Wurzeln für die künstlichen Unterschiede liegen in der Kolonialzeit
Was ist Alltagsrassismus? Und wer repräsentiert ihn? Etwa die ach so furchtbare, mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnete Astrid Lindgren und ihre Pippi Langstrumpf („Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt"), die Andrea Nahles als Arbeitsministerin ungeachtet des N-Wortes so gern zitierte? Oder ein hochbezahlter Sportdirektor und seine „Kameltreiber"? Liegt der Schlüssel im Schwarzfahren?
Aber nein! Das ist dann schon eher umgekehrter Antisemitismus, denn der Begriff stammt nachweislich aus dem Jiddischen. Eine verzeihliche Verwechslung, denn Rassismus im Alltag kommt häufig aus Unwissen und Gedankenlosigkeit. Das Ganze ist ein bitterernstes Thema und mit Scherz, Satire oder Ironie kaum zu bewältigen. Zumal die Last von Jahrhunderten daran hängt.
Ohne das Kolonialzeitalter wären die künstlichen Unterschiede zwischen Weiß, Schwarz, Gelb oder Rot wohl nie aufgekommen. Jetzt sind es die (alten) weißen Männer, die sich einst größenwahnsinnig über andere Farbschattierungen erhoben haben, die nun selbst in die Mühlen des Rassismus geraten und beschimpft werden. Ohnehin haben sich die Weißen nach dem Ende der Kolonialzeit auf dem afrikanischen Kontinent erst so richtig unbeliebt gemacht, sodass ihnen von Bamako bis Pretoria offen Antipathie entgegenschlägt.
Wohlgemerkt: Nach dem Ende der Kolonialzeit, die in Afrika 1961 mit der Ermordung des ersten frei gewählten Kongo-Premierministers Patrice Lumumba als Ära der Unabhängigkeit eingeleitet wurde. Jetzt erinnert nur noch ein hochprozentiger Cocktail an diesen unglücklichen schwarzen Politiker. Das wäre dann auch solch eine unaussprechliche, aus dem Sprachgebrauch zu streichende Bezeichnung für ein alkoholisches Getränk. Ebenso wie die Ägyptische Augenkrankheit oder die Siamesischen Zwillinge. Der Mongolismus ist als Diagnose sowieso schon lange verpönt. Nur Speisekarten kennen noch das, was heutzutage als Alltagsrassismus durch die Diskussionen geistert. Da wird mitunter sogar der Begriff „Asiatisches Essen" inkriminiert. „Kein Tisch für Rassismus!" lautet die kategorische Devise, die sich sogleich an die Black-Lives-Matter-Bewegung klammert.
Der Alltagsrassismus und die Berichterstattung darüber sind fraglos auch mit Fantastereien und Falschinformationen verbunden. Im deutschen Journalismus hieß das noch bis in die 50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts „getürkt". Jedoch hat der Duden schon lange vor der aktuellen Diskussion über Alltagsrassismus davon abgeraten, das Wort „getürkt" oder „einen Türken bauen" im öffentlichen Sprachgebrauch zu verwenden. Zweifelsohne ein besonnener Ratschlag von Sprachkennern, der offenbar Wirkung gezeigt hat. Denn spätestens seit Sigmund Freud wissen wir, dass Sensibilisierung sich leicht zur Hysterie steigert.
Wenn das geschieht, wird erfahrungsgemäß genau das Gegenteil bewirkt. Jede Übersteigerung und allzu häufige Erwähnung ruft jene auf den Plan, die sich in der Irrationalität sonnen und dann erst recht die Schar der vermeintlichen Rassisten verstärken.
Komplikationen über Komplikationen bei der kritischen Beschäftigung mit dem Wort „Indianerhäuptling" (gehören alle „Winnetou"-Filme in die Tonne?) oder mit dem leidigen N-Wort – wobei manch kundiger Sprachforscher sogar behauptet, die Inkriminierung des N-Wortes, das ja nichts anderes als „Schwarzer" bedeutet, beruhe auf einer Verwechslung mit dem amerikanischen Schimpfwort „Nigger". In Harriet Beecher Stowes Erzählung „Onkel Toms Hütte", die maßgeblich den US-Bürgerkrieg von 1861 zur Befreiung der Sklaven beeinflusste, sei das sehr plausibel nachzulesen.
Durch Appelle und internationale Aktionen für Toleranz und Respekt wird Rassismus – sei es im Alltag, sei es regierungsamtlich – kaum zu beseitigen sein. Zu tief sitzt wohl von Natur aus in den Genen die Skepsis gegenüber allem. Die einzige Hoffnung liegt offenkundig in der hierzulande beabsichtigten Abschaffung des Wortes „Rasse". Ohne Rasse kann es letztlich auch keinen Rassismus geben. So spät wie der Begriff „Rassismus" im 20. Jahrhundert auftauchte, so schnell könnte er somit im 21. Jahrhundert wieder aus dem Alltag verschwinden.