, die am Oberschenkel meist weit gehalten sind und am Beinende etwas schmaler zusammenlaufen, bleiben angesagt, zumindest wenn frau aktuellen Exemplaren von Saint Laurent, J Brand oder Maison Margiela Glauben schenken mag.
Ob der Grunge-Look der 90er-Jahre mit lässigen Oversize-Jeans-Jacken à la Kurt Cobain heuer wieder den Durchbruch schaffen wird, bleibt allerdings abzuwarten, auch wenn das amerikanische Label R13 entsprechende Pieces in seinem aktuellen Programm aufweist. Patchwork-Jeans waren in diesem Jahr eher die Ausnahme, auch wenn DSquared2 eine ansprechende Version vorgestellt hat. Straight-Leg-Jeans sind abseits der Trends mit ihren gerade geschnittenen Beinen längst ein zeitloser Klassiker und eine echte Alternative zu den Skinny Jeans. Wer auf einen mehr oder weniger stark ausgeprägten Beinschlag steht, hat auch diesen Winter wieder die Qual der Wahl zwischen Boot-Cut, Flared-Jeans oder der Schlaghose der 70er-Jahre.