Kosmetik, Pinsel, Puder, Make-up. Lange Zeit waren das Schreckensworte für Männer. Rollenbild und Selbstwahrnehmung trafen auf Klischees und Vorurteile: "Schminke ist nur was für Tucken und Schauspieler." Dabei spielen drei Elemente eine zunehmend größere Rolle im Kosmetikbusiness und für Männer selbst.Norbert, siehst du heute frisch aus!" Dieses Kompliment bekam unerwartet der Vater von Make-up-Artist Daniel Schleicher. Wer nach einem Arbeitstag abends bei einer politischen Sitzung eintrifft, kann normalerweise nicht mit solchen Worten rechnen. Auch der Gemeinte war verblüfft. Jedoch wusste er um das unsichtbare Geheimnis seines frischen und wachen Aussehens. Sein Sohn hatte ihn zuvor für ein berufliches Fotoshooting geschminkt. "Mein Vater konnte sich nicht wirklich vorstellen, dass Make-up eine solche Wirkung erzielt", sagt Daniel Schleicher.
Pflege für die Männerhaut, das "Ausbügeln" spezifischer Probleme oder gar eine dezente Farbgebung ist heute auch bei Männern nicht mehr allzu außergewöhnlich. "Der Trend geht klar zur Pflege. Für Männer gehört ein ästhetisches Selbstbild in Reflektion zu ihrer Rolle in der Gesellschaft immer mehr dazu", beobachtete Daniel Schleicher, Visagist und Geschäftsleiter von Beni Durrer Beauty in Berlin. Mitte der 90er-Jahre war David Beckham "exotischer" Vorreiter mit seinen metrosexuellen Looks und machte Kosmetik für Männer salonfähig. Inzwischen hat jedes große Label eigene Serien für Männer im Angebot. Vom Shampoo bis zur Barthaarpflege reicht das Spektrum. Das meiste ist im Drogeriemarkt erhältlich. "Heute darf auch ein kerliger Mann gepflegt sein", weiß Schleicher.
15 bis 20 Prozent Männer hat auch Stefanie Vujovi? in ihrem "Capegold Medical Beauty Center" in Berlin regelmäßig auf dem Behandlungsstuhl und als Kunden im Studio. Vor allem in den letzten drei Jahren kämen immer mehr Männer. Manche schauten auf eine halbe Stunde in der Mittagspause oder abends für eine ausführlichere Behandlung vorbei. "Für Männer muss es grundsätzlich schnell gehen und ein Effekt zu sehen sein." So dauert ein "Gentleman Treatment" bei "Capegold" maximal eine Stunde, aber auch eine 35-minütige Kurzversion ist möglich. Vor allem Geschäftsleute nutzen das. Denn ein gepflegtes Äußeres ist heute Pflicht. Manikürte Hände, gute Kleidung und ein frisches Aussehen gehören dazu. Sport, Ernährung und Beauty und deren Wirkung sind wichtige Elemente eines selbst-bewussteren und Ausweis eines erfolgreichen Lebens.
"Männer wollen schon gern zehn Jahre jünger aussehen", weiß Stefanie Vujovi?. Das lässt sich schon durch die Entspannung während einer Behandlung erzielen. "Männer haben andere Ansprüche", sagt sie. "Sie wollen in der Entspannungszone im Studio nicht viel reden." Ihnen komme die medizinisch orientierte Ausrichtung und die klare, "cleane" Atmosphäre im Beauty Center zupass. "Wenn wir ihnen noch erzählen würden, dass unsere Geräte aus Star Trek stammten, wäre es perfekt", sagt sie lachend.
"Männer, die gefunden haben, was ihnen gut tut, bleiben dabei. Sie kommen dann regelmäßig alle vier bis fünf Wochen", beobachtete Vujovi?. "Das kommt ihrer Haut direkt zugute." Die ist naturgemäß anders beschaffen als die von Frauen. Die Epidermis, die oberste Hautschicht, ist dicker. Falten sind nicht so sichtbar und seltener Thema. Eingewachsene Haare nach der Rasur und die Pflege der sensiblen, gereizten Hautzonen sind dagegen Dauerbrenner: "Durch die Rasur fügen sich Männer täglich eine kleine Verletzung zu." Männern helfe ein Feuchtigkeit spendendes Serum wie das "Re-Charge Serum" mit Hyaluronsäure und Panthenol von BDR Cosmetics, mit dem Vujovi? arbeitet. Auf die gezielte Auswahl passender Produkte komme es an. "Männer haben zwei bis drei Produkte und nicht fünf wie die Frauen", weiß sie.
