Auch die Wintersaison 2021/2022 des Alpinen Weltcup-Zirkus mit den Olympischen Spielen in Peking im Februar 2022 als sportlichem Höhepunkt wird wieder mit zwei Riesenslaloms für Männer und Frauen auf dem Rettenbachgletscher im Tiroler Sölden eröffnet.
Einem bodenständig-naturverbundenen Burschen wie Felix Neureuther nimmt man es ab, wenn er jüngst in seiner Funktion als „Sportschau“-TV-Experte den frühzeitigen Start in die Alpine Weltcup-Skisaison auf dem Söldener Rettenbachgletscher wegen ökologischer Bedenken scharf kritisiert hat. Die Reste der bedrohten Eismassen der Alpen müssten geschont werden, es sei höchste Zeit, „endlich am Rennkalender etwas zu ändern. Man weiß doch aus der Erfahrung der letzten 20 Jahre, dass dieses Datum Ende Oktober auf einem Gletscher zäh umzusetzen ist.“ Auch für die Außenwirkung sei ein weißes Band inmitten einer grünen Landschaft ebenso fragwürdig wie der inzwischen zum Standard gehörende und riesige Energiemengen verschlingende Einsatz von Schneekanonen zur Pistenpräparierung. Dem Thema Klimaschutz müsse auch im Wintersport eine wichtige Rolle eingeräumt werden. „Wenn sich in den nächsten Jahren nicht wirklich sehr viel tut“, so Neureuther, „bekommt der Skisport ein Problem – wenn er es nicht schon hat.“
Endlich Rückkehr der Zuschauer
In Tirol sieht man das natürlich ganz anders und freut sich schon lange auf die traditionelle Saisoneröffnung mit zwei Riesentorläufen – für die Damen am 23. Oktober, für die Herren einen Tag später. Und natürlich lassen es sich die lokalen Veranstalter nicht nehmen, das Event endlich wieder mit wilden Pistenpartys zu begleiten. Durch die Einhaltung der 3G-Pflicht will man dabei möglichst Corona-Neuinfektionen vermeiden, das Ischgl-Trauma scheint aus den Köpfen komplett verbannt worden zu sein. In Übersee, vor allem in Kanada mit seinen sehr strikten Corona-Bestimmungen, hat sich schon große Besorgnis breitgemacht. Denn nach Sölden und den beiden einzigen Parallelrennen der Saison für Männer und Frauen im Vorarlberger Lech am 13. und 14. November sowie den beiden Slaloms für Männer und Frauen im finnischen Levi eine Woche später geht es für den Weltcup-Zirkus Ende November 2021 auf die Reise gen Nordamerika. Wo vergangene Saison alle Rennen wegen der Pandemie gestrichen worden waren. Aus den USA mit den Locations Killington für die Damen und Beaver Creek für die Herren hat es für den Alpinen Weltcup bedenkenloses grünes Licht gegeben. Für Kanada mit dem Skisport-Hotspot Lake Louise, wo sowohl für die Damen als auch für die Herren Wettbewerbe anstehen, sieht das Ganze schon anders aus. Ohne doppelte Impfung darf hier niemand an den Start gehen, der Status von Genesenen ist umstritten, viel spricht derzeit dafür, dass diese ebenfalls besser zuhause bleiben sollten. Zur Lösung des Problems wird aktuell vielfach über Ausnahmegenehmigungen für ausländische Teilnehmer spekuliert.
Laut dem unlängst veröffentlichten offiziellen Weltcup-Kalender sind für die Saison 2021/2022 bei den Herren 38 (in 18 Locations), bei den Damen 37 Rennen (in 19 Wintersportorten) vorgesehen, dazu kommt noch ein einziger Mixed-Team-Wettbewerb zum Saisonfinale im französischen Courchevel/Méribel am 19. März 2022. Dieser Teamwettbewerb ist die einzige Ausnahme von der durch Corona bedingten Regel, möglichst Wettbewerbe der Frauen und Männer strikt getrennt voneinander abzuhalten. Auch die Separierung von Speed- und Technik-Events im Terminplan wird diese Saison weiter beibehalten. Weshalb auch sämtliche Kombinationen aus dem Programm gestrichen wurden. Die Fédération Internationale de Ski (FIS), der Ski-Weltverband, hat auf die heftige Kritik einiger betroffener Sportler reagiert und heuer einen ausgeglichenen Terminkalender für die Speed- und Technikfahrer entworfen, sprich möglichst gleich viele Rennen für die Tempobolzer und Stangenkünstler ins Programm aufgenommen. In der vergangenen Saison fühlten sich Speed-Spezialisten wie die beiden Schweizer Top-Stars Marco Obermatt und Lara Gut-Behrami klar im Kampf um den Weltcup-Gesamtsieg benachteiligt, weil deutlich mehr Technik-Rennen abgehalten worden waren. Und dadurch die großen Kristallkugeln an die Technik-Künstler Alexis Pinturault aus Frankreich und Petra Vlhová aus der Slowakei gegangen waren und die beiden Schweizer sich jeweils mit dem zweiten Platz hatten begnügen müssen.
Durch die geplante Rückkehr der Zuschauer werden Rennen vor einer Geisterkulisse wohl der Vergangenheit angehören.
