Wer seinen nächsten Urlaub mit dem Auto in Italien plant und über den Brenner und durch das Eisacktal anreist, sollte mehr Zeit einplanen. Denn Besuche in Klausen und auf dem Säbener Felsenhügel sind mehr als nur einen kurzen Abstecher wert.
Wer mit dem Auto die Alpen über den Brenner quert, um dann das knapp 100 Kilometer lange Eisacktal gen Süden zu durchfahren, wird nicht viel vom Reiz der Landschaft mitbekommen. Im Gegenteil: Die Flanken des Tals sind verschandelt durch die Autobahnstraße, über die sich in beiden Richtungen lange Lkw-Schlangen quälen – durch Industrie- und Gewerbeansiedlungen – dazwischen sind heruntergekommene Hotels und Mautstationen – keine Augenweide das alles. Aber wie soll es auch anders sein, wenn die umliegenden Berge alles zusammenzudrücken scheinen und der Warenverkehr von Nord nach Süd das Allerwichtigste für Handel und Wohlstand ist? Von Italien ist hier erst am Ende des Tals unweit von Bozen etwas zu erahnen, und so will man einfach nur schnell hindurch.
Verkehrsweg schon über Jahrtausende
Das Eisacktal ist schon jahrtausendelang ein Verkehrsweg für Reisende, Händler, Handwerker und Künstler, eine Route auch für die Mächtigen und Eroberer. Römische Legionen zogen hier hindurch, um Germanen zu unterwerfen, später nahmen deutsche Könige mit ihren Heerscharen die umgekehrte Richtung, um sich vom Papst die Kaiserkrone aufs Haupt drücken zu lassen. Was politisch und wirtschaftlich so bedeutend war, blieb Zankapfel zwischen den europäischen Mächten, bis nach Ende des Ersten Weltkriegs ganz Südtirol Italien zufiel. Die Spannungen hielten an bis in die jüngste Zeit. Heute spricht man von der autonomen Provinz Bozen, womit sich alle arrangiert zu haben scheinen. Gesprochen wird hauptsächlich Deutsch und Italienisch. Wer hier dauerhaft lebt, sieht sich als Südtiroler, nicht als Italiener, Deutscher oder Österreicher.
Doch das Tal erzwingt Beachtung, mehr noch Bewunderung. Denn nur wenige Kilometer südlich der reizenden Stadt Brixen muss selbst dem auf dem Talgrund eingekesselten Autofahrer ein mächtig schroffer, 200 Meter hoher Felsen ins Auge springen, auf dem ein alles überragender Bau thront: das Burgkloster Säben über dem kleinen Städtchen Klausen. Stadt und Kloster sind unbedingt einen längeren Besuch wert. Schon Albrecht Dürer machte hier auf seiner Italienreise Halt, denn selten ist auf so engem Raum so viel Mittelalter zu besichtigen. In Klausen geht es gemütlich zu, man sollte sich also einfach treiben lassen. Vielleicht mit einem Bummel am Ufer der Eisack beginnen, wo das hellgrüne, klare Wasser aus den Bergen über Steine und Schotter fließt.
Schon hier sind die Winkel rund um die Pfarrkirche ausgesprochen malerisch, über den Dächern ragt die Burg Branzoll auf. 1250 wurden sie von den Herren von Säben errichtet, im 15. und 16. Jahrhundert war sie Sitz der fürstbischöflichen Amtsrichter. Heute ist das Gebäude in Privatbesitz und leider nicht zu besichtigen. Das ist nicht so schlimm, denn schon als Kulisse trägt es viel zum mittelalterlichen Eindruck Klausens bei. Vom Marktplatz aus schlendert man am besten die historische Altstadtmeile entlang, eine einzige Stadtgasse von Norden nach Süden, an der sich das ganze Geschäfts-und Wirtshausleben abspielt. Dieser schmale Weg hat eine gut erhaltene Bausubstanz, die bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht. Zinnengekrönte Fassaden, breite Erker und Butzenscheiben prägen das Bild, und die Stadt möchte es dabei belassen. Balkone dürfen hier nicht angebaut werden, eine Farbkommission gibt sogar vor, in welchem Farbton die Häuser geweißelt werden.
