Vor Saisonbeginn haben wir die acht neuen Trainer in der Fußball-Bundesliga vorgestellt. Am heutigen Freitag sind sie genau 100 Tage im Amt. Nicht alle Erwartungen haben sich erfüllt. Zeit für eine erste Analyse.
Es war selbst für den überhitzten Trainer-Markt eine ungewöhnliche Situation: Acht und damit fast die Hälfte der 18 Vereine der Fußball-Bundesliga waren mit einem neuen Trainer in diese Saison gestartet. Und nicht nur das: Die ersten Sechs in der Abschlusstabelle der Vorsaison hatten – mal freiwillig, meist notgedrungen – ihren Trainer gewechselt. Und es stellte sich die Frage: Wirbelt dies die Kräfteverhältnisse in der Liga durcheinander? So extrem lässt es sich nach einem Fünftel der Saison wahrlich nicht festhalten. Es gibt einige kleinere und größere Überraschungen in der Tabelle. Sensations-Teams in die eine oder andere Richtung sucht man aber vergebens. Dennoch haben die acht neuen Trainer ihre Vereine schon geprägt – oder höchst schwierige Starts gehabt. Wir ziehen ein Zwischen-Fazit:
Julian Nagelsmann (FC Bayern München): Die Voraussetzungen schienen nicht leicht für das Trainer-Wunderkind. Auch wenn das beim FC Bayern stets Jammern auf hohem Niveau ist. Doch die schwierige Vorbereitung, der in der Breite doch kleine Kader, dazu die hohen Erwartungen nach den vielen Titeln von Vorgänger Hansi Flick und das Etikett als teuerster Trainer der Welt – das waren schon einige Bürden, die der erst 34 Jahre alte Julian Nagelsmann in seiner Anfangszeit in München stemmen musste. Doch es lässt sich festhalten, dass der neue Trainer bisher fast alles richtig gemacht hat. Er ist sportlich auf Kurs, er moderiert schwierige Dinge souverän weg, er hält Ersatzspieler bei Laune und entwickelt Jungstars wie Jamal Musiala erfolgreich weiter. Abgerechnet wird – beim FC Bayern mehr als sonst wo – am Schluss und ziemlich knallhart mit Blick auf die Ergebnisse. Doch es war alles andere als ein Fehlstart, den Nagelsmann beim FC Bayern hingelegt hat.
Jesse Marsch (RB Leipzig): Ganz anders Jesse Marsch als Nagelsmann-Nachfolger in Leipzig: Der US-Amerikaner blieb quasi im Startblock sitzen. Als der Vize-Meister, der eigentlich Jagd auf die Bayern mit dem Ex-Trainer und den Ex-Spielern Dayot Upamecano und Marcel Sabitzer machen wollte, nach fünf Spielen nur einen Sieg und drei Niederlagen verbuchte und in der Champions League ein 3:6 bei Manchester City kassiert hatte, wähnte der ein oder andere Marsch sogar schon auf einem wackligen Stuhl. Hansi Flick sah es komplett anders. „Der Trainer hat eine gute Idee", sagte der Bundestrainer: „Manchmal dauert es eben ein bisschen länger, bis es funktioniert." Das 6:0 gegen die Hertha schien ein Wendepunkt, es folgte aber ein 1:2 in Europa gegen Brügge. Und selbst, wenn RB nachhaltig die Kurve kriegen sollte: Für einen ernsthaften Angriff auf die Bayern könnte es schon zu viel verlorener Boden sein.
Marco Rose (Borussia Dortmund): Kaum ein Wechsel ging mit so viel Getöse über die Bühne. Nach der Verkündung seines Wechsels nach Dortmund stürzte Rose mit Gladbach ab, die Fans wendeten sich von ihm ab, und in Dortmund startete Platzhalter Edin Terzić eine Erfolgsserie. Gemessen daran hat sich alles ziemlich beruhigt um Rose. Aber in jeder Hinsicht. Der gebürtige Leipziger und einstige Klopp-Schüler lässt wie viele seiner Vorgänger oft begeisternden Fußball spielen. Wie seine Vorgänger hat er es aber auch noch nicht geschafft, dem Team die regelrechten Aussetzer-Spiele auszutreiben. Spektakulären Partien wie beim 4:3 in Leverkusen nach dreimaligem Rückstand stehen demnach schon Niederlagen in Freiburg und bei der von Pfiffen begleiteten Rückkehr nach Gladbach gegenüber. Wo es mit Rose und dem BVB hingeht, bleibt deshalb spannend.
