Bei Union Berlin läuft Taiwo Awoniyi wieder heiß. Seine Mitspieler schwärmen, doch sein Trainer hält sich mit Lob betont zurück.
Seit 1977 lebt und arbeitet Gernot Rohr – bis auf einige wenige Ausnahmen – im Ausland. Aber natürlich hat der gebürtige Mannheimer immer auch ein Auge auf die Fußball-Bundesliga, und selbstverständlich achtet er dabei vor allem auf Union Berlin. Denn bei den Eisernen läuft ein Profi gerade zur Hochform auf, der für die Zukunft der nigerianischen Nationalmannschaft eine wichtige Stütze werden kann: Taiwo Awoniyi.
Rohr, seit 2016 Nationaltrainer Nigerias, ließ sich mit der ersten Nominierung des Angreifers etwas Zeit, doch Mitte Oktober war es dann so weit: Nachdem sich Terem Moffi vom FC Lorient verletzt hatte, holte er den Union-Stürmer zu den Super Eagles. Im WM-Qualifikationsspiel gegen Zentralafrika (0:1) feierte Awoniyi sein Debüt im A-Team, nachdem er für sein Heimatland alle Nachwuchs-Auswahlteams durchlaufen hatte. Bei seiner Premiere ging der 23-Jährige zwar auf dem Papier leer aus, trotzdem scheint ihn das Ereignis in seiner Entwicklung noch mal einen Schritt nach vorne gebracht zu haben.
Erstes Nationalspiel absolviert
„Im Moment läuft es gut für ihn, das hat auch mit seinem ersten Spiel für die Nationalmannschaft zu tun“, meinte Union-Trainer Urs Fischer. „Da hat er noch mal ein bisschen Selbstvertrauen mitgenommen.“ Wie zum Beweis hatte Awoniyi die Eisernen mit seinem 1:0-Führungstor zum 2:0-Heimsieg gegen den VfL Wolfsburg geführt. Es war sein sechstes Liga-Tor in acht Spielen und ein zusätzlicher Beleg dafür, dass die 6,5 Millionen Euro, die der Club im Sommer für den bis dahin nur ausgeliehenen Angreifer an den FC Liverpool überwiesen hatte, eine gut angelegte Investition waren.
„Seit er wieder da ist und fest verpflichtet wurde, hat er einen Riesenlauf“, sagte Torhüter Andreas Luthe, der auch von seinem Kasten aus in jedem Spiel das große Potenzial des Stürmers erkennen kann. „Er ist einfach eine Waffe“, sagte Luthe. „Man kann ihn auch mal unter Druck anspielen, und seine tiefen Läufe sind brutal.“ Und dann sagt der Torhüter einen Satz, der für seinen Trainer eigentlich auf dem Index steht: „Taiwo ist so ein bisschen eine Lebensversicherung für uns.“
Spricht man Fischer auf Unions torgefährlichsten Spieler an, klingen die Sätze deutlich weniger euphorisch. „Er hat seinen Teil zur Leistung beigetragen“, sagte der Schweizer betont nüchtern nach dem Sieg gegen Wolfsburg, der ohne Awoniyis Türöffner wohl nicht zustande gekommen wäre. Doch Fischer lobte lieber die Vorbereiter zum Treffer, und zu Awoniyis starkem Antritt und eiskaltem Abschluss meinte der Trainer lapidar: „Er ist ein Stürmer und steht auf dem Platz, um Tore zu schießen.“
Fischer verzichtet auch deshalb auf zu viel Lob, weil er seinen Spieler auf dem Boden halten will. Doch diese Sorge sei unbegründet, meinte Luthe. Für Abgehobenheit „ist er gar nicht der Typ“, sagte der Torwart, „er ist ein ganz bodenständiger Junge, er hat einfach weiter so gearbeitet wie vorher auch.“ Und das rät ihm Fischer auch jetzt vor dem Auswärtsspiel am Sonntag (24. Oktober/17.30 Uhr) beim VfB Stuttgart: „Er muss weiter hart arbeiten, um dranzublieben.“
Awoniyi weiß, dass er auch dank eines eingespielten Teams wieder zu seiner Treffsicherheit des Saisonstarts zurückgefunden hat. „Die Tore kommen nicht nur von den Stürmern“, sagte der Nigerianer. Sein Treffer gegen Wolfsburg gehöre laut Sportchef Oliver Ruhnert zu „60 Prozent Genki Haraguchi“, dessen Vorarbeit „überragend“ gewesen sei. Doch auch für Awoniyi hatte Ruhnert – anders als Fischer – ein paar lobende Worte mehr: „Wir freuen uns, dass das mit Taiwo so klappt, wie wir uns das alle erhofft haben. Es ist top, wie der Junge sich präsentiert.“
Das hat auch damit zu tun, dass er bei Union nach sieben (!) Leihstationen endlich ein sportliches Zuhause gefunden hat. „Ich glaube, er fühlt sich recht wohl bei uns“, sagte Luthe. Awoniyi gibt zu, dass er nach Jahren der Wanderschaft „glücklich“ sei, endlich eine „dauerhafte Perspektive“ bei einem Club gefunden zu haben. Obwohl sich noch herausstellen wird, wie dauerhaft sein Schaffen bei Union ist, sollte der wuchtige und schnelle Profi sich weiter in so bestechender Form präsentieren. Sein Alter und sein Profil machen ihn für viele europäische Top-Clubs interessant, zumal seine Entwicklung noch lange nicht am Ende zu sein scheint. „Er wird immer besser, kommt immer besser rein“, lobte auch Sturmpartner Max Kruse.
