Ein „Tierschutzministerium", ein „gesünderes Deutschland und eine „Lobby-Fußspur" – die Erwartungen an die neue Bundesregierung sind so vielfältig wie zahlreich. Auffällig ist, dass viele Vereine und Verbände vor steigenden Engiepreisen warnen. Die Digitalisierung wird häufig als Zukunftsaufgabe betont.
Noch hat sich der Bundestag nicht konstituiert, noch verhandeln 22 Arbeitsgruppen über einen neuen Koalitionsvertrag und die Parteien haben sich noch nicht über die Besetzung der Ministerien geeinigt. Doch gerade jetzt scheint vielen Lobbygruppen, Verbänden und Vereinen der richtige Zeitpunkt gekommen zu sein, noch einmal mehr oder weniger energisch auf ihre Erwartungen an den Gesetzgeber aufmerksam zu machen.
„Mit Hochdruck modernisieren" fordert der Bund der Deutschen Industrie von der Bundesregierung. Der BDI ist einer der wichtigsten Verbände, in dem 40 Branchenverbände zusammengeschlossen sind. Ein moderner Staat sei unverzichtbare Voraussetzung für internationale Wettbewerbsfähigkeit und ein entscheidender Standortfaktor, so BDI-Präsident Siegfried Russwurm. „Trotz engagierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist der Stand der Digitalisierung für Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger immer noch ungenügend. Die Corona-Pandemie hat überdeutlich die Dringlichkeit offengelegt, mit der Digitalisierung der Verwaltung viel rascher als bisher voranzukommen." Er spricht sich für ein Bundesministerium für die Digitalisierung von Verwaltung und Recht aus, das mit umfangreichen Kompetenzen ausgestattet ist.
Die Forderungen der ökologischen Verbände ähneln sich: der eine wie der andere setzt sich ein für „die Begrenzung des Klimawandels, die Überwindung extremer Armut und die Reduzierung der Schere zwischen Arm und Reich, die Sicherung von Menschenrechten und des Zuganges zu nachhaltiger Entwicklung für alle Menschen sowie die Schaffung eines neuen, postfossilen Wohlstandmodells" (WWF, Greenpeace, Brot für die Welt, Misereor, Germanwatch). Nur die Formulierungen unterscheiden sich.
Alle sind für Klimaschutz
Foodwatch, die „Essensretter", sorgt sich um die Kindergesundheit: „Kindermarketing fördert nachweislich Übergewicht und spätere Krankheiten. Jetzt könnte damit endlich Schluss sein: Die SPD hat im Wahlkampf versprochen, Kindergesundheit zu schützen. Doch setzt sie dieses Versprechen nun auch bei Verhandlungen durch? Schreiben Sie deshalb jetzt an Olaf Scholz!"
Der Verein „Vier Pfoten" will ein „verschärftes Tierschutzrecht, mehr Kontrollen und höhere Standards in der landwirtschaftlichen Tierhaltung." Zehn Forderungen gehen an die Adresse der Bundesregierung, unter anderem grausame Tiertransporte beenden, ein Tierschutz-Tüv für Stalleinrichtungen, Schlacht- und Betäubungsgeräte, Verbot der „Qualzucht" und von Pelztierfarmen und ein vollständiges Wildtierverbot in Zirkussen. Die Tierschutzorganisation Peta geht noch ein Schritt weiter und fordert ein eigenes Ministerium für Tierschutz.
Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) will, dass Deutschland bis 2030 zum Fahrradland wird. „Das muss Ziel der nächsten Bundesregierung sein." Der ADFC hat dafür einen Aktionsplan mit konkreten Forderungen und Maßnahmen aufgestellt. Auch der ADAC erklärt die „Mobilitätspolitik zu den entscheidenden Handlungsfeldern der kommenden Legislaturperiode. Es geht darum, unser Verkehrssystem auch im Hinblick auf die gesellschaftlichen Klimaschutzziele zukunftsfähig zu machen", heißt es in den Impulsen zur Bundestagswahl. Dafür muss der 20. Bundestag die Rahmenbedingungen setzen. Für den Club ist das Auto „nach wie vor das mit großem Abstand wichtigste Verkehrsmittel, es bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Verkehrssystems."
Der AOK-Bundesverband, eine der größten Krankenkassen, hat sein Positionspapier unter die Überschrift gestellt: „Neue Nähe für ein gesünderes Deutschland". Zentrale Aufgaben der nächsten Legislaturperiode seien „mehr Kooperation in der medizinischen Versorgung der Patientinnen und Patienten, stärkere Qualitätsorientierung und eine nachhaltige finanzielle Stabilisierung der Kranken- und Pflegeversicherung".
„Transparenz" ist das zentrale Stichwort für den Verein Lobbycontrol. Die nächste Bundesregierung müsse sich „nach der Wahl entschieden für Transparenz einsetzen und klare Regeln schaffen:" Dazu soll eine „Lobby-Fußspur" für Gesetze dienen, eine Reform der Parteien- und Wahlkampffinanzierung und „eine ausgewogene Beteiligung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Exklusiv-Veranstaltungen der Bundesregierung mit Industrie-Lobbyisten zu wichtigen Zukunftsfragen müssen der Vergangenheit angehören."
