Die Frankfurter Buchmesse präsentiert sich wieder live und mit Publikum. Zwar ist noch nicht alles wie vor der Pandemie, aber die Branche hat sich mit Kanada ein attraktives Gastland an Bord geholt.
Dieses Jahr soll es klappen. Das Hygienekonzept steht, der Ticketverkauf läuft: Die Frankfurter Buchmesse öffnet wieder ihre Türen für das Publikum. Nach einer digitalen „Special Edition" als Notlösung im Jahr 2020 werden vom 20. bis 24. Oktober 2021 wieder Verleger, Autoren und zahlreiche interessierte Zuschauer die Möglichkeit haben, sich in den Messehallen über die Neuerscheinungen des Jahres und die Trends auf dem Buchmarkt auszutauschen und zu informieren. Mit dabei ist dieses Jahr auch wieder das Gastland Kanada, das nun im zweiten Anlauf auch mit einem Gastlandpavillon und angereisten Gästen seine Literatur präsentieren wird.
Größte Bücherschau weltweit
Warum schauen alle nach Frankfurt? Nach wie vor ist die Buchmesse, auf der traditionell die Herbst-Neuerscheinungen der Verlage präsentiert werden, nicht nur die wichtigste im deutschsprachigen Literaturmarkt – auch international steht sie an erster Stelle. Vor der Pandemie konnte sie eine Rekordzahl von 302.267 Besucher begrüßen und wartete mir 7.450 Aussteller auf. Das ist mehr als viermal so viel wie die London Book Fair bieten kann, die auf Platz zwei der weltweiten Buchmessen rangiert.
Wichtige Preisvergaben rahmen die Buchmessewoche ein: Am Montag wird, bevor es in den Messetrubel geht, in den Römerhallen der hoch dotierte Deutsche Buchpreis verliehen. In den sozialen Medien wie im Feuilleton gibt es bereits im Vorfeld viele Diskussionen über die Nominierungen der Jury, aber auch für den Buchhandel bedeutet der oder die Preisträgerin stets spürbare Impulse für den Absatz. Eine Preisträgerin steht bereits fest: Die simbabwische Autorin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga wird in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten, eine feierliche Zeremonie, mit der die Buchmessewoche traditionell endet.
Aber wie veranstaltet man eine Messe unter Pandemie-Bedingungen? Im Vorfeld machten bereits Gerüchte die Runde: Bücher, die nicht aus der Einschweißfolie genommen werden dürfen, Abwischen der Standmöbel im Minutentakt? Ende September wurde das Hygienekonzept langsam konkreter: Neben der klassischen 3G-Regelung, ohne die nichts geht, wird es nur Tagestickets geben, für das beim Erwerb die erforderlichen Kontaktnachverfolungsdaten hinterlegt werden. Masken sind Pflicht, solange keine Veranstaltung mit festem Sitzplatz besucht wird; eine verbesserte Beschilderung, Personenleitsysteme und die Lenkung von Besucherströmen sollen Menschenansammlungen verhindern, auch die Standflächen wurden erheblich vergrößert. Auf die beliebten informellen „Standpartys" muss aber leider verzichtet werden. Im Interview mit dem „Börsenblatt des Deutschen Buchhandels" fasst Messedirektor Jürgen Boos die Situation so zusammen: „Eine Messe wie 2019, mit über 300.000 Besuchern auf dem Messegelände, ist heute kaum vorstellbar. Aber die Situation in diesem Jahr ist anders als 2020: Dank der fortschreitenden Impfkampagnen ist im weltweiten Reiseverkehr mehr Normalität eingekehrt, sodass ich zuversichtlich bin, dass wir eine gute, internationale Messe hinbekommen. Unser Motto in diesem Jahr ist Re:connect – und ich freue mich wirklich sehr auf das Wiedersehen mit Kollegen aus der ganzen Welt. Stand heute haben sich Aussteller aus über 70 Ländern angemeldet, und knapp 200 Autorinnen und Autoren werden ihre Neuerscheinungen in Frankfurt präsentieren."
