Der Rammelsberg im Harz punktet mit inneren Werten: dem Erz und seinem Bergbau, der in rund 3.000 Jahren die ganze Gegend prägte und Geschichte machte. Als Teil der Weltkultur schützt heute die Unesco dieses Erbe: Besucherbergwerk, Goslars Altstadt und Oberharzer Wasserwirtschaft.
Still und friedlich ruht der Rammelsberg. Nur das Krächzen eines Raben schallt von oben aus dem Fichtenwald herunter. Die Blicke schweifen über seinen Nordhang, der am Fuß fast bis zum Stadtrand reicht. Fest mit dem schrägen Untergrund verwachsen, schieben sich etagenweise breite, niedrige Gebäude mit flachen Dreiecksdächern aus dem Berg heraus.
Die strenge Symmetrie der Industrieanlage, geschaffen in den 1930er-Jahren von Fritz Schupp und Martin Kremmer, trägt fast sakrale, tempelhafte Züge. Und das mit Absicht. Betrieb man um das Erz, das hier gewonnen wurde, doch wahrhaftig einen Kult. Den Eindruck des Besonderen bekräftigt der Gedanke daran, wie viel Kupfer, Blei und Silber, Zink und Gold womöglich noch im tiefen Inneren des Berges schlummern. Viele, viele Tonnen davon rang man ihm in schwerster Arbeit ab.
So ruhig und idyllisch sich das Bergwerk heute dem Betrachter zeigt, ist schwer vorstellbar, welch unheimliches Rattern, Klappern, Dröhnen hier lange Zeit den Ton angab. In Anbetracht der ältesten Produkte „Made at Rammelsberg" – Schmuck der Bronzezeit – begann der Bergbau hier bereits vor drei Jahrtausenden.
Der Kult um Kupfer, Blei und Silber
Nachdem 1988 der letzte Förderwagen aus der Zeche rollte, und Verpackungskünstler Christo ihn samt Inhalt als Objektkunst konservierte, kämpften Denkmalschützer um den Erhalt des Bergwerks. 1992 erklärte es die Unesco gemeinsam mit der Altstadt Goslar und der Kaiserpfalz zum Welterbe. Später nahm sie auch die Oberharzer Wasserwirtschaft in das Ensemble auf.
Der Rammelsberg wurde zum Besucherbergwerk umgestaltet. Zusammen mit dem Bergbaumuseum wurde es 2001 eröffnet.
„Der Weg durch den weitläufigen Ausstellungskomplex ist der gleiche, den früher schon die Kumpel gingen", sagt Dr. Martin Wetzel in der einstmaligen Lohnhalle mit den großen Deckenleuchtern. „Dieser Raum dient jetzt wie damals kommunikativen Zwecken", erklärt der Pressemann des Rammelsbergs, der aus Respekt und Tradition die graue Kluft der Kumpel trägt. „Wo die Bergleute ihre Order erhielten, nach der Arbeit Rapport bei den Steigern leisteten und Lohn empfingen, kaufen nun Museumsgäste ihre Tickets, informieren sich und buchen Führungen", so Wetzel. Die nächste soll in wenigen Minuten starten.
Durch eine Tür am Hallenende betreten die Besucher einen hohen, hellen Saal mit schmalen Fenstern. An dünnen Seilen hängen Stiefel, Jacken, Hosen von der Decke. Im ersten Augenblick denkt man an Theater oder eine Kunstinstallation. Doch es ist die Mannschaftskaue, Wasch- und Umkleideraum – ein authentischer Ort, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint.
„Was Sie da oben sehen, sind die Kleiderkörbe der Bergleute", verrät ein Mann in strahlend weißer Bergarbeiterkluft. Es ist der Grubenführer Frank Galitzka, der hier auf seine Gäste wartet. Sobald auf jedem Kopf ein gelber Schutzhelm sitzt, beginnt die Tour. Über den oberen Werkshof geht es wieder raus ins Grüne – zunächst zum Herzberger Teich. Ein paar Badende tummeln sich darin.
„Vermutlich wurde der kleine Waldsee schon im 15. Jahrhundert angelegt. Herrschte Trockenheit, nutzte man sein Wasser als Reserve, um die Kehr- und Kunsträder in den Gruben anzutreiben", so der Rammelsberg-Experte. Die Oberharzer Wasserwirtschaft, zu der der Teich gehört, war ein ausgeklügeltes System von Speichern, Leitungen sowie Maschinen, mit denen man die Bergwerksenergie erzeugte.
Kaum ein Bereich der Wirtschaft hat seinen jeweiligen Standort derart verändert wie der Bergbau. Wo er betrieben wurde, prägte er Natur und Landschaft, formte und benutzte sie. Und das Gleiche tat er mit den Menschen. Weil er Arbeit brachte und für wenige auch Wohlstand, ordnete sich seinen Zwängen alles unter.
