Bis das Ahrtal wieder ein Zuhause bietet, werden Jahre vergehen. Der Wiederaufbau beginnt, aber wie geht es nun auf politischer Ebene weiter? Die rheinland-pfälzische Landesregierung hat Anfragen von FORUM dazu beantwortet.
Die ersten Meldungen des Landkreises kamen zu zögerlich oder zu spät, erreichten die meisten Menschen nicht, denn sie schliefen. Feuerwehren vor Ort waren auf sich gestellt, weil der Strom ausfiel und das Mobilfunknetz zusammenbrach. Fünf Tage dauerte es, bis das Land den Katastrophenschutz übernahm und einen überforderten Kreis ablöste. Viele Gründe, um den Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz zu überdenken. Debatten dazu gab es nach der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands reichlich. Das Ergebnis: das Cell-Broadcasting soll nun bundesweit eingeführt werden, sprich: Ein Handy-Funkmast sendet Warnungen an alle Geräte in Reichweite. Im Ahrtal läuft laut der Regionalzeitung „Blick" die Installation von 80 im Notfall per Akku betriebenen Sirenen mit Lautsprechern, um die Bevölkerung künftig per Warnton und Durchsagen zu warnen. Chaos herrschte aber vor allem auf der Ebene des Landkreises, dort, wo Katastrophenschutz in Deutschland üblicherweise koordiniert wird. Auch hier sind Verbesserungen nötig. Mittlerweile übernahm in Rheinland-Pfalz wieder der zuständige Landkreis Ahrweiler den weiteren Einsatz von Hilfskräften wie THW und DRK, die noch immer im Ahrtal unterwegs sind. Wie kann man sich künftig besser vorbereiten? Kürzlich haben Berufsfeuerwehren und der Verband der Feuerwehren im von der Flut ebenfalls betroffenen Nordrhein-Westfalen ein Strategiepapier vorgelegt, wie der Katastrophenschutz in diesem Bundesland verbessert werden könnte – zum Beispiel mithilfe regelmäßiger Bedarfsplanungen für den Katastrophenfall und durch ein Kompetenzzentrum auf Landesebene, welches das Ruder übernimmt, wenn der Katastrophenfall Landkreisgrenzen überschreitet. Ein möglicher Plan auch für Rheinland-Pfalz?
Welche Lehren generell aus den vergangenen Monaten zu ziehen sind, will eine Enquete-Kommission in der Landeshauptstadt Mainz aufarbeiten, erklärt das rheinland-pfälzische Innenministerium: Darin sollen elf Landtagsabgeordnete und sechs Sachverständige den Ereignissen am 14. und 15. Juli im Ahrtal auf den Grund gehen und Empfehlungen für künftige Katastrophenereignisse unter anderem für den Katastrophenschutz erarbeiten. Die Kommission tagt öffentlich. Im Mainzer Landtag arbeitet ein Untersuchungsausschuss die Katastrophe politisch auf, die „mit sämtlichen Lehren Blaupause für die Zukunft sein muss", so das Ministerium. Hier geht es um die Frage, welche Fehler für den Tod von 135 Menschen verantwortlich sind und wer dafür die politische Verantwortung trägt. Jürgen Pföhler, Landrat des Kreises Ahrweiler, wurde bereits in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Gegen ihn und einen weiteren Mitarbeiter des Kreises ermittelt die Staatsanwaltschaft in Koblenz unter anderem wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen.
Enquete-Kommission tagt in Mainz
Das Leben im Tal muss derweil weitergehen – und der Aufbau. Solange dieser andauert, wird der Tourismus in der Region brachliegen. „Das Ahrtal ist seit Jahrzehnten von Tourismus und Weinbau geprägt, Tourismus ist die wirtschaftliche Lebensader der Region", erklärt das Wirtschaftsministerium. Die Flut zerstörte nicht nur die im Tal liegenden Weinanbaugebiete, sondern auch die meisten Winzerbetriebe. Private Helfer kletterten durch die Weinberge, um wenigstens die noch übriggebliebene Weinlese 2021 einzufahren. Laut dem Verein „Ahrwein" werden die Schäden alleine im Weinbau auf 150 Millionen Euro geschätzt.
Bis der Tourismus im Ahrtal wieder so stattfinden kann, wie vor der Flutkatastrophe, wird noch Zeit vergehen. Auch in diesem Bereich steht jetzt der Wiederaufbau an allererster Stelle. „Dafür ist auch die Infrastruktur wichtig. Hier konnten wir dank der Leistung des Landesbetriebs Mobilität Rheinland-Pfalz erreichen, dass jeder Ort im Ahrtal wieder über das klassifizierte Straßennetz erreichbar ist. Auch das ist für die Betriebsaufnahme der Gastbetriebe wichtig, ebenso für die Winzerinnen und Winzer während der Traubenlese", so das Wirtschaftsministerium. Nicht zu vergessen die unerlässliche Hilfe der vielen privaten Helfer und Unternehmer, die auch ohne staatliche Aufträge taten und vor Ort noch immer tun, was getan werden muss.
