Auch diesen Winter haben die Menswear-Designer wieder einen Anlauf unternommen, um die Männerwelt vom präferierten schlicht-funktional-sportlichen Look hin zu mehr Glamour, Farbe, Eleganz oder gar femininen Anklängen zu führen.
Allen Bemühungen verschiedenster Menswear-Designer zum Trotz bleibt das Verhältnis eines Großteils der Männerwelt zu anspruchsvoller Mode bestenfalls angespannt oder sogar gar nicht existent. Herren der Schöpfung, die sich ernsthaft für innovative Fashion-Trends begeistern können, werden in der modernen Gesellschaft noch immer als etwas schräg angesehen. Weil gemeinhin Kleidung für den Mann in erster Linie funktional und günstig zu sein hat und ästhetische Kriterien in der Regel höchstens als zweitrangig, wenn nicht gar als unwichtig eingestuft werden.
Das war beileibe nicht immer so, denn bis zum Untergang des Ancien Régimes infolge der Französischen Revolution waren die adligen Herren so etwas wie die Hauptakteure extravaganter Kleidung. Am Versailler Hof pflegte sich der französische König als Oberpfau zu präsentieren. Blaublütige Männer konkurrierten damals modisch als Ausdruck ihres Standes und ihres Reichtums mindestens auf Augenhöhe mit den aristokratischen Damen und zeigten sich daher in kostbarsten Stoffen, in leuchtend-bunten Farben und mit allen nur erdenklichen Accessoires bis hin zu hohen Absatzschuhen oder Seidenstrümpfen. Mit Beginn des bürgerlichen Zeitalters war damit abrupt Schluss. Die Herrenwelt verabschiedete sich von der als oberflächlich denunzierten Mode und damit auch von opulenter Kleidung und überließ fortan dieses Feld komplett den Damen, die inzwischen sämtliche Bastionen der Herrengarderobe für sich erobern und gleichberechtigt neben den weiblichen Klamotten einsortieren konnten.
Aufwendige Mode als Ausdruck des Ranges
Zunächst wurde der uniforme Anzug Standard in der Herrenbekleidung. Veränderungen ergaben sich später vornehmlich durch die Erfordernisse der Arbeitswelt, durch das Auftauchen einer Freizeit-Kultur oder durch den Boom der Sportswear. Neben dem Anzug finden sich daher inzwischen Jeans, Chino-Pants, T-Shirts, Bomberjacken, Hoodies oder Sneakers als Basics in fast jedem männlichen Kleiderschrank. Wobei die Maxime gilt: schlicht, sportlich und in gedeckten Farben. Wer modisch aus der Reihe tanzen möchte, hat es immer noch schwer. Der feminin angehauchte Look von auf Instagram gefeierten Stil-Ikonen wie Timothée Chalamet oder Harry Styles hat auf den Straßen noch kaum Anhänger gefunden. Wer will sich schon in Rock oder Schluppenbluse der sozialen Lächerlichkeit aussetzen? Auch wenn Designer oder Modemagazine nicht müde werden, diese oder ähnliche Teile immer wieder als Innovationen für die Menswear zu propagieren. In der es neue Trends ohnehin viel schwerer haben als in der Damenmode, weil sich Mode für Männer viel langsamer bewegt und ändert als in der Ladys-Fashion und wirklich bahnbrechende Würfe wie Hedi Slimanes Slit-Fit-Silhouette aus dem Jahr 2001 auch nicht alle Tage auftauchen. Und der seit geraumer Zeit dominierende Athleisure-Look für Erfolg versprechende Neuansätze in der Herrenmode nicht gerade förderlich ist.
Vor diesem Hintergrund sollen nun die wichtigsten Menswear-Trends des Winters 2021/2022 aufgelistet werden. Wobei pandemiebedingt vergleichsweise wenige Modehäuser spezielle Kollektionen, meist auf digitaler Bühne, präsentiert hatten. Die deutsche „Vogue" und die „Neue Zürcher Zeitung" sind sich einig in der allgemeinen Einschätzung, wonach die Entwürfe von einer sogenannten Flamboyance geprägt sind, einer elegant-expressiven und zugleich glamourös-farbenprächtigen Tendenz nach der sportlichen Streetwear und dem komfortablen Pandemie-Home-Office-Look. Wofür elegante Schlaghosen, breite Blazermäntel und hautenge Longsleeves die besten Beispiele sein sollen. Am ausgeprägtesten war der Flamboyance-Style in den Kollektionen von Louis Vuitton (Virgil Abloh) und Loewe (JW Anderson) zu bestaunen. Aber auch Labels wie Y/Project, Jil Sander, Tods, Christophe Lemaire, Dior Men (Kim Jones) oder Fendi machten mit. Doch auch diesen Winter wird man davon ausgehen können, dass die Mehrzahl der kühnen Designer-Trends den entscheidenden Schritt vom Laufsteg über die Ladentheke nicht schaffen werden.
