Der Tierschutzpartei geht es um mehr als nur um Tiere. Sie legt den Schwerpunkt auf den Natur- und Klimaschutz, während sich die Grünen verzetteln. Sie ist eine der Kleinparteien, die nach der Wahl in Berlin Politik mitgestalten.
Die Wähler hatten am 26. September die Qual der Wahl. Noch nie standen so viele Parteien zur Auswahl. Insgesamt traten 40 Parteien mit mindestens einer Landesliste an. Mit dabei waren viele Klein- und Kleinstparteien. Unter denen befanden sich auch neu gegründete Parteien wie etwa „dieBasis", das „Team Todenhöfer – Die Gerechtigkeitspartei", die „Partei für Kinder, Jugendliche und Familien – Lobbyisten für Kinder" oder die „Partei des Fortschritts". Kaum eine von ihnen hatte eine reele Chance, die Fünf-Prozent-Hürde zu knacken. Doch alle zusammen kamen auf deutlich mehr Stimmen als 2017 bei der vorherigen Bundestagswahl: von fünf auf 8,6 Prozent.
Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), der den Einzug in des Bundestag schaffte, ist allerdings ein Sonderfall: Als Vertreter der dänischen Minderheit und der nationalen Friesen ist er von der Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl befreit. Nur deshalb konnte er mit 55.330 Zweitstimmen und damit 0,1 Prozent einen Platz im Bundestag ergattern. Die Freien Wähler erhielten mit 2,4 Prozent die meisten Stimmen unter den „Sonstigen". Auf den Plätzen zwei und drei folgten die Tierschutzpartei und dieBasis. Und vier „Sonstige" kamen auf mehr als ein Prozent. Von daher lohnt sich schon ein Blick auf die kleinen Parteien als Seismograf einer sich wandelnden Gesellschaft.
Der Zuwachs, den die Tierschutzpartei verzeichnete, hat zwar weder gereicht, sie in den Bundestag noch in das Berliner Abgeordnetenhaus zu bringen. Doch sie konnte fast doppelt so viele Wähler wie 2017 bundesweit mobilisieren. Die Zustimmung stieg von 0,8 auf 1,5 Prozent bei 674.789 Stimmen. Damit hat sie es bundesweit auf den achten Platz geschafft. Im Saarland konnten die Tierschützer 2,8 und in Brandenburg 2,6 Prozent verbuchen.
Fast doppelt so viele Stimmen wie 2017
Auf der Ebene der Berliner Bezirke haben die Tierschützer durchaus politische Gestaltungsmöglichkeit gewonnen, und das vor allem in den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV), in denen die Sperrklausel bei nur drei Prozent liegt. In Treptow-Köpenick verbuchten sie 3,7 Prozent, in Spandau und Lichtenberg jeweils 4,5 und in Marzahn-Hellersdorf sogar fünf Prozent. Mit ihren drei Sitzen in der BVV bilden die Tierschützer jetzt eine Fraktion im Berliner Nordosten. Sie besteht aus Cornelia Schulz, Harald Gerhard Zentnern und Inka Seidel-Grothe. Letztere ist studierte Pädagogin und war bis vor wenigen Monaten noch Bundestagskandidatin bei Bündnis 90/ Die Grünen. Dann jedoch überwog die Enttäuschung darüber, in welche Richtung sich die Grünen entwickelten. So trat sie nach sechs Jahren aus, um in die Tierschutzpartei einzutreten. Nach ihrem Dafürhalten setzt sich die Kleinstpartei konsequenter für Umweltschutz ein.
„Man denkt immer bei der Tierschutzpartei, dass sie sich nur um Tiere kümmert. Wir sind keine Ein-Themen-Partei, wir haben erkannt, dass Tierschutz viel mehr ist", erläutert sie im Gespräch mit FORUM. Das Treffen findet in ihrem blühenden Garten in Berlin-Biesdorf statt, in dem übrigens auch freilaufende Hühner leben. Klar kümmere man sich um Tierversuche, um Tierexporte, um Massentierhaltung und Pelztierzucht. Doch Tierschutz habe auch „mit unserer Lebensqualität zu tun" und müsse „global gedacht" werden. „Wenn ich die Welt retten will, muss ich bei mir selbst und vor meiner Haustür anfangen. Da geht es um meinen Konsum, meine Ernährung, den Baum vor meiner Haustür, das Eichhörnchen, die Vögel, Insekten und vieles mehr."
