Der Texaner Daniel Roseberry ist nicht nur der erste US-Bürger an der Kreativspitze eines der klassischen Haute-Couture-Häuser. In gerade mal zwei Jahren belebte er die Marke Schiaparelli wieder – und machte sie zum Kultlabel der Hollywoodstars.
Als Lady Gaga am 20. Januar 2021 zur Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joe Biden die Nationalhymne sang, hielt die Welt kurzzeitig den Atem an. Was nicht nur an der geradezu inbrünstigen Intonierung von The Star-Spangled Banner durch den Megastar lag, sondern vor allem auch mit der atemberaubenden Robe der Pop-Queen zu tun hatte. Ein dunkelblauer Kaschmir-Body war mit einem wallenden, leuchtend-roten Seidenrock kombiniert, überstrahlt wurde das perfekte Ensemble von einer über der linken Brust getragenen kunstvollen goldenen Taubenbrosche. Die Farben der US-Flagge waren somit mit dem Friedenssymbol verbunden. Lady Gagas Outfit war so beeindruckend, dass sich fast zwangsläufig die Frage nach dem dafür verantwortlichen Designer stellen musste.
Mit dem Namen Daniel Roseberry konnten bestenfalls absolute Fashion-Insider etwas anfangen. Der große Rest der Modeszene hatte lediglich den Amtsantritt des Nobodys als Kreativdirektor der Maison Schiaparelli im April 2019 zur Kenntnis genommen. Und sich wahrscheinlich keine darüber hinausgehenden Gedanken gemacht, weil vor ihm mit Christian Lacroix, Marco Zanini und Bertrand Guyon bereits drei Kollegen beim schon seit 2012 in die Wege geleiteten Versuch einer Wiederbelebung des von Elsa Schiaparelli 1927 gegründeten und seit 1952 in einen Dornröschenschlaf verfallenen Traditionshauses Schiaparelli grandios gescheitert waren. Die ersten Haute-Couture-Präsentationen Roseberrys wurden wohlwollend-knapp und relativ oberflächlich mit dem häufig verwendeten Adjektiv „surreal" kommentiert. Damit wurde direkt auf Elsa Schiaparellis früheren Umgang mit Künstlerkreisen um Salvador Dalí, Man Ray oder Jean Cocteau Bezug genommen, woraus für die damalige Zeit geradezu revolutionäre Kreationen aus der ungewöhnlichen Vermischung von Mode und Kunst entstanden waren.
Dass Roseberry, dem einzig die „Vogue" schon ganz früh das Potenzial eines John Galliano zugetraut hatte, gleich nach seiner Bestallung erstmals in der langen Geschichte des Traditionshauses auch eine Prêt-à-Porter-Kollektion ins Leben gerufen hatte, wurde hingegen kaum zur Kenntnis genommen. Schließlich wurden für die etwas alltagstauglicheren, beim hauseigenen Webshop orderbaren Abwandlungen der spektakulären Haute-Couture-Traumroben immer noch kaum erschwingliche Luxuspreise verlangt. Es konnte fast der Eindruck entstehen, dass der mächtige Boss hinter Schiaparelli seinem neuen Kreativmitarbeiter an der Seine erst mal probeweise freie Hand ließ. Der milliardenschwere Italiener Diego Della Valle hatte sein Nobelmarken-Portfolio aus Tod’s, Hogan und Fay anno 2007 um das Pariser Maison erweitert.
Als Glücksfall sollte sich für Roseberry dann erweisen, dass plötzlich berühmte Stars aus der Welt des Showbusiness auf der Suche nach Gala-Roben für den Glamour-Auftritt auf den roten Teppichen auf seine Kreationen aufmerksam wurden. Als Kim Kardashian zu Weihnachten 2020 ihr giftgrünes Bustier von Schiaparelli in den sozialen Medien gepostet hatte, schlug das dort hohe Wellen. Auch wenn das auf der Vorderseite eingebaute, jedem Bodybuilder zur Ehre gereichende künstliche Sixpack zu einigen süffisanten Kommentaren und hämischen Vergleichen mit Hulk geführt hatte, mit dem Roseberry nahtlos an Elsa Schiaparellis einstige Skelett-Applikationen anknüpfen konnte. Doch nach Lady Gaga standen die Promi-Damen bei Roseberry gewissermaßen Schlange. „Die Leute kommen zu uns als Alternative zu Massenluxushäusern", so Roseberry, „sie suchen nach etwas wirklich Mächtigem." Beyoncé gab sich im März 2021 bei den Grammy Awards in einem schwarzen weit ausgeschnittenen Schiaparelli-Leder-Mini-Dress mit passenden Ledergloves die Ehre. Zur gleichen Zeit tauchte „The Crown"-Star Emma Corrin bei den Critics’ Choice Awards in einem Roseberry-Mini-Black-Dress mit freizügigem, von schmückenden Verzierungen eingerahmtem Bauch-Cut-out auf.
