Westlich von Neapel können Touristen eher unbekannte Sehenswürdigkeiten entdecken, wie einen Supervulkan, den man nicht als solchen erkennt, und verschiedene spannende Überreste der römischen Kultur.
Die Piscina mirabilis müsste weltberühmt sein", sagt Maria Caputi, „aber wer hat je von ihr gehört?" Doch dank Marias Hilfe findet man den Weg zu der magischen Unterwelt in Bacoli, westlich von Neapel.
Was für eine Entdeckung! Wasser tropft von der Decke, es ist kühl, Moos sprießt, rote und grüne Flechten schimmern im Dämmerlicht an den 48 Säulen. Die Piscina mirabilis war das größte unterirdische Wasserreservoir der Römer. Der Dichter Petrarca gab dem Reservoir seinen poetischen Namen; um 30 v. Chr. gebaut, versorgte es die römische Flotte mit Trinkwasser. Es ist 70 Meter lang, gut 25 Meter breit und 15 Meter hoch, fasste 12.600 Kubikmeter. Gespeist wurde es durch das Serino-Aquädukt von einer Quelle am Vesuv.
An diesem Sonntag steht zwischen den moosigen Säulen eine Schulklasse, ambitionierte Schüler möchten dem Gast unbedingt erklären, was hier zu sehen ist. Das ist freundlich, nur reden sie ganz aufgeregt sehr schnell sehr neapolitanisch, und ich verstehe kaum etwas. Aber ich habe ja Maria dabei.
An der Küste ist es, als ob die Erde atmet
Caputi ist Architektin und Anfang 50, sie sagt: „Die Deutschen, ja die finden es. Es mag August sein, eine brüllende Hitze, aber sie gehen mittags zu Fuß hin. Aber die wenigsten anderen Touristen kommen bis hierher." Dabei ist das historische Wasserreservoir das zweitgrößte, nach der weltberühmten Cisterna Basilica (türkisch Yerebatan Sarnıcı) in Istanbul, die aber wurde erst 500 Jahre später gebaut.
Damit endlich alle Welt davon erfährt, hat Maria mit ihrer Schwester und einer Freundin zusammen die Tourismus-Agentur La Terra dei Miti gegründet. Mit „Erde der Mythen" möchten sie die Sehenswürdigkeiten westlich Neapels bekannter machen. Hier liegen die Phlegräischen Felder, der größte Vulkan Italiens – man sieht ihn nur nicht. Dabei ist er ein sogenannter Supervulkan, ziemlich gefährlich also. Mit beiden Beinen fest auf der Erde zu stehen – das heiße hier gar nichts. Diesen Satz hört man oft. Denn die Erde ist hier kein verlässlicher Grund; auch wenn die Gegend dicht besiedelt ist. Wacht man morgens im Hotel auf oder geht man nachmittags spazieren, immer liegt ein Schwefelduft über dem Land. Die vulkanische Tätigkeit der Phlegräischen Felder wird Bradyseismos genannt. Die gesamte Küstenregion hebt und senkt sich in einer Art langsamen Erdbebens, als würde die Erde atmen. Faszinierend und beängstigend zugleich, denn wann der Supervulkan wieder explodiert, kann niemand sagen.
Maria und ihre Schwester, die Designerin Carolina Caputi, und die Unternehmensberaterin Rossella Fresa wollten sich nicht damit abfinden, dass Neapel-Urlauber den Vesuv besteigen und die Ausgrabungen von Pompeji und Herkulaneum besuchen – aber nicht in ihre Heimat kommen. Jeder der drei Frauen liegt ein Ort besonders am Herzen. Für Carolina sei dies die Piscina mirabilis. Das „wunderbare Becken" diente zur Versorgung der stärksten römischen Kriegsflotte. Das Becken ist teilweise gemauert, teilweise in den Tuff gegraben und war wasserdicht verputzt, allerdings wurden in späteren Jahrhunderten Teile dieses Putzes abgekratzt. Was konnte man nur mit diesem Putz anfangen? Man konnte daraus Schießpulver herstellen. Aus dem feuchten Niederschlag bildete sich Kalksalpeter, daraus kann man Düngemittel gewinnen, aber auch explosives Material.
In Cuma soll Orakel Sibylle gewirkt haben
Marias Lieblingsort hingegen ist Cuma, um 740 v. Chr. von griechischen Kolonisten gegründet, von hier breitete sich die Magna Graecia auf der italienischen Halbinsel aus. In Cuma sind auf einem Tufffelsen im „Parco Archeologico" Überreste von Zeustempel, Apollotempel, Akropolis und vor allem der Grotte der Sibylle von Kyme zu besichtigen. Diese Höhle sei, findet Maria „mit all ihren literarischen, aber auch mysteriösen und magischen Erinnerungen" eine der eindrucksvollsten Stätten der Welt. Von hier aus soll die Sibylle ihre Wahrsagungen verkündet haben.