Schlaghosen: Zwar von den 70ern inspiriert, aber in Richtung Eleganz weiterentwickelt. Bei Louis Vuitton, Tod’s, Dries Van Noten oder Casablanca, in Pastellfarben mit Bundfalten, prominent in der Kollektion vertreten.
Breitschultrige Blazermäntel: Die Outerwear-Innovation der Saison. Die Mäntel sind sehr lang geschnitten und meist doppelt geknöpft. Der ausladende Schulterschnitt weckt Assoziationen an sportive Blazer, wie sie Basketball-Ikone Michael Jordan vor gut 20 Jahren so geliebt hatte. Tolle Coats gibt es von Louis Vuitton, Jil Sander oder Wales Bonner.
Trenchcoats: Auch wenn derzeit von einem Revival des Klassikers gesprochen wird, so war der Mantel doch nie weg vom Fenster. Diese Saison haben sich die Designer wie Fendi, Louis Vuitton, Dries Van Noten oder Ermenegildo Zegna aber zu den militärischen Ursprüngen begeben und voluminöse Coats mit so ziemlich allen Army-Deko-Details entworfen.
Maskuliner Beitrag zum Après-Ski-Chic
Schwere Ledermäntel: Harte Zeiten scheinen robuste Mäntel zu bevorzugen. Diesen Eindruck bestätigen Labels wie Loewe, Fendi, Prada oder Casablanca mit massiven Leather Coats.
Bomberjacken/Pufferjacken: Wenn Top-Labels wie Giorgio Armani oder Prada mit neuen Pieces, mal eher kurz, mal länger geschnitten, auf den Markt kommen, kann man getrost davon ausgehen, dass Bomberjacken noch immer en vogue sind. Eleganter wirken aber die aktuellen Pufferjacken von Fendi, Rick Owens, Hed Mayner, GMBH oder Solid Homme.
Highschool-Sport-Jacken: Jacken, wie sie von Highschool- oder Uni-Sport-Teams getragen oder durch College-Movies wie „Grease" bekannt gemacht wurden, feiern derzeit bei Dolce & Gabbana, Prada oder Wooyoungmi modische Wiederauferstehung.
Expressive Strickpullover: Statt für brav unifarben gehaltene oder mit traditionellen Mustern versehene Strickteile sollen sich die Herren diesen Winter für Pullover mit auffälligen Motiven (Etro, Loewe, Canali), Prints oder Logos entscheiden. Hermès zeigt beispielsweise einen im Matisse-Style gestalteten Sweater, bei Missoni, Versace, Prada oder Comme des Garçons gefällt ein abstrakt geometrischer Musterprint. Bei Dior wurde ein Rollkragenpulli nach Entwürfen des Künstlers Peter Doig artistisch geschmückt. Ein wenig erinnern die neuen Pieces, unter denen bei Études, Louis Vuitton oder Solid Hommes wie in der aktuellen Damenmode auch Grobstrick vertreten war, an frühere Print-Hoodies.
Anzüge: Quasi jede Saison wird von einem neuen „Classic Tailoring" gesprochen. Was sich dahinter verbergen soll, wird nie richtig klar. Kein Problem, da angesichts der Vielseitigkeit der Suits jeder Mann ein ihn ansprechendes Exemplar finden dürfte.
Wattierte Skihosen: Den maskulinen Beitrag zum aktuellen femininen Après-Ski-Chic liefern die Menswear-Designer mit wattierten, aufgepufferten Hosen, wie sie Fendi, ERL, MSGM oder Dries Van Noten im Programm haben.
Winter-Shorts: Nackte Beine an kalten Wintertagen dürften kaum jemanden gefallen. Umso überraschender, dass viele Labels (Etro oder MSGM) aktuell Shorts in ihren Kollektionen führen, bei Fendi sogar in wattierter Ausführung. Aber die Flucht in warme Gefilde ist ja immer möglich.
Party-Pyjamas: Ziemlich schräg und kaum mehr als ein Versuchsballon – ob Männer je den weiblichen Lingerie-Look imitieren werden, darf stark angezweifelt werden, auch wenn das Marken wie ERL, Dior, Dries Van Noten oder Prada anders sehen dürften.