Mindestlohn für Bauern zu hoch
Der Deutsche Bauernverband hat sich bereits zustimmend zu den ersten Ergebnissen aus den Sondierungsgesprächen geäußert: „Die Sondierer sind sich darüber einig, dass Bauern auskömmliche Einkommen erzielen müssen …". Natürlich ist man für eine „Balance von Ökologie und Ökonomie", aber beim Umbau der Tierhaltung ist der Verband eher zurückhaltend, und der Zwölf-Euro-Mindestlohn bedeute eine „massive Belastung vor allem der heimischen Sonderkulturbetriebe" (Obst, Wein und Gemüseanbau).
Der Verband der Deutschen Automobilindustrie macht sich Sorgen um die deutsche Industrie und hat seine zehn Punkte an die Bundesregierung unter die Überschrift gestellt: „Was passieren muss, dass Deutschland Industrieland bleibt". Die Forderungen sind bekannt: Jedes Auto soll klimaneutral fahren, ein flächendeckendes Ladenetz, durchgehende Vernetzung öffentlicher und privater Mobilitätsangebote. Freundlich erinnert der Verband in seinem Papier an seine mächtige Position: 800.000 Beschäftigte, 150 Milliarden Euro geplante Investitionen – daran kommt keine Bundesregierung vorbei.
Kleinere Brötchen bäckt das Deutsche Bäckerhandwerk: Zur Bundestagswahl im September bringt es sich mit zwölf Kernforderungen an den künftigen Bundestag und die neue Regierung in Stellung. Bürokratieabbau, flexiblere Arbeitszeitregelungen und niedrigere Energiekosten stehen ganz oben auf der Agenda. „Schluss mit dem Bürokratiemonster! Wir wollen backen statt verwalten." Außerdem müsse das Arbeitszeitrecht dringend entrümpelt werden. „Wir kämpfen darum, dass die Arbeitszeiten in der Herstellung von Backwaren an Sonn- und Feiertagen ausgeweitet werden."
Energiekosten sind ein großes Thema
„Da können wir uns warm anziehen", sagt Herbert Dohrmann voraus. Der Präsident des Deutschen Fleischerverbandes (DFV) hat auf seinem Verbandstag Anfang Oktober festgestellt: „Die Welt um uns herum verändert sich mit großen Schritten." Es gehe um die Fachkräftesicherung, die Energiewende, die haushalterischen Herausforderungen, die die neue Bundesregierung zu bewältigen hat, die sich ändernden Konsumgewohnheiten, aber ebenso die notwendige Transformation der Nutztierhaltung in Deutschland.
Wie viele andere Verbände sorgt sich der Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie um die Energiekosten. Hauptgeschäftsführer Uwe Mazura: „Die künftigen Regierungsparteien müssen sich dringend mit der Situation an den Energiemärkten befassen und die vollständige Finanzierung der Energiewendekosten aus dem Bundeshaushalt im Koalitionsvertrag festschreiben." Die Senkung der EEG-Umlage werde durch Erhöhung der Börsenpreise für Strom wieder aufgezehrt. Außerdem müsse das produzierende Gewerbe schnellstmöglich um die rein nationalen CO2-Kosten entlastet werden, sonst drohten Insolvenzen.
Die Spitzenverbände der deutschen Bauwirtschaft fordern von den potenziellen Koalitionspartnern eine „zukunftsfähige Baupolitik". Besonders wichtig seien Investitionen in die Infrastruktur, digitale Netze und den Wohnungsbau. Bauinvestitionen seien die Grundlage für weitreichende wirtschafts-, gesellschafts- und klimapolitische Veränderungen. Sie stützten nicht nur die Binnenkonjunktur, sondern ermöglichten eine klimagerechte Modernisierung. Die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung müsse auf vermieteten Wohnraum ausgedehnt werden.
Die Versicherer empfehlen sich als die idealen Partner für den Kampf gegen den Klimawandel. Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) unterstützt die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen und die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens. „Wir wollen einen signifikanten Beitrag zum Green Deal und zu einem klimaneutralen Europa bis 2050 leisten". Tatsächlich spiele die Versicherungswirtschaft „als einer der größten institutionellen Kapitalanleger eine bedeutende Rolle für die grüne Transformation der Wirtschaft". Bis 2050 streben sie die Treibhausgasneutralität der Kapitalanlagen an; bereits bis 2025 und dann fortlaufend sollen CO2-Reduktionen in den Portfolios realisiert werden.
Der Verband der Digitalwirtschaft und Tech-Start-ups Bitkom wünscht sich eine digitale Dekade, „nachhaltig, souverän, resilient" (was immer das heißen mag). Bitkom nennt ein paar Beispiele: mehr digitale Teilhabe vor allem an Schulen, kluger Einsatz von Energie (Smart Grids), digitale Verwaltungsstrukturen und der Einsatz von Warn- Apps.
Die Parteien müssten sich jetzt schnell auf eine handlungsfähige Bundesregierung einigen, fordert der Verband der Papierindustrie, damit „energieintensiven Branchen wie der Papierindustrie weiter die Produktion in Deutschland möglich ist." Sie sei mit der Nutzung des nachwachsenden Rohstoffes Holz und vorbildlicher Kreislaufführung ein „erfolgreicher Bestandteil der Bioökonomie", erklärte der Präsident des Verbandes, Winfried Schaur. Jedenfalls sei das Toilettenpapier sicher, heißt es auf der Homepage des Verbandes. „Auch in den kommenden Wochen und Monaten gilt das, was in der Hochphase der Krise galt. Es gibt genügend Toilettenpapier für alle."