Höchststände bei Sprit und Gas machen Verbrauchern und Wirtschaft zu schaffen
Für Autofahrer wird der Stopp an der Tankstelle in diesen Tagen zum Alptraum. Diesel kostet im Schnitt mehr als 1,50 Euro pro Liter, so viel wie noch nie. Für Benzin muss mehr als 1,60 Euro pro Liter bezahlt werden – alte Höchststände rücken näher. Ein Ende der Aufwärtsspirale ist nicht in Sicht. Der Ölpreis hat sich fast verdoppelt, was fossile Kraftstoffe verteuert.
Vor diesem Hintergrund hat Volkswagen-Chef Herbert Diess Anfang dieser Woche einen bemerkenswerten Vorschlag gemacht: Er riet seiner Kundschaft indirekt vom Kauf der eigenen Verbrenner ab und empfahl den Umstieg auf Elektroautos. Einen Verbrenner zu fahren, koste im Vergleich mit einem E-Auto bis zu 50 Prozent mehr, schrieb Diess auf dem Portal „LinkedIn“. Ein VW Tiguan sei pro Kilometer um 30 Prozent teurer als der elektrische ID.4, ein Skoda Kodiaq sei nur mit einem Aufschlag von 50 Prozent im Vergleich zum Elektro-Enyaq zu bekommen.
Doch die Verbraucher werden nicht nur durch die Preissprünge bei Benzin und Diesel gebeutelt. Auch beim Heizen müssen viele vor dem Winter tiefer in die Tasche greifen. Der Gaspreis bewegte sich im langjährigen Mittel zwischen 15 und 20 Euro pro Megawattstunde, derzeit sind es 65 Euro. Strom ist in Deutschland an der Börse seit Jahresbeginn rund 140 Prozent teurer geworden, in Spanien gar um 425 Prozent. Die Ölpreise haben teilweise die höchsten Stände seit drei Jahren erreicht. Auch die deutsche Wirtschaft ächzt. Die galoppierenden Preise haben vor allem energie-intensive Branchen wie die Stahl- und Chemieindustrie in Alarmstimmung versetzt.
Dass die Preise für die fossilen Brennstoffe explodieren, hat mehrere Ursachen. Zum einen hat die lange Heizperiode des vergangenen Winters die Energiekosten befeuert. Zum anderen hat die nach Corona vielerorts wieder anziehende Konjunktur die weltweite Nachfrage nach Öl und Gas angefacht. Vor allem die stark wachsenden Volkswirtschaften Ostasiens sind energiehungrig und auf Öl und Gas angewiesen. Sie lassen sich die Importe deutlich mehr kosten und treiben die Preise so zusätzlich in die Höhe. Allein China importierte bis zu 20 Prozent mehr Flüssiggas als im Vorjahr. Da die globalen Lieferketten infolge der Pandemie nach wir vor noch nicht voll intakt sind, herrscht auf vielen Märkten Mangel – diese Knappheit an Gütern erhöht den Preisdruck ebenfalls.
Nicht alle Konsequenzen der Coronakrise waren vorhersehbar. Aber die Europäer tragen für einen erheblichen Teil der Probleme Mitverantwortung. Die EU hat sich hohe Ziele für die Klimaneutralität ihrer Industrie gesetzt. Doch ein überzeugendes Konzept, auf welche Energie in der Übergangszeit zurückgegriffen, woher sie bezogen und wie sie gelagert werden soll, fehlt bis heute. In Brüssel wird seit Jahren über einen Energiebinnenmarkt diskutiert. Passiert ist wenig. So gibt es keine technischen Kuppelstellen zwischen den Stromnetzen der einzelnen Länder. Ein Vorschlag aus der EU-Kommission, südeuropäische Sonnenkraft in den Norden des Kontinents zu lenken, versandete. Begründung in vielen Hauptstädten: Der Energiemix sei eine nationale Angelegenheit.
Auch die Bundesregierung muss sich Defizite ankreiden lassen. Zwar will Deutschland bald den größten Teil seines Strom- und Wärmebedarfs mit erneuerbaren Energiequellen wie Sonne und Wind decken. Doch der Aufbau der dafür notwendigen Anlagen kommt nicht schnell genug voran. Gas, das als Brückentechnologie dienen könnte, lehnen Umweltverbände und Grüne als rückwärtsgewandten, weil CO2-treibenden Brennstoff ab. Die Folge: Neue Gaskraftwerke werden in Deutschland kaum noch gebaut. Viele ältere Meiler stehen seit Jahren still.
Erschwert wird ein EU-Konsens durch tiefe Risse zwischen den Mitgliedstaaten. Osteuropäischen Ländern wie das noch stark von der Kohle abhängige Polen geht das deutsche Tempo Richtung Klimaneutralität viel zu schnell. Auf der anderen Seite verlangt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, dass die EU die Atomenergie zu einer Schlüsseltechnologie bei der Klimawende erklärt. Das ist Sand ins Getriebe der künftigen Bundesregierung, in der die Grünen sehr wahrscheinlich mitmischen. Bis Jahresende muss die EU zu diesem Thema eine Lösung finden. Weder in Brüssel, noch in Paris oder Berlin gibt es bislang eine Idee, wie die aussehen könnte.