Mal Körperteile, mal Tiere
Bella Hadid zog die Kameralinsen im Juli 2021 auf den Filmfestspielen in Cannes mit ihrem Auftritt in einem schwarzen Schiaparelli-Kleid mit offenem, von einer riesigen, goldenen Lungenflügeln nachempfundenen Kette bedecktem Dekolletee geradezu magisch an. Exzentrische Schmuckstücke, mal Tiere, mal menschliche Körperteile figural in Goldfarben nachempfindend, gehören seit jeher zur Schiaparelli-DNA. Adele ließ sich im September 2021 anlässlich eines Hochzeitsbesuches in Schiaparelli ablichten, Cardi B war zur gleichen Zeit bei der Fashion Week an der Seine in von Roseberry entworfenen Klamotten unterwegs. Und Halle Berry schließlich präsentierte im Oktober 2021 laut der „Vogue" „das ultimative Little Black Dress" aus der Haute-Couture-Kollektion für Herbst/Winter 2021/2022. Das messerscharf geschnittene Satin-Blazerkleid, das in der Mitte mit goldenen skulpturalen Details verziert war, ging viral ab wie eine Rakete. Die „Vogue" bescheinigte Roseberry denn auch „ein unglaubliches Jahr" 2021, in dem der Designer „einige der denkwürdigsten Looks des Jahres für den roten Teppich entworfen" habe.
Grund genug auch für andere Medien, Daniel Roseberry und seine Kreationen geradezu hymnisch zu feiern, Schiaparelli in Gestalt des Fashion-Magazins „L’Officiel" sogar „zum Modehaus der Zukunft" zu küren und der Konfektionskleidung für den Sommer 2022 ausführliche Besprechungen und Bilderstrecken zu widmen. Und beispielsweise nie zuvor gesehene Bademoden mit opulenten Goldschmuck-Verzierungen, einen plüschigen Spa-Look samt Badelatschen (garantiert bald ein Instagram-Hit), zu Rettungsinseln aufblasbare Parkas oder mit fantastischen Applikationen wie aufgestickten Ohren samt Piercings, verfremdeten Augen oder goldenen Bijou-Nippeln aufgehübschte Basic-Kleidungsstücke zu präsentieren. Aber daneben gibt es neben zahllosen Plateausandalen auch eher Konventionelles wie ein raffiniert geschnittenes Rüschenkleid aus schwarzer Seide. Alles unter Roseberrys schelmisch formuliertem Motto stehend: „Es braucht guten Geschmack, um schlechten Geschmack zu haben."
Das familiäre Umfeld von Daniel Roseberry sprach nicht unbedingt für eine spätere Karriere im Fashion-Business. Denn Roseberrys Vater war Pfarrer, und auch einer seiner Brüder schlug in der nördlich von Dallas gelegenen texanischen Stadt Plano die kirchliche Laufbahn ein. „Aber die Frauen in meiner Familie waren sehr künstlerisch veranlagt, eine Großmutter ist Malerin, die andere Bildhauerin", so Roseberry. Die Mutter brachte ihm schon in früher Jugend das Zeichnen bei. Und über die Bewunderung der Kleidung, mit der sich seine Mutter immer für den Gottesdienst herausgeputzt hatte, wurde sein Interesse für die Mode geweckt, in deren Geheimnisse er sich immer weiter durch das Einschalten des Fashion-Channels auf dem heimischen Fernseher vertiefte. Auch die Nähe zur Metropole Dallas war förderlich, weil dort die Damen traditionell der Glamour-Kleidung verbunden sind und gern auch mal overdressed durch die Straßen flanieren.
Mit 19 Jahren machte sich Roseberry auf gen New York und begann dort ein Studium am Fashion Institute of Technology, das er aber schon nach wenigen Semestern abbrechen sollte, weil ihm Thom Browne anno 2008 einen Einstieg in dessen ziemlich exzentrische, häufig Anleihen aus dem Surrealismus verarbeitende Brand ermöglichte. Zehn Jahre lang sollte Roseberry Thom Browne die Treue halten, die letzten fünf Jahre war er als Design-Direktor für die Männer- und Damenkollektionen verantwortlich. Schon 2017 hatte ein Headhunter im Auftrag von Diego Della Valle bei ihm angefragt, ob er sich einen Wechsel zu Schiaparelli vorstellen könne. Aber letztlich war das Ganze im Sande verlaufen. 2018 schmiss er seinen Job schließlich hin, ohne eine neue Anstellung in petto zu haben. Laut eigenen Angaben war er schnell pleite, musste bei Freunden Unterschlupf suchen, mietete schließlich ein Studio unter der Manhattan Bridge in Chinatown, in dem er aus Kostengründen nicht einmal die Heizung anstellen konnte und machte frierend monatelang nichts anderes als Zeichnen sowie auf einen erlösenden Anruf zu warten. „Ich wusste damals", so Roseberry, „dass ich ins kalte Wasser springen musste, damit sich irgendwo ein Netz auftun konnte".
