Totgesagte leben länger – die deutsche Solarindustrie könnte vor einem glänzenden Comeback stehen. Nachdem die Bundesregierung sie in den 2010er-Jahren buchstäblich ausgetrocknet hat und sie von der chinesischen Konkurrenz gnadenlos unterboten wurde, ist seit zwei Jahren wieder Leben in der Branche zu spüren.
Der stellvertretende Bürgermeister von Bitterfeld-Wolfen, Stefan Hermann, lächelt zufrieden. „Wir sind erfreut, dass der Standort Solar Valley wieder nachgefragt wird von der Solarbranche." Hinter Solar Valley verbirgt sich ein Ortsteil Bitterfelds, Thalheim. Dort fingen drei Kreuzberger Pioniere 1999 an, mit 40 Mitarbeitern Solarzellen zu produzieren. Daraus wurde die Firma Q-Cells, im Jahr 2007 mit 2.300 Mitarbeitern einer der größten Hersteller von Solarzellen weltweit. Weitere Firmen siedelten sich an, zum Teil Tochterunternehmen von Q-Cells wie Sovello, Calixo, Solibro. In den Jahren 2009/2010 beginnt der Preisverfall für Solarzellen, der chinesische Staat unterbietet mit massiven Subventionen jede Konkurrenz. Die Bundesregierung schränkt die Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien drastisch ein, auch weil sie die herkömmlichen Energieträger – Kohle und Kernenergie – zu verdrängen drohen. 2012 ist Q-Cells insolvent, 1.000 Mitarbeiter werden entlassen. Der südkoreanische Konzern Hanwha übernimmt das Unternehmen. Q-Cells verkauft Solibro an die chinesische Hanergy Holding Group, die 2015 die Produktion einstellt. 2019 schließt das letzte Solarzellenunternehmen in Deutschland.
Doch das ist nicht das Ende der Geschichte. Mit dem Erstarken der Klimaschutzbewegung, den „Fridays for Future"-Demos, dem Trend zur Elektromobilität und vor allem den Gewinnchancen, die sich die Unternehmen von Investitionen in die neuen Energien versprechen, wird die Photovoltaik wieder attraktiver. Das Schweizer Maschinenbau-Unternehmen Meyer Burger Technology AG, das bisher Anlagen für die Solarzellen-Produktion gebaut hat, steigt selbst in die Fertigung ein. Künftig sollen im Solar Valley, also in Thalheim, wieder Solarzellen entstehen. Die Produktion startet im ersten Halbjahr 2021 – symbolträchtig in den einstigen Hallen der Pleite gegangenen Solarfirma Sovello. Parallel dazu ist geplant, im sächsischen Freiberg Solarmodule, die der Verschaltung der Zellen dienen, zu produzieren. In Freiberg standen die Produktionshallen von Solarworld, dem langjährigen Marktführer in der Solarbranche. Dessen Chef, Frank Asbeck, hatte sich mehrfach vergeblich für deutsche Schutzzölle gegen chinesische Importe eingesetzt. Die Geschichte der Solarindustrie in Deutschland hat dabei noch eine besondere Pointe: Innerhalb von sechs Jahren – 2010 bis 2016 – gingen in der Solarindustrie 100.000 Arbeitsplätze verloren, von 130.000 sank die Zahl auf 32.000. Das passierte überwiegend genau in den Bundesländern, in denen so dringend nach neuen Jobs für die Zeit nach der Kohle gesucht wurde. Im Braunkohlebergbau geht es eigentlich „nur" um rund 20.000 Beschäftigte.
20 Milliarden Euro sollen in die Solarbranche fließen
Doch was ist dran an dem umjubelten Solarboom? Meyer Burger will bis 2026 Module mit einer Kapazität von sechs Gigawatt herstellen. Mehr als 3.000 Arbeitsplätze sollen langfristig an beiden Standorten, Thalheim und Freiberg, entstehen. Der deutsche Solarkonzern SMA will seine Fabrik in China dichtmachen und ausschließlich in Deutschland produzieren. Solarwatt baut in Dresden eine Fertigungsanlage für Module. Anfang diesen Jahres hat die EU-Energiekommissarin Kadri Simson zusammen mit Binnenmarktkommissar Thierry Breton die „European Solar Initiative" (ESI) ins Leben gerufen. Die EU möchte, dass das Post-Corona-Wiederaufbauprogramm dazu beiträgt, die Solarbranche zu fördern. 20 Milliarden von den bereitgestellten 700 Milliarden Euro sollten nach Ansicht des European Solar Manufacturing Council (ESMC) genutzt werden.
