Das aktuelle Jahr war im Département Jura ein denkwürdiges. Ein großer Traditionskäse bekam ein modernes Dach, und das weltbekannte Lächeln einer Kult-Kuh feierte hundertjährigen Geburtstag.
Im Département Jura im Osten der Region Bourgogne-Franche-Comté an der Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz ist man stolz auf seine fünf Traditionskäse. Einer davon ist besonders schmelzig, bringt Kind und Kuh zum Lachen und hat Kultcharakter.
Aber schön langsam der Käsereihe nach: Auf den historischen Spuren der regionalen Sorten ist der Comté das bekannteste Aushängeschild. Um auch die anderen Traditionellen des Juragebirges wie den Morbier, den Bleu de Gex und den Mont d’Or zu entdecken, steigt man am besten aufs Fahrrad. Auf den 123 landesweit ausgeschilderten Routes de „Vélo & Fromages" – der Rad- & Käse-Touren – rollt man 8.000 Kilometer quer durch 45 Départements Frankreichs, um weit über 1.000 französische Käsesorten zu erkunden. Um alle zu kosten bräuchte es wohl Jahre. Die meisten der Boucles (Loops) verlaufen auf den sogenannten „Voies Vertes" – grünen, verkehrsberuhigten Zweiradwegen. Begegnungen mit den örtlichen fromagères (Käser und Käserinnen), Käserei- und Reifekeller-Besichtigungen, Workshops und natürlich das Degustieren fein tranchierter Käsehäppchen sind mit im Paket. Seit Sommer 2019 führt die Radkäsestrecke ebenso durch sechs offiziell abgesteckte Parcours mit etwa 110 Stationen durch das Jura. Begleitet wird sie von der 700-jährigen Geschichte eines Zusammenschlusses: dem von Bauern in Kooperativen, die auf ihren fruitières (übersetzt als Obstfarmen) neben Obst- und Gemüseanbau auch seit Jahrhunderten traditionell den Jura-Käse herstellen.
Tabu sind Hilfs- und Zusatzstoffe
Der Boucle N21 „Jura Monts Rivières" schlängelt sich auf 800 bis 1.000 Höhenmetern von Champagnole – der Eingangsstadt ins Haut-Jura – sanft durch Wälder und Schluchten und kommt vorbei an Wasserfällen, Wildbächen und Torfmooren. Der als flach und leicht deklarierte Weg Boucle „Loisir" führt über 155 Kilometer vom Pays de Dole, den Bresse Jurassienne und den Weinbergen des Revermont vorbei an duftenden Heu-, Weißklee- und Wildkräuterwiesen, die auch dem Käse ihren Geschmack verleihen. 37 Höfe passiert der Weg, darunter das Geburtshaus von Louis Pasteur. Ein frisch gekürtes Highlight auf der Strecke ist das im Mai dieses Jahres eröffnete Maison du Comté in Poligny. Ein 1.500 Quadratmeter großer „stilisierter Bauernhof" mit moderner Erlebnisfläche aus hellem Fichtenholz mit 2.500 Quadratmeter Außenpark präsentiert das Universum des käsigen Wahrzeichens mit integrierter Käserei.
Zum Probieren geht’s an die gläserne „Comté-Bar" oder direkt in den Shop in Form eines überdimensionalen Käselaibes. Die meist im Dorfkern gelegenen „Obstfarmen" bekommen täglich Milch von den umliegenden Bauernhöfen. Diese wird dann noch lauwarm in große Kupfertanks gegossen. Der Käser fügt ein paar Zentimeter eines natürlichen Labs hinzu, das die Milch zu Quark verwandelt, der dann gerührt und 60 Minuten lang auf 54 Grad erhitzt wird. Der Inhalt des Tanks wird abgegossen und in Formen gepresst, in denen er für einen still-dunklen längeren Aufenthalt im Reifekeller verbleiben wird. In den anliegenden Höfen reifen an die 150 affinierte Sorten zwischen vier und 24 Monaten, um sich von weich über expressiv bis charakterstark zu steigern – nebst Variationen von Textur, Farbe und Geschmack.
Auf den Jurahöfen begegnet man auch dem Morbier. Man erkennt den Cremig-Würzigen an einem Streifen aus Pflanzenkohle, der sich waagerecht durch seinen Käselaib zieht. Früher deckten die Käser im Franche-Comté den Morgenbruch mit Holzasche ab, um den Käse vor Verkeimung und Austrocknung zu schützen. Der Grund: Die Kühe gaben im Winter morgens oft nicht genügend Milch, um daraus einen ganzen Käselaib herzustellen. Abends wurde dann auf die erste Hälfte des Käses ein weiterer Bruch geschichtet, und so entstand der Morbier mit dem typisch-mittigen Trennstreifen. Heute wird der Käse von Vallée-Verte noch immer in handwerklicher Tradition von einer kleinen Molkerei im Jura hergestellt.
