In diesen Tagen wollen die Chefs einer künftigen „Ampel" letzte Hand an den Koalitionsvertrag legen. Der Klärungsbedarf ist noch erheblich. Der Druck auf schnelle Einigung wächst in dem Maß, wie die vierte Pandemiewelle zunimmt.
Auf der Zielgeraden wird es nochmal richtig hart. Das ist in der Politik nicht anders als im Sport. In nicht weniger als 22 Arbeitsgruppen haben SPD, FDP und Grüne vorbereitet, was die Spitzen der Parteien nun zu einem Koalitionsvertrag zusammenfassen wollen. Völlig erwartbar, dass es dabei noch erheblich knirschen wird. Alles andere wäre auch ziemlich unrealistisch.
Es geht um Inhalte und Machtfragen, um Gruppendynamik und Inszenierung. Schließlich müssen alle drei künftigen Ampelpartner das Ergebnis der Verhandlungen am Schluss von ihren Parteien in der ein oder anderen Form absegnen lassen.
Die Hauptverhandlungsführer haben sich vor Beginn der entscheidenden Verhandlungen bedeckt gehalten und sind damit dem bisherigen Umgangsstil weitgehend treu geblieben. Die größten Knackpunkte sind nach allgemeiner Einschätzung die Themenblöcke Klima und Finanzen.
Wie sehr Inhalte, Inszenierung und Gruppendynamik in dieser Phase ineinander übergehen, lässt sich an einer Reihe von Beispielen zeigen, etwa beim Thema Klimaschutz: „Klimaschutz muss Grundlage allen Handelns sein", hatte Robert Habeck vorsorglich klargestellt. Was sollte er als Grünen-Chef auch sonst sagen? Dass die Grünen, wie die anderen Partner auch, ihre Positionen nicht in 100-Prozent-Reinkultur im Koalitionsvertrag wiederfinden werden, ist allen klar.
Knackpunkte Finanzen und Klima
Da müssen sie dann auch schon mal in den Abläufen mit starken Worten klar machen, dass sie mit aller Macht gekämpft haben. Das werden sie nämlich ihren Mitgliedern erklären müssen – mit dem Zusatz, dass am Schluss mehr als das, was im Koalitionsvertrag stehen wird, wirklich nicht mit den anderen zu machen gewesen wäre.
Zur Inszenierung gehört dann wohl auch, dass die Grünen offenbar versucht hatten, Druck von außen auf die Koalitionsverhandlungen durch Umweltverbände aufzubauen. Dass die Verhandlungspartner von SPD und FDP diese Meldung nicht gerade als vertrauensbildende Maßnahme aufgefasst haben dürften, ist klar und wird von Teilnehmern auch eingeräumt. Der öffentlich geäußerte Unmut blieb aber ziemlich überschaubar, wohl eher aus taktischen Gründen.
Grundzüge der Gruppendynamik spiegeln sich in diesen Dreierverhandlungen von Beginn an wider, weshalb die schärferen Töne mit fortschreitenden Verhandlungen nicht überraschen können. Die Kennenlern- und Freundschaftsphase haben Grüne und FDP zunächst alleine, später mit der SPD in ziemlich perfekter Inszenierung hinter sich gebracht.
Was üblicherweise folgt, ist die Machtkampfphase, in der man sich entweder zerfleischt bis zur Selbstauflösung. So geschehen im ersten Dreier-Versuch vor vier Jahren. Oder man schafft es, innere Machtverhältnisse so zu sortieren, dass jeder halbwegs ordentlich damit umgehen kann. Was in der aktuellen Situation versucht wird.
Gelingt das, geht es darum, das gemeinsame verabredete Projekt umzusetzen, bis sich dann irgendwann die Frage stellt, ob man mit einem neuen Projekt weitermacht oder sich auflöst. Eine Frage, die sich aber erst in vier Jahren stellen könnte. Vorher gilt es erst einmal, das nächste Nahziel zu Nikolaus zu erreichen.
Und dazu muss aus vielen bunten Vorlagen ein Koalitionsvertrag formuliert werden. Bunt deshalb, weil dem Vernehmen nach in den Arbeitsgruppenvorlagen die Punkte, die noch nicht abgehakt werden konnten, jeweils farblich markiert sind. Aus einigen Arbeitsgruppen waren diesbezüglich überschaubare Vorlagen abgeliefert worden, andere haben dagegen Seiten mit ziemlich vielen Farben vorgelegt.