Für gelinde Überraschungen sorgte die FIS durch die Verteilung der Disziplinen in manchen Ski-Hotspots. So wurde in Garmisch-Partenkirchen die legendäre Kandahar-Abfahrt der Männer zugunsten von zwei Slaloms gestrichen, die Damen dürfen sich Ende Januar 2022 auf der Rennstrecke allerdings in Abfahrt und Super-G messen. In Kitzbühel musste der Super-G-Klassiker auf der Streif zugunsten von gleich zwei Hahnenkamm-Abfahrtsläufen am 21. und 22. Januar 2022 weichen. Es könnte diese Saison also gleich zwei Sieger auf der schwierigsten und berühmtesten Speedpiste der Welt geben. Wo sich der damals 24-jährige Deutsche Thomas Dreßen mit seinem unerwarteten Triumph im Jahr 2018 unsterblich gemacht hatte. Absoluter Saisonhöhepunkt werden die Olympischen Spiele in Peking sein, während deren Verlauf der Weltcup eine zweiwöchige Pause einlegen wird und bei denen zwischen dem 6. und 19. Februar die Medaillengewinner in elf Wettbewerben (jeweils für Frauen und Männer in den Disziplinen Slalom, Riesenslalom, Super-G, Abfahrt und Kombination, dazu ein Parallel-Teamevent) ermittelt werden sollen.
Das Team des Deutschen Skiverbandes (DSV) sieht sich nach seinem Überraschungscoup mit gleich vier völlig unerwarteten Medaillen-Gewinnen bei der WM 2021 in Cortina d’Ampezzo für die neue Saison bestens gerüstet. Womit der DSV eine der erfolgreichsten Ski-Weltmeisterschaften seiner Geschichte feiern konnte, was bislang nur in Garmisch-Partenkirchen anno 1978 mit damals fünf Medaillen übertroffen worden war. Natürlich sind im aktuellen DSV-Weltcup-Kader mit sechs Damen und 15 Männern die Medaillen-Gewinner von Cortina die wichtigsten Hoffnungsträger für die neue Saison. Wobei die Namen Romed Baumann (Silber Super-G), Andreas Sander (Silber Abfahrt) und Kira Weidle (Silber Abfahrt) schon auf ein grundlegendes Problem des DSV schließen lassen. Denn alle drei genannten sind Speed-Spezialisten, während der DSV in den Technik-Disziplinen gravierende Schwächen aufweist und besonders bei den Damen eigentlich nicht konkurrenzfähig ist. Was auch durch die Bronzemedaille im Mixed-Parallel-Wettbewerb in Cortina kaum übertüncht werden konnte.
Kaum Chancen für DSV auf Gesamtsieg
Lena Dürr wartet noch immer in Slalom oder Riesenslalom auf den Durchbruch zur Weltspitze, bei den Herren sieht es in diesen Disziplinen dank Stefan Luiz, Alexander Schmid und Linus Straßer etwas besser aus, aber bislang konnte noch keiner so recht in die großen Fußstapfen von Felix Neureuther oder dem letzten deutschen Riesenslalom-Weltmeister Markus Wasmeier anno 1985 treten. Während sich in den Speed-Disziplinen die deutschen Top-Fahrer, zu denen in absehbarer Zeit auch wieder der nach verschiedenen Verletzungen im Aufbau-Programm befindliche, mit zehn Weltcup-Podiumsplatzierungen (darunter fünf Abfahrtssiegen) herausragende Frontmann Thomas Dreßen hinzustoßen wird, und auch Altmeister Josef Ferstl immer wieder für eine positive Überraschung sorgen kann, gegenseitig motivieren können, hat der DSV in den technischen Disziplinen vor allem bei den Frauen, auch wegen eines Miniteams, komplett den Anschluss an die Weltspitze verloren. „Zwei, drei Jahre wird es im Riesenslalom keine Spitzenfahrerin geben“, so der ernüchternde Kommentar des ARD-Ski-Spezialisten Tobias Barnerssoi. Und im Speed ist bei den Damen Kira Weidle weitestgehend auf sich allein gestellt, auch wenn sie die „One-Woman-Show“ in Nachfolge der Paradefahrerin Viktoria Rebensburg bislang ganz bravourös gemeistert hat.
Im Kampf um den Gesamtweltcup-Sieg wird kein DSV-Fahrer eingreifen können. Da werden die üblichen Verdächtigen unter sich bleiben. Bei den Männern dürften sich wieder Alexis Pinturault, Marco Obermatt, der Österreicher Marco Schwarz, der Schweizer Loïc Meillard, der Kroate Filip Zubčič, der Schwede Henrik Kristoffersen oder der von seiner Verletzung wieder genesene Norweger Aleksander Aamodt Kilde duellieren. Bei den Damen werden sich wohl Petra Vlhová, Lara Gut-Behrami, deren Schweizer Landsfrau Michelle Gisin, die Österreicherin Katharina Liensberger und natürlich der US-amerikanische Technik-Superstar Mikaela Shiffrin um die große Kristallkugel streiten. Aber für gelegentliche Podiumsplätze oder sogar Siege sind die DSV-Speed-Spezialisten allemal gut. In den Einzeldisziplinen zählen die Gewinner der kleinen Kugeln aus der Vorsaison auch heuer wieder zu den Favoriten. Bei den Männern in der Abfahrt der Schweizer Beat Feuz (Hauptkonkurrent der Österreicher Matthias Mayer), im Super-G der Österreicher Vincent Kriechmayer (vor Marco Odermatt), im Riesenslalom Alexis Pinterault (vor Marco Odermatt oder auch Filip Zubčič), im Slalom Marco Schwarz (vor dem Franzosen Clément Noël und dem auf Wiedergutmachung für die vergangene Pannensaison hoffenden Henrik Kristoffersen). Bei den Frauen in der Abfahrt die Italienerin Sofia Goggia (vor der Schweizerin Corine Suter), im Super-G Lara Gut-Behrami (vor der Italienerin Federica Brignone), im Riesenslalom die Italienerin Marta Bassino (auch wenn Mikaela Shiffrin in alter Klasse kaum zu schlagen sein dürfte), im Slalom Katharina Liensberger (auch hier ist Mikaela Shiffrin die eigentliche Favoritin).