Union Berlin ist mit einem Erfolg in die Länderspielpause gegangen. Die kann Max Kruse ohne Stress genießen, denn für die Nationalmannschaft kommt er nicht mehr infrage.
Max Kruse verbringt viel Zeit am Handy, aber einen Anruf von Hansi Flick hat das Display noch nicht angezeigt. Und das wird sich sehr wahrscheinlich auch nicht mehr ändern. „Ich bin mir zu 99 Prozent sicher, dass ich keine Einladung mehr erhalte", sagte der 33-Jährige über seine Chancen auf eine Nominierung durch den neuen Bundestrainer. „Hansi Flick gehörte ja schon zum Trainerstab unter Jogi Löw, von daher ist seine Meinung wahrscheinlich genauso festgefahren wie damals bei Löw", vermutete Kruse.
Löw hatte den Angreifer im März 2016 aus der Nationalmannschaft aussortiert und ihm vorgeworfen, sich „zum wiederholten Male unprofessionell" verhalten zu haben. Vorausgegangen war ein nächtlicher Ausflug in einen Berliner Klub, der für Aufsehen gesorgt hatte. Kruse hatte spätestens danach den Ruf des Party-Löwen weg. Viele Leute sahen und sehen in ihm jemanden, der dem sportlichen Erfolg nicht alles unterordnet und daher sein enormes Talent ein wenig verschleudert.
2016 aus der Nationalelf aussortiert
„Es ist einfach meine Art und mein Typus, andere Sachen neben dem Fußball zu haben", rechtfertigte er sich in einem seiner höchst seltenen Interviews in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung": „Trotzdem weiß ich ganz genau, wann ich mich auf Fußball fokussieren muss, und dann bin ich auf den Punkt da. Das ist etwas, was nicht jeder Spieler kann." Und was noch viel weniger Spieler können: ein Spiel so lesen wie Kruse. Sein Traumpass beim 2:1-Sieg gegen den FSV Mainz 05 vor dem 1:1-Ausgleich durch Taiwo Awoniyi war wieder einmal außergewöhnlich. Der Nigerianer erzielte wenig später auch den 2:1-Endstand. „Es ist ein toller, ein hart umkämpfter Sieg. Was ich nach der Halbzeitpause von meiner Mannschaft gesehen habe, war wirklich stark", lobte Trainer Urs Fischer: „In den letzten 15, 20 Minuten brauchst du auch das nötige Wettkampfglück, um in Mainz zu gewinnen. Das hatten wir." Und Union brauchte dafür auch einen Kruse in Spiellaune. Kruse ist zwar der größte Name im Union-Kader, und das ein oder andere Privileg räumen die Verantwortlichen ihm auch ein – aber Starallüren legt der unangepasste Profi nicht an den Tag. Das liegt auch an einer Art Vereinbarung, die er und Fischer vor der Vertragsunterschrift im Sommer 2020 getätigt haben. „Wir haben über vieles ausführlich gesprochen, bevor ich mich für Union entschieden habe", verriet Kruse. Dabei sei es um die Rolle auf und neben dem Platz gegangen, aber auch um Verhaltensweisen und Erwartungen.
„Ich bin kein schwieriger Typ, ich mache keine Probleme. Man muss halt nur wissen, wie man mit mir umgeht", sagt Kruse, „wenn man das auf die Reihe kriegt, bin ich handzahm." Das dürfte sicher auch nicht die ganze Wahrheit sein, aber zumindest tanzt Kruse bei Union nicht aus der Reihe. Fischer findet im Umgang mit seinem Starspieler den richtigen Ton und auch die richtige Mischung zwischen kurzer und langer Leine. „Ich bin sicher kein herkömmlicher Typ oder Spieler", weiß Kruse, „aber ich gebe der Mannschaft ja auch einiges zurück."
Sportlich ist sein Transfer als absoluter Volltreffer zu bewerten. In bislang 32 Pflichtspielen für die Eisernen erzielte er 23 Scorerpunkte – das ist die Ausbeute eines absoluten Topstürmers. Doch Zahlen allein drücken nicht den Wert des Spielers für das Team aus. Aufgrund seiner Erfahrung und Technik können die Mitspieler Kruse auch in Bedrängnis anspielen, denn sie wissen: Er verliert den Ball (fast) nie. Außerdem agiert der Instinktfußballer auf dem Platz so unberechenbar, dass der Überraschungseffekt oft auf Seiten der Berliner ist. Der Raum zwischen den Ketten – dort fühlt sich Kruse wohl, dort ist er am gefährlichsten. „Ich liebe es, mich in Räumen aufzuhalten, die der Gegner nicht antizipiert", erklärt er: „Da kann ich meine Stärken am besten einbringen."