Durchbruch gelang ihm erst bei Union
Doch jetzt ist Awoniyi erst einmal froh, ein echter Unioner zu sein, und nicht irgendwie auf dem Sprung. „Wenn du dich immer wieder an alles neu gewöhnen musst, ist das nicht leicht“, sagte er. 2015 war Awoniyi aus Afrika nach Europa gekommen, um hier im Profifußball den Durchbruch zu schaffen. Und zwar nicht irgendwo, sondern beim ruhmreichen FC Liverpool. Doch es stapelten sich die Stolpersteine: Er bekam in England keine Arbeitserlaubnis, die Reds schickten ihn von einer Leihstation zur nächsten. Mit überschaubarem Erfolg, so wie beim FSV Mainz (2019/2020).
Erst bei Union blühte Awoniyi auf – zum Leidwesen eines anderen Angreifers. Weil der Nigerianer im Sturmzentrum gesetzt ist und zudem prächtig mit Kruse harmoniert, blieb für Sheraldo Becker zuletzt nur noch die Reservistenrolle – wenn überhaupt. In manchen Spielen schaffte es der Niederländer mit surinamischem Pass nicht einmal in den Kader. Das drückte mächtig auf sein Ego, vor drei Wochen platzte Becker der Kragen: Der Flügelflitzer beklagte sich öffentlich über zu wenig Einsatzzeiten. „Es ist eine harte Situation für mich“, hatte Becker gesagt: „Letztes Jahr habe ich gezeigt, was ich für die Mannschaft tun kann. Ich habe Tore gemacht, Assists gegeben, hart gearbeitet und war wichtig für das Team.“
Doch eine Entzündung im Sprunggelenk, die ihn vier Monate außer Gefecht setzte, bremste Becker aus. Im Saisonfinish war er zwar noch einmal ein Faktor, als er den Siegtreffer von Kruse gegen Bayer Leverkusen zum umjubelten Einzug in die Conference League vorbereitete. Doch zu Saisonbeginn stand er wieder im Schatten von Awoniyi und Kruse, sogar Andreas Voglsammer und Kevin Behrens schienen ihm zwischenzeitlich den Rang abgelaufen zu haben. Gegen Wolfsburg meldete sich Becker mit dem Kopfballtreffer zum 2:0 zurück – ein Tor wie Balsam auf die Seele.
„Ich bin glücklich, dass ich mal wieder treffen durfte“, sagte der 26-Jährige, der aber auch Flankengeber Voglsammer lobte: „Das Einzige, was ich tun musste, war, meinen Kopf zu benutzen.“ Seine öffentliche Forderung nach mehr Spielzeit bereue er nicht, so Becker, der sich schon bald wieder in der Startelf sieht: „Ich arbeite hart, ich trainiere hart – meine Chance wird kommen.“
Trainer Fischer nahm das öffentliche Wehklagen seines Spielers erstaunlich gelassen. „Mit dem kann ich gut umgehen“, sagte er, „denn kein Spieler sitzt gerne auf der Bank.“ Außerdem brauche er genau diese Spieler, die mit großer Motivation und auch etwas Wut im Bauch ins Spiel kommen und so den Unterschied ausmachen können. „Er ist nicht richtig zufrieden mit seiner Situation, aber wenn er auf dem Platz gefragt ist, ist er da“, sagte Fischer über Becker: „Jeder Trainer wünscht sich, dass es so läuft.“