Wie ein Burgverlies im Mittelalter
Der Bergbau regelte den Alltag und die Feiertage, bestimmte die Gesetze, Traditionen, beeinflusste die Politik, den Glauben und sogar die Sprache. Erste Bergmannswörterlisten gab es schon um 1500, ab dem 17. Jahrhundert regelrechte Wörterbücher. Woher auch sollte man sonst wissen, dass „Gezähe" Werkzeug heißt und „Pöngel" Wäschebündel, eine Kappe eigentlich ein Balken ist und der Bergmann zu besonderen Gelegenheiten einen „Kittel" (Tracht) trägt?
„Das ist das Mundloch in den Roederstollen", sagt Frank Galitzka vor einem in den Berg gemauerten Portal und öffnet dessen schmiedeeisernes Tor. Um die damalige Förderleistung zu erhöhen, habe sein Namensgeber und Entwickler, Oberbergmeister Johann Christoph Röder (1729 – 1813), in den Wendejahren vom 18. zum 19. Jahrhundert das Bergwerk Rammelsberg grundlegend umgestaltet, erzählt der Guide. Die Grube zu entwässern und ihre Wasserkraft zugleich zur Erzbeförderung zu nutzen, oblag dem Roederstollen fast 100 Jahre lang. Den Gästen winkend, ihm in den Berg zu folgen, kommentiert Galitzka: „Wir fahren ein."
Ja, richtig, denn in der Bergmannssprache fährt man manchmal auch zu Fuß – so wie gerade eben auch Galitzkas Gruppe. Vor ihr öffnet sich ein langer, schmaler, schwach beleuchteter Gewölbegang, der gut zu einem mittelalterlichen Burgverlies gehören könnte. Hin und wieder tropft es schon. Dann läuft da ein Rinnsal an der Wand herunter, dort hört man schon leises Plätschern.
Während sich die technisch Interessierten vor allem auf die eindrucksvollen Kunst- und Kehrradstuben freuen und dort die „Künste" (Maschinen) dann aus möglichst vielen Blickwinkeln bestaunen, genießen andere „die Schönheit der Natur". Denn je tiefer es hinein- und dann hinuntergeht, wird es nicht nur feuchter, sondern auch viel bunter.
„Das sind Vitriole", sagt Galitzka und zeigt auf herrlich leuchtend blaue, grüne und türkise Adern im Gestein. Neben diesen Schwefelsäuresalzen, die etwa als Rohstoff für die Produktion von Farben dienen, schimmern da im Schein der Grubenlampen viele weitere Mineralien an den Stollenwänden. Überwiegend braun bis rötlich, auch gelb und weiß und manchmal silbrig glitzernd – einfach faszinierend schön!
Wer hübsche Steine mag und viel darüber wissen möchte, kann sich nach der Führung aufs Museum freuen. Auf den unteren Ebenen der imposanten Erzaufbereitungsanlage mit ihren Riesenbottichen hat nämlich die Geologie- und Mineralogieaustellung einen außergewöhnlichen Platz gefunden. Umringt von wuchtigen Maschinen, in schlanken Glasvitrinen wirkungsvoll beleuchtet, präsentiert sie dort die Schätze des Rammelsbergs.
Ein Kunstwerk erinnert an den Ritter Ramm
Die 1906 errichtete Kraftzentrale gleich nebenan ist das älteste und dank Türmchen und Rundbogenfenster wohl attraktivste Gebäude auf dem Rammelsberg. Seine Turbinen und Schaltanlagen vermitteln einen Eindruck in den Energiealltag des Bergwerkbetriebes. Heute ist das Haus zugleich ein Ort moderner Kunst.
Solche gibt es gleichfalls auf dem Hof zu sehen. Gerade frisch restauriert, steht dort wieder die „Hommage au Rammelsberg" von Christoph Wilmsen-Wiegmann. Mit diesem Werk aus großen, eingerahmten Brocken ehrt der Bildhauer das Erz. Auch vis-à-vis im Magazingebäude, wo sich alles um Geschichte dreht, mischen zeitgenössisches Design und Kunst in großem Maße mit.
Ein Star der Schau ist die farbenprächtige Skulptur „Silver". Der US-amerikanische Bildhauer und Pop-Art-Pionier John Chamberlain gestaltete sie 1994 in der Art eines mittelalterlich gerüsteten Turnierpferdes aus einer schwarz gelackten Karussellfigur und kunterbuntem Autoschrott. Das Kunstwerk ehrt das brave Ross des Ritters Ramm, dessen sagenhaftes Hufescharren einst die erzhaltigen Steine und schließlich den Goslarer Bergbau ins Rollen gebracht haben soll.
Der Legende nach hatte Kaiser Otto I. seinen Gefolgsmann Ramm zur Jagd beordert. Außer frisch erlegtem Wild brachte dieser dann auch einige der Funkelstücke mit zurück. Der Fundort, nach dem Entdecker fortan Rammelsberg genannt, wurde bald zur Abbaustätte – und die Geschichte spätestens von da an Wirklichkeit.