Der Bleu de Gex, auch Bleu de Septmoncel oder Bleu du Haut Jura genannt, ist der Blauschimmel unter den käsigen Kollegen. Sie reifen mindestens drei Wochen auf Fichtenbrettern in Kellern mit einer Luftfeuchtigkeit von 80 Prozent. Während der Reifung wird mit einer Spritze Luft in den Teig eingeführt, damit sich der Schimmel im Inneren des Käselaibs ausbreiten kann. Der Mont d’Or gilt als Urgestein der Ofenkäse. Fernab von industriellen Herstellungsmethoden wird er handwerklich hergestellt. Hilfs- und Zusatzstoffe sind tabu –
lediglich tagfrische Rohmilch, Salz und natürliches Lab werden verwendet. Durch einen um den jungen Käse gewickelten Fichtenholzgürtel entwickelt der Mont d’Or sein Aroma.
Butter sorgt für cremige Textur
Als krönender Abschluss im Käsereigen lacht seit 100 Jahren die Kuh auf dem runden Karton. „La Vache qui rit". Der hybride Mischkäse aus rehydrierter, entrahmter Milch, Käse, Butter und einem Milchmineralkonzentrat steckt in einzeln verpackten Ecken, die ein Rondell bilden. Die Butter sorgt für die besonders cremige Textur, Milch und Milchmineralkonzentrat liefern Kalzium und Geschmack. 20 Millionen Portionen werden täglich weltweit verkauft – macht eine Produktion von 121 Portionen „The Laughing Cow" pro Sekunde. Neben 95 Prozent aller Franzosen kennt ihn in 136 Ländern jedes Kind. Mit kleinen Fingern schleckt es ihn am liebsten flink aus seinem Dreiecksformat, bevor Maman ihn als cremigen Booster in Suppen, sämige Saucen, Quiche oder Püree mixt. Von jeder Ecke grinst Frau Kuh, die ihr eigenes Abbild als runde Ohrringe an den Kuh-Ohren baumeln hat.
1921 hat die Immer-Lachende das Licht der Welt erblickt. Aber warum lacht sie denn, die Kuh? Am Wegesrand der Routes Vélo & Fromages kommt man ihrer Geschichte in einem ihr geweihten Haus im Örtchen Lons-le-Saunier auf die Spur. Das „Maison de la Vache" mit seinen 2.200 Quadratmeter großen Ausstellungsräumen ist als „Ideenlabor" rund um das strahlende Kuhgesicht konzipiert und erzählt ihren Weg. Bevor die Kuh vor 100 Jahren die Welt erobern sollte, gab es den allerersten Schmelzkäse bereits 1911 beim Schweizer Industriellen Walter Gerber in Thun. Die „Gebrüder Wiedemann" brachten 1922 unter dem Namen Adler die ersten deutschen Schmelzkäse – als „Erzeugnis aus Käse" – auf den Markt.
42 Höfe auf 252 Kilometer Länge
Fast parallel eröffnete der Franzose Léon Bel (Fromageries Bel) in Lons-le-Saunier seine erste Werkfabrik zur Herstellung von Schmelzkäse in kleinen Einzelportionen – eine Weltneuheit. Mehr als 12.000 Packungen verkaufte der clevere Geschäftsmann pro Tag schon nach kürzester Zeit. Das Verpackungskonzept, bei dem die schmelzigen Portiönchen bald in einer runden Blechdose serviert wurden, war ebenso Neuland wie das Erfolgsrezept des sich über Jahrzehnte wandelnden roten Corporate-Lach-Kuh-Maskottchens, das bis heute etabliert ist. Das Ur-Motiv stammte vom französischen Illustrator Benjamin Rabier, der mit seiner Persiflagen-„Wachkyrie" (eine Brücke zu Wagners Walküre als Teil der deutschen Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg) Militärwagen mit dem lachenden Hörnervieh „verzierte".
Die Erfolgsgeschichte des ursprünglich als Kinderkäse entwickelten Streichkäses „muhte" sich schnell als innovativer Liebling der industriellen Neuzeit in die Herzen der Konsumenten. Nach Großbritannien und anderen europäischen Ländern kamen auch Australien, Afrika, USA und Asien auf den Geschmack. Bald tummelten sich die Nachahmer auf dem Markt. Das Antonym „La vache sérieuse" (Die ernste Kuh) oder „La veau qui pleure" (Das weinende Kalb) verschwanden so schnell wieder vom Markt wie sie auftauchten. Weitere Marken des Käseimperiums Bel sind Babybel, Bonbel und Kiri (lautschriftliche Nachahmung von „qui rit").
Nach dem Besuch im „Haus der Vache" mit allerlei Interaktion und der Verkostung empfiehlt sich zum Abtrainieren die „Sportive Boucle", die dort als perfekter Ausgangspunkt beginnt und 252 Kilometer an 42 Höfen vorbeiführt. Weniger sportlich, aber herzschmelzend empfiehlt sich beim nächsten Rundgang im heimischen Supermarkt der Griff nach dem schmelzkäsigen Rundpaket ins Kühlregal. Und wenn sich dann mit einem nostalgischen Lächeln die Erinnerung an Kindertage einstellt, hat man den Zauber der lachenden Käselegende verstanden.