Die Grünen, so ist aus Verhandlungsgruppen zu hören, wollten am liebsten detailgenaue Formulierungen im Koalitionsvertrag. Daraus spricht einerseits ein gewisses Misstrauen, wenn sie möglichst viel möglichst konkret abgesichert wissen wollen. Andererseits stehen sie mehr als ihre künftigen Partner unter dem Druck der eigenen Parteibasis, aber auch von nahestehenden Verbänden bis hin zu einflussreichen Bürgerinitiativen, die allesamt hohe Erwartungshaltungen formulieren.
Dass die Grünen das Umweltressort (oder wie auch immer ein endgültiger Zuschnitt und Titel aussehen wird) besetzen, gilt eigentlich als ausgemachte Selbstverständlichkeit, ist aber nicht ohne Risiko. Denn auch in einem eigenen Umwelt-/Klimaressort werden grüne Vorstellungen nicht eins zu eins umsetzbar sein, was wiederum an der Basis und im Umfeld kaum auf Wohlgefallen stoßen wird. Es ist ein absehbarer Spagat. Das umso mehr, als die Grünen nicht nur im Wahlkampf immer wieder und wohl auch zurecht darauf hingewiesen, dass die nächste Legislatur die letzte Chance ist, in Sachen Klimaschutz die richtigen Weichen zu stellen, was letztlich auch der Klimagipfel (COP 26) bestätigt hat.
FDP-Chef Christian Lindner gab sich vor den großen Schlussverhandlungen schon ziemlich staatsmännisch: „Die FDP kann ihren Beitrag zur rechtzeitigen Klärung aller strittigen Punkte leisten". Ansonsten ist auch aus der FDP zu vernehmen, dass sich nach den oft zitierten Anfangs-Sondierungsverhandlungs-Erfolgen inzwischen auch Frust breit gemacht hat. Frustphasen gehören in solchen Stadien mit dazu, aber den Liberalen stecken die Erfahrungen der Jamaika-Verhandlungen offensichtlich noch tief in den Knochen. Eine Wiederholung des Ausstiegs wäre politisches Harakiri. Sie sind auf ihre Weise zum Erfolg verdammt.
Grüne wollen Ziele genau formulieren
Die SPD sieht sich jetzt in einer ziemlich ungewohnten Rolle. In den großen Koalitionen war sie als Juniorpartner immer daran interessiert, möglichst detailreich-konkrete Koalitionsverträge auszuhandeln, um sich gegenüber einer Dominanz des größeren Partners abzusichern. Nun ist sie es, die ein Interesse daran hat, eher die zentralen gemeinsamen Linien festzuschreiben, um sich auf der Regierungsstrecke ein gewisses Maß an Flexibilität offenzuhalten. Das hat aber nicht nur machtpolitische Aspekte. Der Umgang mit einer Pandemie war im Koalitionsvertrag vor vier Jahren auch nicht festgeschrieben, heißt: in vier Regierungsjahren kann viel passieren, was sich nicht in Koalitionsverhandlungen vorab ahnen und beschreiben lässt.
Dass die Koalitionsverhandlungen scheitern könnten, ist ein No-Go. Politisch gibt es keine Alternative, nachdem die CDU führungs- und orientierungslos ihre Wahlniederlage verarbeiten muss. Neuwahlen würden für alle Beteiligten erwartbar in einem Desaster enden. Eine erhebliche Verzögerung des ambitionierten Zeitplans wäre mitten in der vierten und schwersten Pandemiewelle ebenfalls nicht vermittelbar.
Nervositäten und Aufgeregtheiten werden in diesen Tagen der Schlussarbeit an einem Koalitionsvertrag zunehmen. Der 21-köpfigen Hauptverhandlungsrunde dürfte aber klar sein, dass kaum jemand in der aktuellen Phase der Pandemie, die uns nach den Worten von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier „mit brutaler Härte trifft", allzu viel Verständnis für unnötiges parteipolitisches Säbelrasseln haben dürfte.