Mit viel Elan gehen die möglichen Koalitionspartner in die anstehenden Verhandlungen. SPD und Grüne sind bemüht, nicht den Eindruck entstehen zu lassen, die FDP hätte sich bei den Sondierungen zu sehr durchgesetzt.
Die Zahl ist gewaltig. Es geht um einen Bundeshaushalt, der fast eine halbe Milliarde Euro umfassen wird. So hoch wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Dabei wird die Neuverschuldung ebenfalls auf Rekordniveau liegen, fast 100 Milliarden Euro wird die zukünftige Bundesregierung zu verantworten haben. Eingetütet hat dies bereits der bisherige Bundesfinanzmister Olaf Scholz, der sehr wahrscheinlich zukünftige Bundeskanzler.
Scholz galt bis zum Ausbruch der Pandemie als Herr über die heilige „schwarze Null". Keine neuen Schulden, sondern Schuldenabbau war sein Motto. Doch das ist lange her. Denn dann kam Corona, die Schuldenbremse wurde ausgesetzt, der Bund nahm wieder Schulden auf, um die Misere von Familien und Unternehmen, von Kindern und alten Menschen wenigstens finanziell zu lindern.
Scholz’ „Bazooka" wird gleichzeitig zur schwersten Hypothek der sich konstituierenden Ampelkoalition werden. Die Folgen der Pandemie und die bisherigen Rekordschulden bewältigen und gleichzeitig die Schuldenbremse einhalten, so will es die FDP. Obendrein soll es keine Steuererhöhungen geben, schon gar nicht für Besserverdiener. Damit steht die zukünftige Regierung vor der Quadratur des Kreises. Denn gleichzeitig soll auch die Energiewende finanziert werden. Dazu gehört unter anderem der mögliche Kohleausstieg, der, wenn er 2030 kommen soll, noch einmal viel Geld kosten wird.
Schwere Hypothek für die neue Koalition
Mit einer entscheidenden Forderung hat sich die FDP klar durchgesetzt.: Tempo 130. Damit wird Porschefahrer Christian Lindner der heimliche Star der Koalitionsverhandlungen. Der FDP-Chef dominierte mit seiner Absage zu Tempo 130 auf den Autobahnen und zu Steuererhöhungen bereits die Sondierungsgespräche. Und scheint auch den Takt der gesamten Koalitionsverhandlungen vorgeben zu wollen. Dass die zukünftigen Koalitionäre weiterhin zu ihrem neuen, harmonischeren Stil stehen wollen, zeigte sich an einem Sonntag kurz vor Beginn der Gespräche in Berlin: Da mühten sich in einer extra arrangierten Talkshow im deutschen Fernsehen der zukünftige Bundeskanzler Olaf Scholz und Grünenchef Robert Habeck mit einer ambitionierten Moderation, den Eindruck zu zerstreuen, dass sich die FDP in den anstehenden Koalitionsverhandlungen zu in den Vordergrund spielt.
Dass SPD und Grüne so zurückhaltend mit den Liberalen umgehen, dürfte auch eine Folge der Jamaika-Koalitionsverhandlungen von 2017 sein, die am 20. November morgens um kurz nach halb eins ihr jähes Ende fanden. Besonders Robert Habeck hat sich wahrscheinlich Lindners Satz „Es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren" in bleibender Erinnerung eingebrannt.
Habeck und Lindner haben sich damals in nächtelangen Verhandlungen persönlich kennen und vor allem achten gelernt. Doch genau das soll es jetzt bei den Koalitionsverhandlungen nicht mehr geben: Verhandeln bis zum Umfallen, wenn es sein muss bis morgens um sechs Uhr, eine Spezialität von Bundeskanzlerin Angela Merkel. SPD und Grüne wissen: Wenn es sein muss, beendet Lindner die Verhandlungen. Da hilft die ganze vermeintliche rot-grüne Dominanz nicht.