Frierend auf einen Anruf gewartet
Die Rettung brachte ein Telefonanruf von Diego Della Valle, der Roseberry nach einem persönlichen Treffen gebeten hatte, doch möglichst schnell seine Visionen für die Pariser Marke zu Papier zu bringen. Laut eigenen Angaben allein inspiriert von einem Schiaparelli-Duftflakon stürzte sich Roseberry sofort in die Arbeit, wurde einige Wochen später nach Paris eingeladen und am 1. April 2019 offiziell am repräsentativen Firmensitz an der berühmten Place Vendôme Nummer 21, wo einst schon Elsa Schiaparelli ihren Elfenbeinturm der Mode errichtet hatte, als Kreativdirektor des Hauses vorgestellt. „Ich freue mich sehr über Daniel Roseberrys Ernennung", so Diego Della Valle, „seine moderne und neuartige kreative Vision und seine vielfältigen Talente ermöglichen es dem Haus, alle Tätigkeiten in Achtung des einzigartigen Vermächtnisses der Gründerin, die Schiaparelli zu einer revolutionären Marke machte, weiterzuentwickeln." Fraglos eine große Herausforderung und ein gewaltiger Vertrauensvorschuss für einen 33-Jährigen, der noch niemals an der Spitze eines Luxusmodehauses gestanden hatte, keine formale Ausbildung in der Haute Couture vorweisen konnte und nicht mal ein einziges Wörtchen Französisch beherrschte.
Der Start wurde ihm durch ein eingespieltes und hochqualifiziertes Atelier-Team erleichtert, schließlich standen ihm gerade mal 63 Tage für den Entwurf seiner ersten, Anfang Juli 2019 vorgestellten Haute-Couture-Kollektion mit millimetergenau gefertigten Bekleidungskunstwerken, für die am Kauf Interessierte fünfstellige Euro-Beträge anlegen müssen, zur Verfügung. „Ein Großteil der Kollektion wurde durch das Ausspielen der Stärken des Teams hier im Atelier geprägt", so Roseberry, „dieses Haus ist ein schlafender Riese von Talenten – diese Leute sind hier, weil sie für ‚Schiap‘ sterben würden." Die Show verwandelte Roseberry in eine regelrechte Performance, indem er sich mitten auf dem Laufsteg zum Skizzieren niederließ und die Models um sich herum flanieren ließ. Das Zeichnen der Entwürfe sieht er noch immer als zentralen Bestandteil seines kreativen Schaffens, Farben, Muster oder Effekte kommen dann am Computer hinzu, danach machen sich die Mitarbeiter des Ateliers an die Arbeit. Wobei auch der Schmuck im eigenen Hause entworfen wird und anschließend bei Spezialisten in Frankreich oder für Konfektionskollektionen in Italien hergestellt wird. Roseberry geht ganz offen mit dem Erbe Schiaparellis um, jener Mischung von Surreal-Künstlerischem und Fantastischem. „Alles beginnt mit den Codes des Hauses, den surrealistischen Symbolen und meinem Wunsch, sie neu und modern auszudrücken", so Roseberry. Allerdings mache es aus seiner Sicht überhaupt keinen Sinn, zu tief in die hausinternen Archive hinab zu tauschen und Vergangenes einfach zu kopieren. „Für mich besteht die Herausforderung darin, das Ethos der Marke zu verkörpern und nicht zu versuchen, Elsas Arbeit zu wiederholen." In seinen ersten Kollektionen zeigte sich Roseberry sehr wandlungsfähig. Die vierte Haute-Couture-Präsentation für Herbst/Winter 2021/2022 stand unter dem Motto „The Matador" und überzeugte mit Elementen des Stierkampfs wie Hörnern, Montero-Hüten, bestickten Jacken oder schwarzen Roben aus Krepp. Beim Prêt-à-Porter dreht sich vieles um die surreal interpretierte Inszenierung der weiblichen Brust, womit Roseberry in die Fußstapfen eines John Galliano und dessen Bullet-Bra-Bustiers tritt, das Madonna anno 1990 weltberühmt gemacht hatte. Daneben gibt es auch einen übergroßen Herrenparka, eine dunkelblaue Cowboyhose aus Leder oder einen mit Leder bezogenen Trenchcoat.