Musikprogramm und kulturelles Treiben
Klausen war immer schon ein wenig schmuckvoller und reicher als andere Flecken in der Gegend. Der Bergbau im hier mündenden Thinnetal brachte den Wohlstand; und die reiche Ausstattung der Klausener Kirchen war einträglichen Zolleinnahmen zu verdanken, die auch die Kassen der Bischöfe füllten. Klausen wurde als so malerisch angesehen, dass sich in dem verwinkelten Städtchen im späten 19. Jahrhundert eine ganze Kolonie von Malern, Dichtern und Künstlern ansiedelte. Und es soll sich auch heute hier gut leben lassen: Musikprogramme in der Altstadt, kulturelles Treiben und feine Bauernmärkte, die unter anderem Speck, Schnäpse, Käse und Bauernkrapfen anbieten, zeugen von Lebensqualität nach Südtiroler Art. Besonders lohnenswert ist der Besuch des Stadtmuseums Klausen, das im ehemaligen Kapuzinerkloster untergebracht ist. Es geht auf eine Stiftung der spanischen Königin Maria Anna (1667 – 1740) zurück und zeigt unter anderem in der Sammlung des Loretoschatzes kostbare Goldschmiedearbeiten, Kelche und Seidenstickereien nebst volkskundlichen Ausstellungsstücken.
Doch da ist noch der mächtige Felsen, der das Bild Klausens so beeindruckend prägt. Über alte, überwucherte Treppen führt der Weg zur Säbener Promenade hinauf zum Kloster der Benediktinnerinen. Der Buschweg verläuft am Südhang des Felsens, und es ist diese exponierte Lage, die hier die nördlichste Verbreitungszone submediterraner Flora bietet. Verwilderte Gartensträucher, seltene Blütenpflanzen, Hopfenbuchen und Robinien bieten hier über der engen und zunehmend verbauten Talsohle ein naturbelassenes Rückzugsgebiet für Pflanzen und Tiere. Schon auf dem ansteigenden Weg, für den man eine gute halbe Stunde einrechnen sollte, öffnet sich der weite Blick in das gegenüberliegende, stille Villnößtal mit den Ausläufern bizarrer Dolomitengipfel wie dem Peitlerkofel oder dem Tullen. Holzbänke entlang des Weges bieten neben ruhiger Rast solch herrliche Perspektiven.
Kloster ist seit September zu
Der Säbener Felsenhügel war schon in prähistorischer Zeit besiedelt, hier bildete sich in spätrömischer Zeit um 350 die erste frühchristliche Gemeinde, und so wurde der Felsen zum „Heiligen Berg" Tirols. Angemessen also, dass hier knapp 500 Jahre die Bischöfe residierten, bis sie es sich 990 anders überlegten und nach Brixen umzogen.
Ein Ort des Friedens war die immer weiter ausgebaute Burg jedoch noch lange nicht. Ging es um die Vorherrschaft im Land, war die Anlage in den Kriegswirren des Mittelalters stets hart umkämpfte Festung zwischen den Grafen von Tirol und den Bischöfen von Brixen. Erst als 1533 die Anlage durch Blitz und Donner in Schutt und Asche fiel, wurde es ruhiger. In den Ruinen wurde knapp 150 Jahre später das klösterliche Stift gegründet. Im September dieses Jahres schloss das Kloster seine Pforten – die letzten Nonnen zogen aus.
Geblieben ist die geschichtsträchtige Atmosphäre der mächtigen Anlage, deren ersten Innenhof man durch zwei in die Felsen gehauene Tunnel betritt. Die barocke Frauenkirche und die Heilig Kreuz Kirche sind jeweils kostenlos zu besichtigen. Äußerst sinnesfroh müssen die Erbauer und künstlerischen Gestalter der Heilig Kreuz Kirche gewesen sein, denn im ganzen Innenraum überraschen sehenswerte Kunstwerke. Beachtlich farbenfroh und formverspielt wurden die Wände mit großflächigen Malereien verziert, die durch ihre Perspektiven räumliche, täuschend echte Eindrücke hervorzaubern. Glaubt der Besucher noch am Eingang ein altes, karges Gotteshaus zu betreten, so sieht er sich von Säulenhallen und anderen Fantasiearchitekturen umgeben. Perfekt gestaltet, der reinste Bühnenzauber. Von stiller, bescheidener Andacht, versunken im gottesfürchtigen Gebet keine Spur.