Und so ist auch zu erklären, dass der FDP-Chef ganz unbekümmert schon mal die zukünftigen Machtzentren der Republik ausplaudert: Da solle es selbstverständlich das Kanzleramt geben, von dort gehen dann Leitziele der zukünftigen Bundesregierung aus. Dann soll es ein Klimaministerium geben, dessen Chef könnte Robert Habeck heißen, dieser solle dann auch mit einem Vetorecht ausgestattet werden. Denn nicht nur dass Habeck als Vizekanzler gesetzt ist, sondern er könnte qua Amt Gesetze, die dem Klimaschutz widersprechen, blockieren. Damit soll dem grünen Anspruch auf einen allumfassenden Klimaschutz Rechnung getragen werden. Das ist jedenfalls eine Kernforderung der wahlkämpfenden Annalena Baerbock.
Dazu könnte ein Bundesfinanzminister Christian Lindner kommen, der ebenfalls mit einem Vetorecht ausgestattet ist. Somit könnten sich Kanzleramt, Klima- und Finanzministerium in den zukünftigen Kabinettssitzungen in ihren Entscheidungen gegenseitig blockieren. Ein möglicher Bundeskanzler Olaf Scholz, ein Klimaminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner wären damit auf Augenhöhe – und weiter auf jenem Niveau zur Zusammenarbeit gezwungen, das sie derzeit an den Tag legen.
Inwieweit dies im realen Politikalltag Sinn macht, steht auf einem anderen Blatt. Denn damit würde die sogenannte Richtlinienkompetenz des Kanzleramtes komplett in Frage gestellt werden, ein Bundeskanzler Olaf Scholz müsste sich also ständig mit zwei Ministerien absprechen. Schnell droht Scholz damit als Kanzler zum Spielball der Parteien zu werden.
Vetorechte für Finanzen und das Klima
Ein machtbewusster FDP-Finanzminister Christian Lindner wird sich in seiner Partei, die er dominiert, durchsetzen können. Doch kann dies auch ein Klimaminister Robert Habeck? Die Grünen haben im Wahlkampf Geschlossenheit demonstriert. Ob sie die beibehalten können, hängt auch von der Fähigkeit der Verhandlungsführer ab, die Interessen von SPD, Grünen und FDP auszutarieren. Dazu zählen auch die Posten.
Diese sind in einem zukünftigen Bundeskabinett begrenzt, und eine Außenministerin Annalena Baerbock ist derzeit noch nicht gesetzt – eingedenk der Tatsache, dass sie sich mit Äußerungen zu Nordstream 2 und der Nato außenpolitisch eingemischt hat. Aber welche Partei hat Anspruch auf wie viele Ministerposten? Das Kabinett Merkel IV hatte 14 Ministerposten zu vergeben. Klar ist bei der zukünftigen Bundesregierung, die SPD liegt vorn mit mindestens sieben zu besetzenden Bundesministern, dann kommen die Grünen mit vier weiteren Ministern, unter anderem das Außenministerium, dann bleiben noch drei Posten für die FDP.
Doch bevor es zur Postenvergabe kommt, müssen die über 300 Verhandlungsteilnehmer von SPD, Grünen und der FDP in ihren 22 Arbeitsgruppen zu einem tragbaren Ergebnis kommen. Das größte Problem dürfte, und dies ist heute schon klar, die Finanz- und Steuerpolitik werden. Eine erste Aufgabe zeichnet sich für die entstehende neue Bundesregierung bereits jetzt ab: Wie umgehen mit den finanziellen Belastungen durch die derzeit extrem hohen Energiepreise, gerade für die sozial Schwächeren? An dieser Stelle ist gerade ein zukünftiger Klimakanzler Olaf Scholz gefragt. Wie soll man als Sozialdemokrat den Menschen die Finanzierung ihrer Heizung im Zeiten des Klimawandels und CO2-Aufschlägen erklären, wenn Menschen mit kleinen Geldbeuteln, Alleinerziehende, Senioren, Familien mit Kindern an ihre Grenzen kommen? Eine Antwort darauf muss auch ein möglicher Finanzminister Lindner finden – im Terzett mit Scholz und Habeck.