Als WM-Führender ist Max Verstappen zum Großen Preis der USA nach Austin aufgebrochen. Mit seinem ersten Sieg will der Red Bull-Pilot seinen Vorsprung auf Lewis Hamilton ausbauen. Bisher aber triumphierte der Brite bei acht F1-Rennen auf der texanischen Rennstrecke schon fünf Mal.
Das Spiel „Bäumchen wechsle dich“ geht in der Formel 1 munter weiter. Sechs Rennen vor Saisonende streiten sich die zwei Kampfhähne Max Verstappen im Red Bull und Lewis Hamilton im Mercedes auf Augenhöhe um die WM-Krone. Es ist ein Kampf der Generationen: Der „fliegende“ Holländer Verstappen, 24 Jahre jung, seit 2015 F1-Pilot, 17 Siege bei 134 Starts. Der Brite Hamilton, 36 Jahre alt, geadelt, seit 2007 F1-Pilot, 100 Siege bei 281 Starts, sieben Mal Weltmeister. Der achte Titel soll am Ende dieser Saison folgen.
Mit einem Sieg in Sotschi/Russland im Gepäck reiste der Mercedes-Superstar vom Schwarzen Meer in die Türkei. Auf dem Istanbul Park Circuit sollte Saisonsieg Nummer sechs eingefahren werden. Doch es reichte für Hamilton nur für Platz fünf. Verstappen aber raste auf Rang zwei und kassierte 18 Punkte. Aus Hamiltons Zwei-Punkte-Vorsprung, den er vom Schwarzen Meer mitbrachte, wurde am Bosporus ein Sechs-Punkte-Rückstand (262,5:256,5). Und jetzt kommt wieder das „Bäumchen wechsle dich“ ins Spiel. Allein in den vergangenen sechs Rennen wechselte die WM-Führung zwischen Hamilton und Verstappen und umgekehrt bereits vier Mal. Sieger in Istanbul wurde dennoch ein Mercedes-Fahrer: Valtteri Bottas.
Debatte über Boxenfunk
Für den Finnen war es nach mehr als einem Jahr (Russland 2020) sein zehnter Grand Prix-Triumph, der auf der schmierigen, rutschigen und nassen Fahrbahn nie in Gefahr geriet. Der „falsche“ Mercedes-Sieger hatte „bis auf einen kleinen Ausrutscher“ alles und alle unter Kontrolle. „Es war eines meiner besten Rennen“ stellte der 32-Jährige klar, der im vergangenen Jahr auf der gleichen Strecke mit fünf Pirouetten der Dreherkönig war. Zusätzlich sicherte sich der Noch-Mercedes-Pilot und 2022 in Diensten bei Alfa Romeo-Sauber stehende Fahrer in der Schlussphase den Zusatzpunkt für die schnellste Rennrunde. Das Gefühl des Siegens hatte er schon fast verlernt. „Es ist schön, den Sieg zu haben und sich daran zu erinnern, dass man gewinnen kann“, so Bottas. Dickes Lob erntete er von seinem Chef Toto Wolff: „Ich freue mich sehr für ihn, Valtteri ist ein brutal gutes Rennen gefahren“, so der Wiener Schlawiner bei „Servus TV“. „Der Schlüssel zum Sieg war das Reifenmanagement, es ist bei diesen Verhältnissen nicht einfach, die richtige Strategie zu wählen“, klärte der bullige Bottas nach seinem Erfolg auf. Bei Chefpilot Hamilton ging die Strategie seiner Ingenieure am Kommandostand in die Hose. Vorgeschichte: Hamilton hatte samstags den ersten Startplatz (Pole Position) für das Rennen am Sonntag in das feuchte Asphaltband gebrannt. Aufgrund eines regelwidrigen Motorenwechsels (erlaubt sind in der Saison drei Wechsel) wurde Hamilton um zehn Plätze strafversetzt, musste von Rang elf starten. Verbissen hat er sich nach vorne gekämpft.