Pullunder: Das einst als piefig abgestempelte Oberteil sorgt nun auch in der Menswear für Furore. Sweater Vests finden sich denn auch in nahezu sämtlichen Kollektionen, beispielsweise bei Fendi, Etro, MSGM, Hermès oder Louis Vuitton. Wahlweise monochrom oder wild gemustert.
Strick-Polos: Die Luxus-Exemplare aus kostbarem Kaschmir haben Prada oder Jil Sander in ihrem Sortiment. Aber auch Isabel Marant, Hermès oder Ermenegildo Zegna zeigen den Polo-Klassiker in neuem Style.
Motto-T-Shirts: Wer eigenes Denken seinem Lieblingsdesigner überlassen möchte, kann zu mit mehr oder weniger sinnvollen Sprüchen bedruckten T-Shirts greifen. Klar, dass Balenciaga und Vetements an vorderster Stelle mit dabei sind.
Morgen- oder Hausmäntel: Falls doch nochmal ein Lockdown mit Hausarrest kommen sollte, werden die Männer dank neuer Hausmäntel bestens gerüstet sein. Mit dem Exemplar von Louis Vuitton kann man in jedem Spa eine gute Figur machen, die eleganten Pieces von Fendi, Ermenegildo Zegna oder Louis sind sogar straßentauglich.
Röcke/Kilts/Tuniken: Ein neuer Designer-Anlauf in Sachen Skirts, wobei Medien wie „Die Welt" oder die „Vogue" dem Männerrock nun schon bessere Erfolgschancen eingeräumt haben. Dennoch bleibt Skepsis angesagt, zumal die meisten Exemplare wie bei Loewe, Dries Van Noten oder JW Anderson ziemlich expressiv daherkamen. Vom Plissee-Kleid des Labels Issey Miyake oder vom Pleats-Skirt mit aufgeplusterten Ärmeln von Louis Vuitton gar nicht erst zu sprechen.
Karamell als Überraschung des Jahres
Hautenge Longsleeves: Langarmshirts sind ja nicht unbedingt etwas ganz Neues, aber sie werden diesen Winter durch Wales Bonner oder Rick Owens wieder in den modischen Mittelpunkt gerückt.
Handtaschen: Diesmal propagieren die Designer vor allem die XL-Taschen für Herren. In der Softy-Variante wie bei Dior oder Tod’s zum Anschmiegen an den Körper, in der häufigeren Cross-Body-Version wie bei Etro, Dries Van Noten oder Louis Vuitton zum Transportieren über der Brust. Wie bei Damenaccessoires gibt es aber auch bei Marken wie Fendi, OAMC, Etro oder Wooyoungmi den gegenläufigen Trend zu Mikro-Bags, in denen nicht mal das Smartphone Platz finden kann. Aber für das Handy gibt es spezielle Phone-Cases, die man stilvoll an einer Halskette mit sich tragen kann.
Gummistiefel/Wellies: Mit den derben Tretern vom Bauernhof haben die neuen Wellingtons nichts mehr gemein. Sie sind deutlich eleganter gestaltet und können daher diesen Winter den Sneakers durchaus ernsthafte Konkurrenz machen. Mit Military-Touch bei Jil Sander oder Dior, eher traditionell bei MSGM, Loewe oder Tod’s.
Logo-Baseball-Caps/Bucket Hats: Basketball-Mützen, wie sie Balenciaga, Dunhill oder Isabel Marant aktuell pushen, werden sich diesen Winter ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den seit einigen Saisons dominierenden Bucket Hats (neue Modelle bei Loewe oder Isabel Marant) liefern.
Balaclavas/Sturmhauben: Wenn mal gerade keine Hoodie-Kapuze zur Hand sein sollte, können Sturmhauben von Givenchy, Vetements oder Celine die Rettung sein.
Farbtrend Karamel: Während einige Fashion-Insider diesen Winter vor einem regelrechten Red Alarm in der Herrenmode warnen, obwohl Rot schon seit einigen Saisons immer wieder in den Kollektionen aufgetaucht war, ist die eigentliche Color-Überraschung derzeit das Karamell, jener Ton zwischen Blond und hellem Braun. Wobei Marken wie Etro, Fendi, Tod’s, Officine Générale oder Louis Vuitton einen Karamell-All-Over-Look auf den Laufstegen vorgemacht haben. Eine Alternative zu Karamell sind aktuell farblich nah verwandte Sandtöne.