Das „Raubtier" Formel 1 ist ein „Nimmersatt". Ein „Vielfraß". Selbst in Zeiten der Pandemie macht es fette Beute. Der Große Preis von Katar hat am Sonntag (21. November, 15 Uhr) seine Premiere. Zwei Wochen später (5. Dezember, 17 Uhr) gastiert der Rennzirkus erstmals in Saudi-Arabien.
Die Königsklasse (des Motorsports) ist im Königreich Katar und Saudi-Arabien angekommen. Auf der Suche nach frischem Geld und neuen Märkten hat die nimmersatte Formel 1 zwei weitere Rennstrecken am Persischen Golf entdeckt. In diesen Wüstenstaaten sprudeln die Geldquellen. Zwischen 50 und 60 Millionen Euro jährlicher Antrittsgage zahlen die Katarer und die Saudis den F1-Rechteinhabern für die „Imagepflege und den Prestigegewinn" ihrer Länder. Bei diesen Summen ist es den Traditionsstrecken kaum möglich, bei den Antrittsgeldern mitzuhalten und sich die Königsklasse zu leisten. In der Golf-Region sind die finanziellen Mittel jedoch schier unbegrenzt. Begeisterung und Interesse der Motorsportfans an der Formel 1 ist dagegen (noch) sehr begrenzt.
Kurzfristiger Ersatz
Mit Bahrain (seit 2004), Abu Dhabi (2009), Katar und Saudi-Arabien haben es nun vier Länder aus dem Nahen Osten in den GP-Kalender geschafft. Damit ist der Nahe Osten für das „Raubtier" Formel 1 zu einer Kernregion geworden. Und der „Nimmersatt" plant langfristig mit diesen finanzstarken Staaten. Sie garantieren Stabilität im Rennkalender und festes Antrittsgeld. Denn ohne Geld dreht sich in der Königsklasse bekannterweise kein Rad. Die zehn F1-Teams sind auf die Ausschüttung in der Konstrukteurs-Wertung angewiesen. Zwischen einem dritten und vierten Platz können schon Millionen Dollar liegen.
Mit Katar ist ein zahlungskräftiger Veranstalter kurzfristig als Ersatz für den abgesagten Australien-Grand Prix in den GP-Kalender eingesprungen. Der musste mit 22 Rennen aufgefüllt werden. So viele WM-Läufe wie noch nie in der 74-jährigen GP-Historie. Strecken wie Mugello in Italien oder der Nürburgring waren raus aus der Verlosung, Katar dank seines großen Rennbudgets plötzlich drin. Als Strecke dient in Katar der Losail International Circuit. Der 5,380 Kilometer lange Kurs mit seiner längsten Geraden von 1068 Metern, seinen zehn Rechts- und sechs Linkskurven liegt an der Ostküste des Landes, 20 Kilometer nördlich von der Hauptstadt Doha, mitten in der Wüste. Seit 2004 werden auf dieser Strecke jährlich der Große Preis von Katar zur Motorrad-Weltmeisterschaft sowie ein Superbike-WM-Lauf ausgefahren. Die Zuschauerresonanz bei diesen Veranstaltungen ist eher gering, so zählt die Strecke zu den Motorrad-WM-Läufen weniger als 10.000 Besucher am Rennwochenende. Mit dem Emirat an der Ostküste der arabischen Halbinsel am Persischen Golf haben die F1-Bosse eine langjährige Partnerschaft geschlossen. Aber erst ab 2023. Und dann über zehn Jahre. 2022 will sich das wegen der Menschenrechte umstrittene Land auf die Austragung der Fußball-WM beschränken.
Ex-Rennfahrer Marc Surer ist zwiegespalten, was seine Meinung zum Zehnjahresvertrag angeht, den die F1 ab 2023 mit dem Emirat geschlossen hat. Im „AvD Motor und Sport Magazin" bei Sport 1 (sonntags, 21.45 Uhr) sagte der Schweizer: „Die MotoGP fährt schon lange in Katar. Daher macht es Sinn, dass die Formel 1 auch dort an den Start geht." Der 70-jährige 82-fache GP-Teilnehmer: „Mir tut es aber immer weh, wenn ein weiteres Rennen im Ausland dazukommt und man nicht in Deutschland fährt. Katar hätte es nicht gebraucht, sondern Hockenheim oder der Nürburgring." Von den aktuellen Rennfahrern haut Weltmeister Lewis Hamilton in die gleiche Kerbe: „Es ist großartig, auf neuen Strecken zu fahren. Ich denke, wir müssen die historischen behalten, dort haben wir schließlich die meisten Fans. Die sorgen für beste Stimmung. Diese Rennen muss man behalten." Gleichzeitig bedauerte der Mercedes-Superstar den Wegfall deutscher Rennstrecken in diesem Jahr und auch im Rennkalender für 2022. Das sei ein „schmerzvolles Beispiel", so der siebenmalige Champ. Er könne er aber auch verstehen, dass Rechteinhaber Liberty Media neue Märkte erschließen möchte, um so die Reichweite ihres Sports zu erweitern. Der F1-Eigentümer muss den Spagat zwischen altehrwürdigen Rennstrecken überwiegend in Europa und neuen Spektakeln in wirtschaftlich attraktiven Märkten auf den verschiedenen Kontinenten finden.