Für die Biesdorferin hat die Tierschutzpartei im Vergleich zu den Grünen einen anderen Schwerpunkt. „Für uns ist Dreh- und Angelpunkt eines gesellschaftlichen Veränderungsprozesses der Natur- und Tierschutz." Denn die Natur sei auch Lebensraum der Menschen: „Für uns ist der Mensch Teil der Natur." Die Politik der Grünen stellt sich für sie „auf allen politischen Ebenen oft als nicht nachhaltig" dar. Ihrer Meinung nach stürzen sich die Grünen auf zu viele Themen und verzetteln sich dadurch. Klima- und Umweltschutz rückten zu oft an die zweite Stelle: „Sie haben zwar die Feuerwehr gerufen, warten jetzt aber ab und beruhigen die Menschen".
Nachhaltigkeitsgedanke in der Stadtplanung
Sie gibt ein Beispiel aus einem Straßenbauprojekt, bei dem aufgrund einer Entscheidung des CDU-Stadtrats 60 Bäume gefällt wurden. Das habe die grüne Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz nicht nur verhindert, sondern „sogar mitgetragen". „Autofahrer haben eine Klimaanlage, aber die Menschen auf der Straße nicht, ihre Klimaanlage sind die Bäume", erläutert die Umweltschützerin. Das ist deutlich zu spüren, wenn man im Hochsommer zuerst eine Straße mit den hohen Bäumen und großen Kronen entlangläuft und anschließend eine neu gebaute, asphaltierte Parallelstraße. „Es war ein deutlicher Unterschied zu spüren zwischen den schattigen Bäumen und der Asphalt-Straße." Es sei nachgewiesen, dass Baumalleen für eine Kühlung von bis zu zehn Grad sorgten. „Das Nachpflanzen kleinwüchsiger Bäume, die über Jahre künstlich bewässert werden müssen, um anzuwachsen, kann frühestens in 60 Jahren den alten Baumbestand ersetzen." Doch dieser Nachhaltigkeitsgedanke, so kritisiert sie, finde sich in der aktuellen Stadtplangestaltung kaum wieder. Dabei „profitieren die Menschen davon, wenn Bäume erhalten werden", so Inka Seidel-Grothe. „Sie sorgen für Sauerstoff, ein besseres Klima, Luftschneisen und für Lebensraum von Tieren und Artenvielfalt. Der Denkansatz des Tierschutzes beinhaltet all diese Aspekte. Nämlich: Mensch, Umwelt, Tierschutz."
Möglicherweise ist es dieser ganzheitliche Ansatz, weswegen diesmal mehr Menschen für die Kleinpartei gestimmt haben. Die Lokalpolitikerin, die seit mehr als 28 Jahren in Marzahn-Hellersdorf lebt, hat einen engen Draht zu den Menschen im Kiez. Unter denen, die die Tierschutzpartei wählen wollten, seien auch einige bisherige Nicht-Wähler dabei gewesen sowie „Menschen, die sich um Haustiere kümmern, aber auch jene, die von der grünen Politik enttäuscht sind." Als Fraktion in der BVV wollen die Berliner Umweltschützer jetzt Verbündete finden, mit denen, so Inka Seidel-Grothe, „wir auch als kleine Partei unserem Auftrag gerecht werden können: nämlich möglichst viel Umwelt- und Tierschutz umzusetzen." Dabei gehe es im Besonderen um den Erhalt jeglicher Art von Grünflächen: Stadtnatur, Parkanlagen, Kleingarten-Biotope, Innenhöfe von Wohnanlagen, aber auch Brachflächen und, damit verbunden, den Stopp jeder weiteren Versiegelung. „Diesen Auftrag, uns darum zu kümmern, haben wir von Bürgerinitiativen, aber auch von einzelnen Bürgern erhalten."