Wachsende Präsenz der indigenen Literatur
Und wie steht es um den Auftritt des Gastlands Kanada? Wie zuletzt 2019 bei Norwegen ist dafür die Gastlandhalle, das Forum 1, vorgesehen. Auf Nachfrage schildert Jennifer-Ann Weir, die stellvertretende Geschäftsführerin für die Organisation des Gastland-Auftritts von Kanada, den derzeitigen Plan so: Beim Programm, das ursprünglich für 2020 angedacht war, sollte der multimediale Aspekt stark in den Vordergrund treten. Geplant waren viele taktile Flächen, die auf Berührung hin audiovisuelle Inhalte aktivieren sollten. Hier musste, den Umständen entsprechend, umgedacht werden: Bewegungssensoren werden nun großflächige Videopanels aktivieren, auf denen kanadische Autoren sich den Besuchern in Lebensgröße vorstellen werden. Darüber hinaus sind, soweit es aufgrund von Reisebeschränkungen möglich war, als Teil der kanadischen Delegation Autorinnen und Autoren wie Dany Laferrière oder Kim Thúy persönlich in Frankfurt vor Ort. „Singular Plurality" – so lautet das Motto des Gastlandauftritts und unterstreicht damit das gesamte literarische Schaffen in Kanada, das französisch- und englischsprachige Autoren gleichermaßen umfasst, wie eine immer größer und diverse werdende indigene Community, die nun schon seit mehreren Generationen ihre eigene Stimme immer selbstbewusster erhebt.
Zur letzteren, vielleicht interessantesten Abteilung der aktuellen kanadischen Literatur zählen etwa der Autor und Journalist Waubgeshig Rice aus der Wasauksing First Nation und der Autor, Dichter, Performer und Visual-Arts-Künstler Louis-Karl Picard-Sioui. In Waubgeshig Rices Roman „Mond des verharschten Schnees" (Wagenbach Verlag), wird eine Gruppe von Familien der Anishinaabe in ihrem Reservat im nördlichsten Zipfel Kanadas mitten im Winter von einem jähen Stromausfall überrascht, der das Zusammenleben auf die Probe stellt. Eine überzeugende Parabel, wie der WDR befand, und „ein faszinierendes, nachdenkliches Buch, das die Frage nach den Schwächen unserer Zivilisation neu stellt." Louis-Karl Picard-Siouis Storys aus Kichike unter dem Titel „Der große Absturz" (Secession Verlag) schlagen dagegen einen raueren Ton an: Alkoholismus, Monotonie und die ewige Herabsetzung durch die Weißen haben die Bewohner von Kichike restlos desillusioniert. Die harte Sprache und der klare Tonfall machen beim Lesen die Wut spürbar, die sich auch gegen die eigene Passivität richtet: „Keine Träume, keine Hoffnungen, gefangen in bescheuerten Kleinkriegen, umzingelt von rassistischen Frenchies, regiert von Möchtegernmafiosi von Kanadas Gnaden. Doppelt gearscht ins Leben starten, das wünsche ich keinem."
Es ist einiges zu entdecken in Kanada – und da auch in diesem Jahr wieder nur ein Bruchteil der vielfältigen Literaturlandschaft live vor Ort zu besichtigen ist, gibt es neben einigen virtuellen und hybriden Veranstaltungen auf der Messe selbst auch schon jetzt Formate wie „Québec im Gepäck", mit der sich die frankophone Region Kanadas Lesern vorstellt, darunter Michel Jean mit seinem Roman „Kukum" (Wieser Verlag), Edem Awumey mit „Die schmutzigen Füße" (Culturbooks) und Catherine Mavrikakis mit „Der Himmel über Bay City" (Secession Verlag).
Wie früher wird es noch nicht wieder sein, dafür ist in Frankfurt die Pandemie auch dieses Jahr noch zu präsent. Aber ein gewisses Aufatmen geht durch die Branche. Und der Blick nach Kanada macht Lust auf einen vielseitigen Bücherherbst.