Das alles passiert in einem Klima, das für die Solarindustrie nach Jahren der Nichtbeachtung so günstig wie lange nicht ist. Die neue Bundesregierung hat sich bereits in den Sondierungsgesprächen auf einen verstärkten Ausbau der Solarindustrie verständigt. Im Wesentlichen hat man das übernommen, was die Grünen in ihrem Programm festgeschrieben hatten: „Jeder Neubau muss ein Solardach haben: Solardächer sind für uns das zentrale Instrument für den weiteren Ausbau von Sonnenenergie. Denn wir können Dächer, oder auch Balkons und Fassaden, zu Kraftwerken machen, die alle zum Klimaschutz beitragen. Das Ziel lautet also, Solardächer zum Standard machen. Wir wollen loslegen mit Neubauten, öffentlichen und Gewerbegebäuden sowie Dachsanierungen. Unser Ziel sind 1,5 Millionen Solardächer in den nächsten vier Jahren." Entsprechend optimistisch gibt sich Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft: „Wachsende Märkte und ein deutlich gestiegenes Klimaschutzbewusstsein bei Verbrauchern, Wirtschaft und auch in der Politik stimmen zuversichtlich." Insgesamt prognostizieren die Wirtschaftsforscher von EUPD Research Neuinstallationen von sechs Gigawatt im Jahr 2021, was einem Wachstum von 23 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. 4,3 Gigawatt entsprechen der Leistung eines Atomkraftwerks herkömmlicher Bauart.
Wachstumsschub durch mehr Elektromobilität
Die Branche geht davon aus, dass auch die zunehmende Elektromobilität der Solarindustrie einen Wachstumsschub versetzen wird. Nach Informationen des Kraftfahrt-Bundesamtes waren 15 Prozent der Pkw-Neuanmeldungen im August 2021 bereits reine E-Autos. Diese werden zu 70 Prozent daheim betankt, immer häufiger mit selbst erzeugtem Solarstrom. Mit einer Solar-Speicher-Kombination könnte der Bezug aus dem Stromnetz um bis zu 80 Prozent reduziert werden. Der vom eigenen Dach geerntete und teils zwischengespeicherte Ladestrom sei nur halb so teuer wie Strom vom Energieversorger, berechneten jüngst Marktforscher des EUPD-Marktforschungsinstituts aus Bonn.
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie schnell Lieferketten zerbrechen können. Schon haben viele Arzneimittelfirmen Teile ihrer Produktion nach Deutschland zurückgeholt. Bosch baut eine neue Chipfabrik für eine Milliarde Euro in Dresden. Noch kommen 90 Prozent der Solarzellen zu Billigpreisen aus dem Land der Mitte. Die Chinesen setzen auf (noch) preiswerten Kohlestrom und nach Menschenrechtsexperten auf die Ausbeutung uigurischer Zwangsarbeiter.
Aber die europäischen Hersteller sehen ihre Chance in neuen Technologien, die Solarzellen effektiver und vielfältiger einsetzbar machen. Meyer Burger, das Schweizer Unternehmen, besitzt die wichtigsten Patente. Dort spricht man von einem Technologieschub, der vergleichbar ist mit dem Übergang von 4G auf 5G im Mobilfunk.
„Ungefähr 50.000 Jobs gibt es derzeit in der Photovoltaik in Deutschland", sagt Volker Quaschning, Professor für erneuerbare Energien an der HTW in Berlin. Der europäische Thinktank ESMC geht von 180.000 bis 200.000 Jobs aus, die neu entstehen könnten. Auch wenn das noch nicht ausgemacht ist, sollten jetzt Ausbildungsprogramme starten, meint Volker Quaschning, um ausreichend Fachkräfte zu haben. „Sonst wird die Energiewende an Personalmangel scheitern", so der HTW-Professor.