Bis in die 50. der 58 Rennrunden hatte es so ausgesehen, als könne Hamilton Dritter oder Vierter werden. Dann aber wurde er in Runde 51 an die Box beordert – und gehorchte widerwillig. Neun Runden zuvor hatte er die gleiche Anweisung verweigert. Doch jetzt mussten die stark beanspruchten Walzen auf Geheiß der Strategen durch einen frischen Reifensatz ersetzt werden. Bei der Rückkehr auf die Strecke verlor er zwei Plätze, fiel von Rang drei auf fünf zurück. Statt 15 Zählern gab es nur zehn WM-Punkte. Hamilton war sich aber sicher, das Rennen ohne Boxenstopp über die Runden zu bringen, um wenigstens Platz drei zu belegen. Die Entscheidung vom Kommandostand konnte er nicht nachvollziehen. „Warum zur Hölle haben wir unsere Position aufgegeben“, fragte er über Boxenfunk?“ Antwort: „Wir wären eh zurückgefallen.“ In der Mercedes-Presseaussendung spricht Hamilton von einem „frustrierenden Rennen, aber es ist wie es ist. Es fühlte sich gut an, auf Platz drei zu liegen und ich dachte, dass es ein großartiges Ergebnis wäre, diese Platzierung von Startplatz elf zu halten. Bei diesen Bedingungen sind die Strategie-Entscheidungen sehr schwierig. Ich gehe gerne ein Risiko ein und als ich auf Platz drei lag, wollte ich den Stopp auslassen, aber dann rief mich das Team herein, und man muss sich auf seine Mannschaft verlassen, deren Entscheidungen akzeptieren und hoffen, dass sie richtig sind. Es ist, wie ich immer zu sagen pflege: Wir gewinnen zusammen und wir verlieren zusammen.“
Zusammen verloren mit seinem Team hat Sebastian Vettel. Der Ex-Champion erlebte erneut ein Rennen zum Vergessen. Mit seinem britisch-grünen Aston Martin hatte der Heppenheimer zwischendurch schon an den Punkterängen (bis Platz zehn) geschnuppert als er es dann wagte, bei Nieselregen auf Trockenwalzen zu wechseln. Doch mit diesem Wagnis griff der viermalige Weltmeister voll ins Klo, hatte sich mit dem Risiko mit Trockenreifen völlig verzockt. Mit seinen neuen Reifen schlitterte Vettel überrundet auf den drittletzten und 18. Platz. Für die falsche Reifenentscheidung übernahm er nach seinem vierten Rennen in Folge ohne Zählbares, sprich ohne WM-Punkte, die volle Verantwortung. Mick Schumacher war glücklich mit Platz 14 als seinem besten Startergebnis, hatte aber Pech im Rennen. In Runde zwei kollidierte Alpine-Renault-Pilot Fernando Alonso mit dem Rookie im Haas-Boliden. Dem spanischen Altmeister wurde für sein ruppiges Verhalten eine Fünf-Sekunden-Strafe aufgebrummt, er kam als 16. ins Ziel. Zwei Mal überrundet schleppte sich der Deutsche als 19. über die Ziellinie vor seinem Stallrivalen Nikita Mazepin. Zurück zu Istanbul-Hauptdarsteller Lewis Hamilton und Mercedes. Zumindest leicht angesäuert, wenn nicht sogar verärgert klagte der 100-malige GP-Sieger: „Meinem Bauchgefühl nach hätte ich auf der Strecke bleiben sollen. Ich bin deshalb frustriert, nicht meinem Instinkt gefolgt zu sein. Der schwarzhaarige Silber-Häuptling und „böse“ Wolf(f) räumte ein, dass man Hamilton hätte noch früher an die Box holen müssen. Der Reifenwechsel zum Schluss sei aber notwendig gewesen, um zumindest Platz fünf abzusichern, der nach der Motorstrafe eine ordentliche Schadensbegrenzung sei. Das britische Boulevardblatt „Daily Mail“ beschreibt den packenden Reifenpoker so: „Lewis Hamilton hat die WM-Führung verloren, nachdem sein Mercedes-Team sich wie Angsthasen benommen und ihn zu einem sinnlosen Boxenstopp gerufen hat. (…) Die verhängnisvolle Entscheidung mit all ihren möglichen Auswirkungen darauf, wer am Ende die Krone trägt, kam acht Runden vor Schluss eines schleichenden, von Nieselregen begleiteten Grand Prix der Türkei, den Valtteri Bottas gewann.“ Um das Istanbul-Podium zu vervollständigen: Dritter hinter Bottas und Verstappen wurde Sergio Perez im zweiten Red Bull-Boliden. Vor Hamilton landete Ferrari-Fahrer Charles Leclerc auf Rang vier.