Für den Wiederaufbau erfahren nun die von der Flut betroffenen touristischen Betriebe wie auch die Weinbau-Betriebe zudem Unterstützung durch die Wiederaufbauhilfen von Bund und Land. Diese sind im Wiederaufbaupaket in Höhe von 15 Milliarden Euro insgesamt für das Bundesland enthalten. „Betriebe können Wiederaufbauhilfen beantragen, erstattet werden in der Regel bis zu 80 Prozent der Kosten für entstandene Schäden, teilweise auch bis zu 100 Prozent", heißt es aus dem Ministerium. „Gespräche mit den Branchenvertretern und auch den Touristikerinnen und Touristikern aus dem Ahrtal zeigen, dass die Betriebe sehr heterogen betroffen sind. Bei einigen wird der Wiederaufbau länger dauern als bei anderen." Dennoch versucht die Region bereits heute schon, den Tourismus wieder vorsichtig anzukurbeln. Ein Beispiel: Rotweinwanderungen, bei denen auch „SolidAHRitäts"-Armbändchen verkauft werden. Der Erlös fließt in den Wiederaufbau des Tals. Im kleinen Rahmen findet im November ein Rotwein-Festival statt, erste Gastronomiebetriebe auch in den stark betroffenen Ortschaften an der Mittelahr öffnen wieder.
Öffnen wollen auch betroffene Gesundheitszentren und Kliniken wieder. Das rheinland-pfälzische Gesundheitsministerium hebt hier als Beispiel die von der Flut stark betroffene Dr.-von-Ehrenwall’sche Klinik für Psychologie, Psychotherapie und Neurologie in Ahrweiler hervor. „Damit der Betrieb dort schnellstmöglich wieder aufgenommen werden kann, werden dort, wo umfangreichere Arbeiten erforderlich sind, geeignete Interimsmaßnahmen umgesetzt. So wurden bereits Mittel aus dem Aufbauhilfefonds für die Unterbringung von 20 Betten der Dr. von Ehrenwall‘schen Klinik in angemieteten Räumen des ‚Hotels Maarheide‘ in Niederdürenbach bereitgestellt", so das Ministerium. Auch das geplante Traumazentrum für Flutopfer soll bald im Ahrtal seinen Betrieb aufnehmen. „Das Konzept ist noch in der Entwicklungsphase, aber bereits auf einem guten Weg. Nach derzeitigem Stand ist der Start noch in diesem Jahr vorgesehen", erklärt eine Ministeriumssprecherin.
Aber wo sollen die Menschen angesichts der Gefahr nun wohnen? Die zuständige Wasserschutzbehörde hat eine Gefahrenkarte herausgegeben, wonach 34 Häuser nicht mehr wiederaufgebaut werden dürfen. Beschädigte, aber noch stehende Häuser in der Gefahrenzone können wieder bezogen werden, müssen aber hochwassersicher gemacht werden. Auch dafür gibt es Geld vom Staat.
Dennoch sollen Bebauungspläne überdacht und notfalls geändert werden, so das rheinland-pfälzische Finanzministerium, das auch für das Bauen und Wohnen zuständig ist. Dies gelte insbesondere für den Bedarf, der entsteht, wenn zerstörte oder stark beschädigte Gebäude durch Neubauten in „hochwassersicherer Lage" ersetzt werden sollen, heißt es.
„Daher wurde bei der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord eine Arbeitsgruppe eingerichtet, in der insbesondere die Kreisverwaltung Ahrweiler und damit die unteren und oberen Wasser-, Naturschutz-, Landesplanungs- und Bauaufsichtsbehörden vertreten sind." Diese Arbeitsgruppe soll nun die Gemeinden bei der Suche nach realistischen Baulandpotenzialen unterstützen. Darüber hinaus begleite die Arbeitsgruppe die konkreten Bauleitplanverfahren, „damit diese möglichst zügig durchgeführt und umgesetzt werden können. Dies kann in der Arbeitsgruppe mit kurzen Abstimmungs- und Entscheidungswegen gewährleistet werden."
Planungsverfahren beschleunigen
Um den zusätzlichen Verwaltungsaufwand abzufedern, der auch dadurch in den betroffenen Regionen auf alle Verwaltungsebenen zukommt, gibt es auch personelle Unterstützung, laut Innenministerium unter anderem durch Beamte des Bundes, die das Land unterstützen, und Landesbeamte, die bei Kreis- und Kommunalbehörden aushelfen.
Zusätzlich hat der Bundesrat auf Initiative von Rheinland-Pfalz die Bundesregierung nun aufgefordert, schnellstmöglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, „mit dem die Planung und Umsetzung von Ersatzbaugebieten in den von der Hochwasserkatastrophe stark betroffenen Gebieten erheblich vereinfacht und die Verfahren hierzu verkürzt werden". Die Gemeinden sind bereits auf der Suche nach Ausweichgebieten und brauchen diese auch innerhalb von möglichst kurzer Zeit. Eile ist geboten, denn laut Medienberichten befürchtet insbesondere Guido Orthen, Bürgermeister von Bad Neuenahr-Ahrweiler, dass etwa 10.000 Menschen wegen der vorangegangenen Katastrophe das Ahrtal verlassen werden.
Und dann ist da noch der Hochwasserschutz. Ende Oktober tagte, zum ersten Mal nach der Flut, die sogenannte Hochwasserpartnerschaft an der Ahr. Die in Deutschland ebenfalls föderal organisierten Zuständigkeiten für Gewässer verkomplizieren einen wirksamen Hochwasserschutz, sodass sich Kommune, Kreis und Land an einen Tisch setzen müssen, und das bundeslandübergreifend.
Hochwasservorsorge, so erklärt das Klimaschutzministerium in Mainz, sei daher eine „Gemeinschaftsaufgabe von Anliegern, Bürgern, Verbänden, Verwaltung" – auch über Landesgrenzen hinaus. Ideen für konkrete Maßnahmen gibt es bereits, das ergaben Gespräche während der jüngsten Bürgerversammlungen im Ahrtal, etwa bei der Konstruktion künftiger Brücken. Der Prozess des Planens eines der hohen Gefahrenlage angemessenen Hochwasserschutzes aber beginnt erst jetzt, vier Monate nach den Eindrücken einer der verheerendsten Flutkatastrophen in Deutschland.