Nach einem historischen Unglück kommt schnell die Frage auf, was wir künftig besser machen können. Hochwasserexperte Robert Jüpner über die richtige Vorsorge, Verbesserungspotenziale und Fehlannahmen.
Herr Jüpner, denken Sie, solche Überflutungen, wie wir sie jetzt an der Ahr miterleben mussten, werden in den kommenden Jahren zunehmend zur Normalität in Deutschland?
Das ist schwer, so allgemein zu beantworten: Zunächst handelt es sich bei einer solchen Überflutung um ein sehr seltenes Ereignis. Im Einzugsgebiet der Ahr gab es so etwas seit langer Zeit nicht mehr in dieser Intensität. Und bei langer Zeit reden wir hier schnell über Perioden von mehr als 100 Jahren. Wenn wir zum Beispiel an die Küste denken, stellen wir fest, dass es eine Sturmflut wie in Hamburg 1962 seither nicht mehr in Deutschland gegeben hat. Das spricht rückblickend erst mal für die Seltenheit solcher Phänomene. Gleichzeitig ist es aber heute so, dass Klimaforscher klare Indikatoren dafür gefunden haben, dass durch die Klimaerwärmung auch Extremwetterereignisse häufiger werden. Dazu gehört Hochwasser. Aber das heißt nicht, dass wir nun jedes halbe Jahr mit Bildern wie aus dem Ahrtal rechnen müssen.
Gerade vor diesem Ausblick: Müssen wir mehr für den Hochwasserschutz tun?
Vorneweg: Hochwasserschutz ist eine Generationenaufgabe und eine Aufgabe, die uns permanent begleitet. Schon die Römer mussten sich, als sie hier vor 2.000 Jahren gesiedelt haben, mit dieser Problematik auseinandersetzen. Also ist das Thema erst mal nichts Neues. Viele Schutzmaßnahmen, angefangen bei Deichen oder Hochwasser-Rückhaltebecken bis hin zu baulichen Maßnahmen, bei denen einzelne Gebäude gezielt geschützt werden, gibt es seit Längerem. Aber auch der Bereich der Vorsorge, ein funktionierender Katastrophenschutz, Flutwarnungen, Hochwasservorhersagen, wurden in den letzten Jahren ausgebaut. Da fließt mittlerweile sehr viel Geld hinein. Bei dieser Gelegenheit möchte ich anmerken, dass nach 2013, als wir ein Hochwasser an der Elbe und der Donau miterleben mussten, ein nationales Hochwasserschutzprogramm in Deutschland beschlossen wurde. Ein Programm, das erstmalig auch vom Bund anteilig mitfinanziert wird, und dessen Maßnahmen wohl insgesamt bis zu 5,4 Milliarden Euro kosten werden. In den letzten Jahren ist also schon viel passiert. An vielen großen Flüssen können wir heute schon umgesetzte Projekte, zum Beispiel Deichrückverlegungen sehen. Als Wissenschaftler müssen wir weiterhin alle Hochwasserereignisse genau analysieren und daraus lernen. Schon jetzt sind viele Möglichkeiten bekannt, durch die wir unsere Schutz- und Vorsorgesysteme weiter optimierten können. Die Verpflichtung, nur so wenige Todesfälle wie möglich nach einer Überflutung beklagen zu müssen, ist klar.
Stichwort Optimierung: Nach dem Hochwasser der Ahr ging es unter anderem um die Frage nach besseren Frühwarnsystemen. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
Auch das muss man differenziert betrachten: Es gibt einige Systeme, die sehr gut und sehr präzise funktioniert haben. Die Warnungen des Deutschen Wetterdienstes zum Beispiel. So hat die Niederschlagsvorhersage gut funktioniert. Auch die daraus berechnete Hochwasservorhersage, quasi der Output des Niederschlags, war für ein Phänomen dieser Größenordnung präzise. Bedauerlicherweise liegt das Problem woanders, nämlich, dass diese Informationen bei den Betroffenen ankommen müssen – und damit meine ich nicht nur physisch ankommen. Eine Information wie ein erwartbarer Pegelstand von sieben Metern muss auch in eine entsprechende Form des Handelns umgesetzt werden können, also als unmittelbare Gefahr verstanden werden. Die Zahl allein dient dem Einzelnen nicht dabei zu verstehen, ob das eigene Haus betroffen ist und wenn ja, in welcher Form. Sie hilft auch nicht dabei zu ermessen, welche Form der Reaktion am sinnvollsten ist: zu Hause bleiben oder fliehen, um nur ein Beispiel zu nennen. Das sind aber Informationen, die bei den zuständigen Institutionen, den Landkreisen, Feuerwehren und der Polizei, sowie den Betroffenen ankommen müssen. Da gibt es definitiv noch Verbesserungspotenzial.
Ist der Föderalismus bei der Vorsorge gegen Hochwasserrisiken ein Problem? Schließlich erstrecken sich viele Flussverläufe weit über kommunale, Kreis- und Ländergrenzen und nationale Grenzen hinaus.
Das ist richtig, aber mittlerweile gibt es auch dafür ein System: 2007 hat die Europäische Union mit der sogenannten EU-Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie (HWRM-RL) dafür einen gesetzlichen Rahmen geschaffen. Dadurch wurde zum Beispiel die Erstellung von konkreten Hochwassergefahrenkarten beschlossen, die unter anderem anzeigen, bei welchen Pegelständen welche Gebiete überflutet werden. Diese machen bei Saar und Mosel auch an politischen Grenzen nicht halt, sondern wurden flächendeckend, über den gesamten Verlauf der Flüsse, erfasst. Das war die Folge eines Lernprozesses der Extremereignisse davor, der dann von der Politik umgesetzt wurde.