Rossella Fresa hingegen zieht es in die Unterwelt, zum unterirdischen archäologischen Pfad der Rione Terra, der Altstadt von Pozzuoli. Im Hauptort der Phlegräischen Felder sind die Auswirkungen des Bradyseismos besonders deutlich. Diese Erdbewegungen entstehen, wenn sich die unterirdischen Magmakammern füllen und leeren. Es raucht und faucht, am spektakulärsten ist das bis heute in der Solfatara in Pozzuoli zu sehen; für Vulkanologen das Paradies auf Erden. Doch seit 2017 kann dieser ebenerdige Vulkankrater nicht mehr betreten werden, es kam zu tödlichen Unfällen mit giftigen Dämpfen. In den 80ern hob und senkte sich der Grund in Pozzuoli um bis zu eineinhalb Meter. Seit dieser Zeit ist die Rione Terra, die Altstadt, verwaist, mehr als 30.000 Bewohner wurden zwangsweise umgesiedelt.
Nun ist alles propper renoviert, eine historische Altstadt – schick, aber ausgestorben. Hotels und Läden sollen einziehen, aber alles wirkt wie ein Freilichtmuseum. Bewohner werden nicht mehr einziehen, zu eng, keine Fluchtwege bei Gefahr, heißt es. Faszinierend ist der Besuch allemal, eine Stadt wie ein Blätterteig, wie die Sfogliatella, Schicht auf Schicht. Nach einer Tour in die römische Unterwelt kommt man in der mittelalterlichen Altstadt ans Tageslicht. Natürlich muss hier, in Roms wichtigster Hafenstadt, ein bedeutender Tempel gestanden haben, aber wo? Die Archäologen fanden nichts, dabei stand er vor ihrer Nase, nur gut getarnt. Erst als 1964 die Basilika San Procolo brannte, der Dachstuhl einstürzte und man die Trümmer beiseite geräumt hatte, stand man mitten im Apollotempel. Im 5. Jahrhundert war daraus eine erste Kirche geworden, und als im 16. Jahrhundert die Jesuiten nach Neapel kamen, holten sie die berühmtesten Künstler. Ungewöhnlich für die Zeit, wurden jedoch die antiken Säulen nicht zerstört, sondern hinter Barockverschalungen versteckt. Damit wagte der Bischof viel. Kurz zuvor war ein Kollege von ihm wegen Häresie verurteilt worden. Sein Vergehen: Er hatte eine antike Statue vor der Zerstörung schützen wollen.
Der letzte Ausbruch schuf einen Berg
Kulturelle Reichtümer, davon kann man in den Campi Flegrei jede Menge finden. „Aber hier gibt es auch ausgezeichnete Weine!", sagt Maria. Sie organisieren Touren zu Wein-Kellern, und so endet der Ausflug am Lago d‘Averno bei Pozzuoli. „See ohne Vögel" hieß dieser auf Griechisch, giftige Dämpfe stiegen auf, in Vergils Aeneis ist der Averner See ein Eingang in die Unterwelt. Eingang zur Hölle? Vögel, die tot vom Himmel fallen? Nichts dergleichen. Stunde des Aperitifs im „Agriturismo Cantine dell Averno". Nicola Mirabella betreibt das Weingut auf den steil ansteigenden Terrassen des Kratersees. Er breitet ein rot-kariertes Tischtuch aus. Reicht zu einer salzigen Torte Weißwein Falanghina, den tranken schon die Römer, „die Reblaus mochte diese Weinstöcke nicht, denen schmeckt wohl das Vulkanische nicht", sagt der Weinbauer.
Der letzte größere Ausbruch im Jahr 1538 schuf hier einen neuen Berg – den Monte Nuovo –, so wurde der Vulkankratersee vom Meer abgeschnitten. Am Rande der Terrassen steht mal wieder eine römische Ruine, eine riesige Therme, allerdings verfallen. Mirabella erzählt, dass sie vor 20 Jahren die terrassierten Hänge stabilisieren mussten. „Wir mussten jede Menge Anträge stellen, schließlich wurde es genehmigt, aber jemand von der Kulturaufsicht war die ganze Zeit dabei. Damit wir nicht etwas finden in der Erde und dann behalten ..." Denn für Sesterzen, die Goldmünzen der Römer, gebe es auf dem Schwarzmarkt „schon mal eine Million Euro". Das sei ja alles richtig und solle auch so sein. „Aber wenn es so wichtig ist", sagt der Weinbauer, „warum lässt man dann so ein wichtiges Monument verfallen? Wir hätten nichts dagegen, wenn mehr Leute kämen".
Auf dem See baden nun sogar Vögel. Die thermischen Aktivitäten sind nicht mehr so stark. Anders als in den 80ern: „Wir hatten 600 Erdstöße am Tag!", weiß Mirabella. Und wie lebt man damit? „Die Erde tanzt", sagt man in den Phlegräischen Feldern lakonisch.