Männer bevorzugen Sprays fürs Gesicht
Eine cleane, neutrale Anmutung schätzen auch Männer, die die Produkte des deutschen Labels HighDroxy nutzen. Gründer Thorsten Abeln, der die Marke vor zwei Jahren auf den Markt brachte, wollte Abhilfe für seine eigene gereizte und leicht gerötete Haut schaffen. Wer, wenn nicht er, wüsste besser, was Männer brauchen? Die HighDroxy-Produkte vom leicht peelenden "Face Serum" bis zum besonders pflegenden Hautöl "LipidOr" sind grundsätzlich für Männer wie Frauen gleichermaßen geeignet. Männer bevorzugten aber den "B Calm Balm" und das "Hydro Spray", beobachtete Abeln. Während der leichte, fettreduzierte Pflegebalm aus dem Pumpspender ein "cremiges" Gefühl beim Auftrag mitbringt, kommt das Spray noch unkomplizierter daher. Aufsprühen, kein großes Tamtam und schon sind Wirkstoffe wie vierprozentiges Niacinamid und Beruhigendes wie Panthenol und Grüntee-Extrakt da, wo sie hingehören, auf der Haut im Gesicht. "Das Spray ist ideal nach der Rasur, dem Sonnenbad oder bei trockener Raumluft", sagt Abeln. Ein Produkt wie der "B Calm Balm", das zartherb nach Hopfen, Weihrauch und Lakritze duftet, erhält auch deswegen Extra-Sympathiepunkte bei Männern. Qualität zählt inzwischen bei beiden Geschlechtern. "Die Männer wollen ebenso wissen, welche Inhaltsstoffe die Produkte enthalten und was für sie besonders gut geeignet ist." HighDroxy veröffentlicht auf seiner Webseite ausführliche Produkt- und Wirkstoff-Steckbriefe.
Wo die Pflege an der Basis, auf und unter der Haut, beginnt, geht die "bedeckende" Kosmetik einen Schritt weiter. Ganz gleich ob mit oder ohne Farbe: "Der Mann möchte agil und ausgeruht wirken", weiß Daniel Schleicher von Beni Durrer Beauty. In der Pflege setzt auch er auf ein feuchtigkeitsspendendes, ölfreies Fluid aus dem eigenen Label "BD", das Männerhaut entgegenkommt. "Aus dem Spender, das mögen Männer lieber als Tiegel." Vielleicht, weil die meisten ihr Einstiegserlebnis in die Kosmetik über die Creme ihrer Frau und heimliches "Naschen" am fremden Tiegel hatten?
Speckiger Glanz und Rötungen sollen in jedem Fall verschwinden. Gegen mit Puder aufgefüllte Lücken in Bart oder Augenbrauen haben Männer ebenso wenig einzuwenden. Meist überzeugen die Fakten, etwa nach einem Fototermin. Wer sich zwischen der Wirkung von "mit" oder "ohne" entscheiden konnte, bevorzuge immer die Variante mit BB-Creme, pudriger Foundation oder Puder, beobachtete Daniel Schleicher. Erst auf dem Foto, dann auch im "echten Leben". "Es soll gut aussehen, aber vom Gegenüber nicht zu bemerken sein." Dann herrsche vielleicht Offenheit für einen Lippenbalm, "der aber nicht von der Tönung beseelt sein darf." Nächstes Level sei das wache Auge. Ringe und Müdigkeit sollen verschwinden: "Rund ums Auge sind Concealer gefragt."
Immer wieder lautet das Zauberwort: Unsichtbarkeit. Sorgfältig verblendete Cremetupfen und fein verteilter Puderstaub sind im Ergebnis nicht wahrnehmbar. Selbst wenn sich das für die Männer meist anders anfühlt. Die Gewöhnung dauert eben einen Moment. Nur vor der Wimpernfärbung, die den Augen noch mehr Ausdruck verleiht, schreckten die meisten noch zurück.
Der Nutzen überzeugt jenseits von Trends
"Unsere Make-up-Artists in Ausbildung bringen oft ihre Männer als Models mit. Die wissen das Schminken sehr zu schätzen", sagt Schleicher. Anschließend würden durchaus eine Dose vom pudrigen Make-up und ein Pinsel gekauft und zu Hause benutzt. Selbstgefühl und Komplimente fürs frische, wache Aussehen tun ihre Wirkung. Es versteht sich allerdings, dass "unter Männern" nicht über die kleinen Schönheitsgeheimnisse gesprochen wird. "Aber die Männer kommen wieder und fragen gezielt nach ihren Produkten."
Generell seien die Jüngeren aufgeschlossener, aber auch bei Männern aus dem mediterranen und orientalischen Kulturkreis sei die Akzeptanz größer. Manch einer erkennt den Nutzen jenseits aller Trends und Entwicklungen. "Unser größter Einzelverkauf ging an einen evangelischen Pfarrer, der auch Videos aufgezeichnet hat. Er hat sich bei uns beraten und ein Paket für 900 Euro zusammenstellen lassen", sagt Schleicher. Gutes Aussehen und ein gepflegter Auftritt wirken eben in jedem Beruf. Auch bei denen im Namen des Herrn.
Beni Durrer Beauty: www.benidurrer.com
Capegold Medical Beauty Center: www.capegold.de
HighDroxy: www.highdroxy.de
Ute Schirmack