Auf der Strecke mit Leib und Seele
Bottas der große Sieger und Hamilton der große Verlierer in der Türkei. Am Tag nach der umstrittenen Teamstrategie stellte Hamilton in den sozialen Netzwerken unter anderem klar, „dass ich nicht sauer auf mein Team bin. Als Mannschaft arbeiten wir jeweils hart daran, die beste Rennstrategie auszutüfteln. Aber wenn ein Rennen dann läuft, müssen Entscheidungen oft in Sekundenbruchteilen gefällt werden, basierend auf Faktoren, die sich ständig ändern können. Wir lernen jedes Mal dazu. Dass der Brite seinem Unmut zunächst über den Funk freien Lauf ließ, sei nur normal. „Erwartet niemals, dass ich im Funk höflich und ruhig bin, wenn ich fahre. Wir sind in der Hitze des Gefechts alle viel zu leidenschaftlich, das gilt für alle Fahrer.“ Auf der Strecke sei er „mit Leib und Seele dabei, dieses kraftvolle innere Feuer hat mich in meiner Karriere so weit gebracht.“
Jetzt aber auf nach Texas. Der 17. Saisonlauf ist der Große Preis der USA (Rennstart Sonntag, 24. Oktober, 21 Uhr MESZ/Sky). Auf dem Circuit of the Americas in Austin war Lewis Hamilton schon fünf Mal mit „Leib und Seele“ dabei. Seinen ersten Sieg landete er beim Premiere-Rennen 2012 mit McLaren. 2014 bis 2017 siegte er im Mercedes. 2019 bescherte Bottas Mercedes den fünften Triumph in Texas. Vettel legte 2013 mit einem Red Bull-Sieg einen weiteren Grundstein für seinen vierten WM-Titel. Der künftige Rennrentner Kimi Räikkönen machte 2018 den Sieg für Ferrari perfekt. 2020 war das Rennen in Austin ausgefallen. Soweit die Sieger-Statistik.
Das Renngelände liegt 25 Kilometer außerhalb von Austin-Downtown entfernt und ist fast so groß wie 200 Fußballfelder. Die extra für die „Königsklasse“ gebaute 5,516-km-Strecke mit ihren neun Rechtskurven und einer Linksbiegung stellt den zehnten Schauplatz für einen US-GP dar: Nach Indianapolis (8), Phoenix (3), Dallas (1), Detroit (7), Las Vegas (2), Long Beach (8), Watkins Glen (20), Riverside (1) und Sebring (1). Laut Streckenanalyse von Nico Rosberg, Weltmeister 2016, haben die Texaner für ihre Strecke viele berühmte Passagen von anderen Strecken einfach nachempfunden. Wie die S-Kurven aus Suzuka/Japan. Der Start sei so spektakulär wie fast nirgendwo im Kalender. Es geht stark bergauf und dann ganz scharf linksherum. Für die Fahrer die erste Bewährungsprobe.
„Bullen“-Sportchef Christian Horner ist sich „ziemlich sicher, dass es auch in Austin wieder ein gutes Duell mit Mercedes geben wird, also müssen wir einfach weiter pushen und versuchen, uns zu verbessern“, sagte der Brite. Bislang sei es sehr eng gewesen, die Saison sei allerdings „sehr gut gelaufen“, so Horner gegenüber „ServusTV“. Red Bull hofft auf dem Circuit of the Americas vor allem auf einen Schub bei der Power. „Es ist auch wieder eine lange Gerade, aber in den USA waren wir eigentlich immer stark. Aber es wird von der Tagesform abhängen, von der Temperatur und wer das Ideale auf die jeweilige Rennstrecke kriegt. Es wäre schön, wenn man sagen könnte, wir sind da Favorit“, sagt „Bullen“-Berater und Sportchef Helmut Marko. Kopfzerbrechen bereitet den Bullen der Leistungsunterschied zwischen Mercedes und Red Bull. „Wir müssen uns etwas einfallen lassen. Mercedes ist auf den Geraden in Istanbul 15 km/h schneller gewesen“, hat Motorsportkonsulent Marko beim „Bullen“-Sender festgestellt.
Dass es das ganze Jahr sehr eng zuging, ist auch Christian Danner nicht entgangen. Der Ex-F1-Pilot und Experte bei „Sport1“ ist sich sicher, dass sich dieser brutale Wettbewerbszustand auch nicht ändern wird. Danner im „AvD-Magazin:“ „Hamilton und Verstappen werden bis zum Schluss auf Augenhöhe durch die Landschaft fahren. Den Weltmeister werden wir erst nach dem Finale in Abu Dhabi (12. Dezember, red.) sehen.“