Freude über neue Strecken
Mit dem Grand-Prix-Debüt von Katar am Sonntag (21. November, 15 Uhr/Sky) endete der zweite Triple-Header der Saison. Das heißt: Mit dem Rennen in Mexiko, dem GP in Brasilien und dem WM-Lauf in Katar wurden drei Formel 1-Rennen an drei aufeinanderfolgenden Wochenenden ausgefahren. Bei diesem Marathon-Programm hat der Formel 1-Rennzirkus 20.000 Reisekilometer über den Wolken zurückgelegt und neun oder auch elf Zeitzonen je nach Flugverbindung durchquert. Nach Mexiko kam der Rennzirkus nach einem zehnstündigen Flug über 8.000 Kilometer und durch drei Zeitzonen in Brasilien an. Von dort, Sao Paulo, waren es noch einmal rund 12.000 Reisekilometer und 14 Flugstunden mit sechs Stunden Zeitverschiebung zwischen beiden Ländern. Es ist ein besonders kraftraubender Dreierpack logistisch, physisch und psychisch bei diesen Überseerennen. Besonders hart sind die Strapazen für das „Fußvolk" der Formel 1, sprich, die Mechaniker. Sie sind die Ersten, die montags anreisen, die Garagen einräumen, und die Letzten, die sonntagabends abräumen. Sie haben die längsten Arbeitstage und meistens eine 80-Stunden-Woche. Häufig fliegen sie erst montags nach Hause. Bei einem Triple-Header wie in Übersee für die meisten Mitarbeiter aber nicht machbar. „Ein solcher Dreierpack ist hart für die Jungs und sonstige Crew-Mitglieder, weil sie vier Wochen von ihren Familien weg sind", bemerkte der deutsche Teamchef Jost Capito (63) im Williams-Rennstall. Auch die 20 Fahrer und ihre Teamchefs müssen in dieser Zeit ihre Familien mit Frau und Kindern entbehren, aber sie reisen deutlich weniger und komfortabler als das F1-„Fußvolk". Aber alle Angestellten im F1-Rennzirkus sind sich auch bewusst, dass sie in diesem exklusiven Racingzirkel arbeiten. Und sie wissen: Rennveranstalter, TV-Stationen und Sponsoren zahlen schließlich Millionen für das Hochglanz-Produkt Formel 1.
„Unglaubliche Power"
Dieses Hochglanz-Produkt „gestalten" in erster Linie die F1-Teams und ihre Fahrer. In Mexiko-Stadt, 2250 Meter über dem Meeresspiegel, waren es die Alphatiere Lewis Hamilton (Mercedes) und Max Verstappen (Red Bull), die auf der höchstgelegenen F1-Strecke ihren Kampf um die WM-Krone fortsetzten und verbissen kämpften. Ihr Mütchen hatten sie auch in Brasilien noch nicht gekühlt. Vor einer Woche in Mexiko schien es, als würden Mercedes und Hamilton im WM-Duell gegen Red Bull resignieren, nach dem Sieg beim Brasilien-GP ist das Weltmeisterteam wieder obenauf. Und das, obwohl am Wochenende in Sao Paulo kein Durchmarsch war: Motorstrafe, Disqualifikation nach dem Qualifying für eine „Bagatelle" (Zitat Toto Wolff) und dann auch noch eine ausbleibende Untersuchung gegen Max Verstappen nach dessen Abdräng-Manöver in Kurve vier. Das Bild des Wochenendes lieferte Mercedes-Teamchef Toto Wolff nach dem entscheidenden Überholmanöver an Max Verstappen, indem er mit dem Finger in die Kamera zeigte und sein Gesicht wütend zu einer Fratze verzog. „Das war der Gruß an den Rennleiter", erklärt der Wiener hinterher. „Max‘ Verteidigung war über dem Limit. Er hätte eine 5-Sekunden-Strafe verdient. Aber das einfach unter den Teppich zu kehren, ist die Spitze des Eisbergs. Einfach lächerlich." Einen Tiefschlag sportlicher Art musste dagegen Red Bull verkraften. Hamiltons neuer Motor verleiht dem Briten die Flügel, die eigentlich Verstappen vom Team des Energy-Drink-Herstellers bekommen soll. „Wir haben im Sprintrennen erstmals die unglaubliche Power von Hamilton gesehen", sagte Red Bull-Berater Helmut Marko gegenüber „Sport 1" und gab eine düstere Prognose ab. Seine Schlussfolgerung: „Wenn das so weitergeht, schaut das für die WM nicht mehr gut aus. Mercedes sagt, dass sie einen wahnsinnig großen Motor-Verschleiß haben. Aber das hilft uns nicht, denn dann ist die WM vorbei." Doch das ist ein bisschen allzugroße Schwarzmalerei. Denn vor der Reise ins Emirat lag Verstappen noch vor dem Mercedes-Piloten. Das Rennen in Katar am Sonntag wird für alle Fahrer Neuland sein. Niemand weiß, was auf einen zukommt. Die Umgebung ist neu genau wie die Strecke. „Wir müssen alle voll fokussiert sein, eine neue Strecke zu lernen und noch etwas härter zu arbeiten", heißt es in einer Pressemitteilung von McLaren. Bei dem britischen Rennstall ist der Bayer Andreas Seidl sei Januar 2019 Teamchef.