Daniel Osorio, Gründer und Leiter des Festivals „eviMus – Saarbrücker Tage für elektroakustische und visuelle Musik" organisiert vom 5. bis 7. November dessen achte Ausgabe.
Herr Osorio, was macht gute Musik für Sie aus?
Gute Musik ist immer eine mutige Musik, weil sie Grenzen öffnet. Mutige Musik kann die Neugierde des Menschen wecken. Die offene Musik kann die Grenzen des Geschmacks verschieben, um eine Wahrnehmung für das Neue vorzubereiten. Beim genauen Hinhören eröffnet sich die Möglichkeit, im Fremden eine ganz neue Form der Poesie zu entdecken.
Wie kam es dazu, dass Sie ein Festival organisieren?
Saarbrücken ist meine Heimat. Hier hat mir mein Kompositionsdozent an der Hochschule für Musik, Theo Brandmüller, nicht nur Komposition und Musik beigebracht, sondern die Bedeutung des Aufführens der Musik vor einem interessierten Publikum. Als er starb, stand plötzlich die gesamte Szene der Neuen Musik still. Seine Schüler blieben im Nichts. Gleichzeitig sind damals auch ältere Festivals für Neue Musik im Saarland verschwunden. Aus dieser Trauer und dem Gefühl des Verlassenseins entstand die Idee, etwas dagegen zu unternehmen. Das ist der Ursprung der „Saarbrücker Tage für elektroakustische und visuelle Musik".
Was genau hat man sich darunter vorzustellen?
Ganz am Anfang war unsere Idee, die kompositorische Arbeit von Künstlern zu präsentieren, die neue, experimentelle Musik machen. Wir, das Festivalteam und ich, wollten damals den Künstlern nur eine Bühne und bestimmte technische Möglichkeiten bieten, ihre Musik aufzuführen. Doch mit der Zeit hat sich vieles weiterentwickelt. Der Fokus liegt nun immer mehr auf künstlerischen Arbeiten, die Visuelles mit einbeziehen. Arbeiten, die verschiedene Künste und Formsprachen miteinander verbinden. Über diese Projekte haben wir und auch das Publikum sehr viel gelernt. Und das ist eindeutig auch die Tendenz, die ich erkenne: Die visuelle und die musikalische Arbeit sind oft nicht mehr zu trennen. Die Komponisten träumen und stellen sich neue Klangwelten durch das Visuelle vor, und die visuellen Künstler hören die Geräusche und Klänge ihrer Bilder. Wir haben gemerkt, dass nicht nur die Musik verändert wird, sondern auch diejenigen, die sie komponieren. Oft sind die Komponisten auch Videokünstler. Die Technologie ist heutzutage sehr zugänglich. Wir brauchen nicht mehr ein großes Klangstudio, wie es früher bei Stockhausen, Nono oder Boulez der Fall war. Das ist die Demokratisierung der digitalen Medien. So können wir von einer „visuellen Musik" sprechen. Die Komponistinnen und Komponisten, die auch die visuelle Darstellung „komponieren", verstehen die Musik nicht mehr im traditionellen Sinne: nicht nur eine klangliche Erzeugung, sondern eine Musik, die gesehen werden kann.
Wie reagiert das Publikum?
Sehr unterschiedlich. Aber die Konzerte kommen immer gut an, sobald die Musiker verstehen, dass im Publikum nicht nur Fachleute sitzen. Wenn die Musiker versuchen, ihre Musik dem Publikum näher zu bringen, durch Beschreibungen der Musik, durch das sich Bewegen im Publikumsraum, durch besondere musikalische Werke – denn hier gibt es auch in der neuen Musik große qualitative Unterschiede –, dann kann man die ehrliche Begeisterung der Zuhörer spüren. Das Visuelle spielt zurzeit in unserem Festival eine große Rolle, insbesondere wenn alles in Echtzeit passiert, wenn nicht alles unbedingt vorprogrammiert ist.
Teilweise wurden von Ihnen Künstler für die kommende Ausgabe des Festivals eingeladen, teilweise konnten sich interessierte Künstler bewerben. Wieso haben Sie diesen Weg der Programmgestaltung gewählt? Sie könnten auch das komplette Programm nach eigenem Gusto kuratieren.
Geschmack spielt keine Rolle für die Auswahl der Werke aus der Ausschreibung. Wichtig ist, dass viele Tendenzen im Festival vertreten sind. Die Ausschreibung, der „Call for Works", ist eine sehr gewöhnliche, von Festivals überall auf der Welt eingesetzte Form, um neue Werke internationaler junger Komponisten und Künstler zu fördern. Unter den Einsendungen wählen wir einige Stücke aus, die auf dem Festival im „Konzert der neuen Generation" aufgeführt werden.
Waren Sie mit den Einsendungen in diesem Jahr zufrieden – qualitativ und quantitativ? Unter welchen Gesichtspunkten werden die Künstler ausgewählt?
Wir haben gemerkt, dass dieses Jahr die Werke stark geprägt von der Pandemie sind. Man spürt, wie die Künstler in dieser Zeit mit vielen Fragen der Existenz und der Einsamkeit konfrontiert waren. Oder dass diese Werke viel intensiver sind. Wichtig ist uns, dass viele Tendenzen im Festival vertreten sind. Leider können wir aufgrund der zeitlichen Begrenzung nicht alle Werke auswählen.
Auf welche Künstler freuen Sie sich in diesem Jahr besonders?
Für die 8. Ausgabe des Festivals wurde das neu gegründete Ensemble „Die Cronopien" mit ihrem sehr interessanten Projekt „Im Weltenklang der Gegenwart" eingeladen. Dieses Projekt beschäftigt sich mit der Kreation zeitgenössischer Musik für Elektronik und außereuropäische Instrumente, die nicht der traditionellen Besetzung eines klassischen Orchesters angehören. Wir haben bei den insgesamt vier Komponisten und Komponistinnen, die daran interessiert sind, aus diversen musikalischen und kulturellen Elementen neue Klänge und Ästhetiken zu erschaffen, jeweils ein Werk für dieses besondere Ensemble in Auftrag gegeben. Alle Kompositionen, geschrieben für das Ensemble und Elektronik, werden in einem gemeinsamen Konzert im Rahmen des Festivals uraufgeführt. Zudem wird das bekannte „Ensemble Flashback" aus Frankreich ein beeindruckendes Programm mit Live-Elektronik und spektakulären visuellen Projektionen darbieten. Und natürlich ist die freie Szene Saarbrückens auch dabei: Sänger Ralf Peter und Pianist Thomas Layes werden ein sehr spannendes neues Programm mit Musik für Gesang, Klavier und Elektronik vorstellen. Die Klangregie wird von Olivia Artner übernommen.