EU-Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie ist ein Wortungetüm. Bedeutet die Richtlinie mehr Sicherheit?
Ich weiß, aber es gibt gute Gründe für den Namen. Früher haben wir in der Regel einfach vom Hochwasserschutz gesprochen, aber das impliziert für den Laien, dass man nach entsprechenden Maßnahmen auch sicher ist. Schließlich bedeutet geschützt sein im allgemeinen Sprachgebrauch sicher sein. Das kann man aber in seiner Absolutheit auch bei der Errichtung neuer Bauwerke nicht behaupten. Als Ingenieur kann ich sagen, dass neue Bauten immer unter bestimmten Belastungsannahmen geplant und errichtet werden, die an ihre Grenzen stoßen können. Stellen Sie sich einen Aufzug vor, der für zehn Personen zugelassen wurde. Wenn sie diesen dann mit 15 Menschen nutzen, kann es natürlich gut sein, dass trotzdem alles gut funktioniert, aber das muss es nicht. Gleiches gilt für Häuser, die im Hinblick auf bestimmte Wasserstände errichtet werden. Wenn diese, zum Beispiel durch einen Deichbruch, überschritten werden, kann das problematisch werden. Deshalb Hochwasserrisikomanagement, was bedeutet, dass wir nach Lösungen suchen, wie wir auf solche Extremszenarien vorbereitet sein können, die jederzeit eintreffen können. Dass der Katastrophenschutz weiß, was zu tun ist, selbst wenn andere Systeme versagen. Sie wollen schließlich nicht nur ein möglichst feuerfestes Haus, sondern auch, dass die Feuerwehr kommt, falls es doch brennt. Wir brauchen einen verantwortungsvollen Umgang mit der Gefahr Hochwasser, deswegen Risikomanagement
Gibt es im internationalen Vergleich Länder, von denen wir uns, was das Hochwasserrisikomanagement angeht, eine Scheibe abschneiden könnten?
Eigentlich sind wir in Deutschland oder vielmehr generell in Mitteleuropa sehr gut aufgestellt, was diesen Themenbereich angeht. Natürlich wirkt das auf den ersten Blick durch die schmerzlichen Erfahrungen nicht unbedingt so, trotzdem funktionieren viele unserer Systeme. Im Nachgang der Flut an der Ahr wurde so unter anderem sehr schnell gehandelt, auch durch die Politik, die viel Geld für den Wiederaufbau bereitgestellt hat. Was nicht heißt, dass wir nichts von anderen Nationen lernen könnten.
Mir fallen spontan zwei Länder ein, die sich mit diesem Thema auch sehr intensiv beschäftigen: Das sind einmal die Niederlande, was bestimmt auch damit zusammenhängt, dass ein Großteil der Landesfläche unter dem Meeresspiegel liegt. Sollten da bestimmte Deiche brechen, wäre das eine ganz andere Größenordnung der Flutkatastrophe. Deshalb sind sie dort in vielen Bereichen der Hochwasservorsorge weltweit federführend, haben sehr gute Instrumente zur Hand und hervorragende wissenschaftliche Institutionen, die in dem Bereich forschen. Daneben ist Japan eines der führenden Länder in dem Bereich des Risikomanagements. Auch hier spielen die lokalen Voraussetzungen eine große Rolle. Der Staat ist vielfältig durch Katastrophen wie Tsunamis und Erdbeben bedroht. Die Arbeiten unserer japanischen Kolleginnen und Kollegen finden in der fachlichen Community deshalb große Beachtung.
Und lohnt sich der Blick nach links und rechts im Hochwasserrisikomanagement, wenn doch die Umstände immer anders sind?
Absolut. Was mir als Wissenschaftler nach so einem Überflutungsereignis Mal für Mal auffällt, ist, dass wir immer sehr schnell sagen, so etwas hätte es noch nie in der Form gegeben. Das ist aus der Betroffenenperspektive, für die ein solches Ereignis wirklich furchtbar ist, richtig. Auf einer größeren Ebene macht es aber Sinn, sich Wissen über den richtigen Umgang in einer solchen Situation von woanders zu holen. Also: Wie haben andere Gebiete den Wiederaufbau erfolgreich bewältigt? Welche Schlüsse sollten wir als Region nun für die Zukunft ziehen? Das sind Fragen, bei denen wir uns als Wissenschaftler sehr gut einbringen können, weil wir uns genau mit diesen Fragen regelmäßig beschäftigen.
Als Bürger klingt das für mich so, als wäre das Wichtigste, dass auch wir uns der Gefahr von solchen Katastrophenereignissen bewusst werden.
Ja, und nicht nur als einzelner Bürger, sondern auch als Institutionen, die lokal die Verantwortung tragen, wie Gemeinde und Städte. Vor Ort müssen für Hochwasser- oder Starkregen Vorsorgekonzepte entwickelt werden, die dann allen kommuniziert und zur Verfügung gestellt werden sollten. Das ist die gebotene Ernsthaftigkeit, die wir im Risikomanagement brauchen. Dabei müssen wir uns fragen, was wir an technischen Schutzmaßnahmen umsetzen können, wo aber auch die Grenzen des Hochwasserschutzes liegen. Und sollte es zum Ernstfall kommen und die technische Vorsorge nicht ausreichend wirksam sein, dann müssen Leute evakuiert werden können oder mindestens wissen, was sie in der Notlage tun können. Das haben wir jetzt gerade erlebt.