Mark van Bommel (VfL Wolfsburg): Einen schlechteren Start kann man bei einem neuen Verein und als Trainer im deutschen Profi-Fußball nicht haben: Beim 3:1 im DFB-Pokal bei Viertligist Münster wechselte van Bommel unerlaubterweise einen sechsten Spieler ein, weil er dachte, das sei in der Verlängerung erlaubt (und weil ihn niemand daran hinderte). Der VfL wurde aus dem Pokal geworfen, und manch einer unkte schon vor dem Saisonstart, der Niederländer gehe schweren Zeiten entgegen. Doch dann startete van Bommel mit vier Siegen in der Bundesliga. Weil er nicht krampfhaft etwas neu machen wollte, sondern zunächst die defensive Stärke von Vorgänger Glasner perfektionierte. Wenn er nun noch die starke Offensive mit Weghorst, Nmecha, Waldschmidt oder Lukébakio ans Laufen kriegt, ist Wolfsburg fast alles zuzutrauen. Für den einstigen Mitspieler Mario Gomez ist der schnelle Erfolg des früheren „emotional leaders" des FC Bayern jedenfalls keine Überraschung. „Mark war der geborene Kapitän und ist dementsprechend auch ein geborener Trainer. Die Spieler müssen einfach begeistert von ihm sein", sagte er dem „Sportbuzzer".
Oliver Glasner (Eintracht Frankfurt): Glasner hatte die Wolfsburger in die Königsklasse geführt, doch wegen Spannungen mit Sportchef Jörg Schmadtke ging er von Bord und heuerte bei der Eintracht an. Und kam in ein Minenfeld. Nach dem Abgang seines Vorgängers Adi Hütter und von Sportchef Fredi Bobic war die Stimmung angespannt, viele Spieler wollten mit aller Macht weg. „Das war der Tropfen, der zu viel war für das Fass Eintracht Frankfurt", sagte Glasner Ende August. Der Start geriet denn auch mehr als holprig. Nach dem Pokal-Aus bei Drittligist Mannheim folgte ein 2:5 in Dortmund und dann sechs Unentschieden in Folge. Es war der schlechteste Start in der Vereinsgeschichte. „Wieder mal ein Rekord, den ich aufstelle", sagte Glasner sarkastisch. Nun aber der Lichtblick: Ausgerechnet gegen die Bayern gelang Frankfurt nun der 2:1-Sieg. Ein historisches Werk nach diesem traurigen Rekord.
Gerardo Seoane (Bayer Leverkusen): Leverkusens Sportchef und Ex-Weltmeister Rudi Völler hatte vor der Saison schon vollmundig angekündigt: „Seoane wird eine Bereicherung für die Bundesliga." Ähnlich wie bei Rose in Dortmund steht der Schweizer aber vor der Aufgabe, bei einer oft begeisternd spielenden Mannschaft den Offensivgeist hochzuhalten und es nach einigen vergeblichen Versuchen von Vorgängern mit defensiver Stabilität und Konstanz zu mixen. Obwohl er ausgerechnet das Duell gegen den BVB und Rose mit 3:4 verlor, gelang das erstaunlich schnell erstaunlich gut. „Von ihm bin ich ziemlich überrascht", urteilte Sky-Experte Lothar Matthäus: „Er hat im Eilverfahren die Liga verstanden und angenommen und Bayer Leverkusen eine richtig tolle Handschrift verpasst." Im Vorjahr war Bayer jedoch Anfang Dezember noch Tabellenführer. Seoanes große Bewährungsprobe kommt, wenn das erste Tief startet und er gegen die Geister der Vergangenheit ankämpfen muss.
Adi Hütter (Borussia Mönchengladbach): Der Abschied von der Eintracht verlief alles andere als geräuschlos, das Verpassen der einmaligen Chance auf die Champions League saß dem Club und dem scheidenden Trainer tief in den Knochen. In Gladbach schien der 7,5 Millionen Euro teure Hütter Aufbruchsstimmung zu erzeugen, am 1. Spieltag hatte die Borussia den FC Bayern am Rande einer Niederlage. Doch dann folgte ein tiefes Loch. Club, Mannschaft und auch Medien sind aber geduldig. Nach dem 1:0 gegen Dortmund und Vorgänger Rose schrieb der „Express": „Gewagt, gewonnen – Respekt, Adi Hütter!" und die „Rheinische Post" titelte: „Adi Hütter verdient Geduld."
Steffen Baumgart (1. FC Köln): Dass alleine ein Trainer einen Verein so elektrisiert, hat es in der Bundesliga vielleicht zuletzt bei Jürgen Klopp und Borussia Dortmund gegeben. Der „Klopp des FC" zu werden „wäre doch ein schönes Ziel" sagt denn auch Steffen Baumgart. Und für Sport1-Experte Stefan Effenberg ist er schon der „Mini-Kloppo". Baumgart hat seiner im Vorjahr erst in der Relegation geretteten Mannschaft, die durch die Sommer-Transfers auf dem Papier nicht besser geworden ist, einen kraftraubenden, aber aktiven Fußball und den Glauben an sich selbst eingeimpft. Und damit spielt die Mannschaft nicht nur erstaunlich attraktiv, sondern bisher auch erfolgreich. Er hat frustrierte Spieler wie Anthony Modeste zu alter Stärke geführt. Und ist selbst schon zum Kult geworden, seine Schiebermütze war schnell in allen FC-Shops ausverkauft. Gerade in Köln ist spannend, welche Halbwertzeit die Euphorie um Baumgart haben wird. Stand heute ist er unter allen neuen Trainern aber der ganz große Gewinner.