Nach 33 Jahren am Herd des „Fruits de mer" ist Koch und Betreiber Vivian Ghironzi vor ein paar Wochen in Rente gegangen. Ein Haus, das in Saarbrücken Geschichte geschrieben hat, gibt es nicht mehr.
Zum letzten Mal treffen wir uns an diesem Tag im Bistrot „Fruit de mer", um uns zu verabschieden. Mit dabei sind Vivian Ghironzi, Gudrun Michaeli, die Vermieterin, mein Freund Oliver Strauch und Achim Sprengart, der sich um Gastro-Immobilien kümmert. Vermieterin Michaeli erinnert sich noch gut an die Anfänge in der Bleichstraße: „Antiquitäten waren das Hobby meines Mannes Gerhard. Er kaufte dieses Haus, als hier noch eine Bar drin war. Mit einem Freund und Schreiner fuhr er nach Paris, um sich inspirieren zu lassen. An der Porte de Clignancourt gibt es einen großen Flohmarkt, den viele kennen. Dort kaufte er die Flügeltüren, die bis heute an der linken Seite des Bistrots installiert sind. Diese stammen aus einem Schloss." Die Theke sei der „Brasserie Bofinger" an der Bastille nachempfunden, erzählt sie weiter. „Da waren die beiden auch, um sich für unsere Theke inspirieren zu lassen. Auch die Stühle und die Tische haben eine besondere Geschichte. In Paris an den Hallen gibt es das bekannte Bistrot ,Pied de Cochon‘. Die damaligen Besitzer waren Freunde von ihm. Und diese Stühle stammen durch Kontaktvermittlung dieser Freunde, aus einer kleinen Schreinerei in den Vogesen!"
Ursprünglich war das Haus in der Bleichstraße 28 eine Bäckerei. Das Haus wurde 1860 gebaut, im Kellergeschoss gibt es noch eine alte Backstube mit gekachelten Wänden sowie schmiedeeisernen Backöfen und Türen. Auch die alte St. Johanner Stadtmauer ging durch diese Backstube durch. Gerhard Michaeli legte sie einst frei. In den Räumen des späteren „Fruits de mer" war das Café der Bäckerei. Und nebenan, in der kleinen Bar, dem „Toulouse Lautrec", war der Verkaufsraum der Bäckerei. Auch die kleine Bar nebenan ist im gleichen Stil eingerichtet. Und so mancher ging nach dem Essen noch nach nebenan, um mit Freunden ein gutes Glas Wein oder Champagner zu trinken.
Paradebeispiel der französischen Küche
Bei so viel Liebe und Herzblut der Vermieterfamilie wollte sie natürlich Pächter finden, die hier eine authentische französische Küche zelebrieren. Und diese fanden sie! Oliver Schmitt und der bisherige Betreiber des „Fruits de mer", Vivian Ghironzi, arbeiteten anfangs im „Gemmel" zusammen. Dort freundeten sie sich an, und irgendwann beschlossen sie, sich selbstständig zu machen. Nach einem kleinen Zwischenstopp in einem anderen Restaurant, „Festor" in der Kappengasse, zogen sie in die Bleichstraße und eröffneten am 1. März 1989 das „Fruits de mer". Das lief 20 Jahre sehr gut – bis zum Jahr 2009. Oliver Schmitts Herz versagte, er starb. Seitdem führte Vivian Ghironzi das Haus alleine. Auch in dieser schweren Zeit stand Gudrun Michaeli dem begnadeten Koch zur Seite. Und mit Unterstützung von Ursula Busch sowie einigen studentischen Aushilfskräften im Service ging es im „Fruits de mer" weiter wie gewohnt. Ursula Busch blieb bis zur Schließung.
Das „Fruits de mer" war wie ein Wohnzimmer. Es hatte etwa 30 Sitzplätze. Und immer, wenn ich es aufsuchte, saßen dort die „üblichen Verdächtigen." Menschen, die schon viele Jahre die französische Esskultur liebten. Die Bilder an den Wänden kamen im Laufe der Jahre hinzu, manche Fotos, aber auch ein selbst gemaltes Bild eines kleinen Mädchens. Praktisch als Liebeserklärung an ihr Lieblingsrestaurant. Es ist heimelig, fast familiär hier. Oft schon saß ich mittags mit Bekannten hier und Freunde von uns kamen ebenfalls zum Essen. So wurde dann über die Tische hinweg geredet, erzählt, berichtet von einem guten Essen in jener oder dieser Stadt oder auch nur um die Ecke.
Die Kunden des „Fruits de mer" liebten die Bistrokarte mit Ochsenschwanz, Nierchen oder frischer Leber. Natürlich auch Fleisch- und Fischgerichte in allen Varianten. Die Plat Fruits de mer gab es immer – allerdings nur auf Vorbestellung. Das Tagesmenü wechselte täglich und bestand aus zwei Tafeln – eine mit Fisch, die andere mit Fleisch. Eine besondere Spezialität zu finden war hier kein Problem. Auch die Weinkarte hatte alles, was ein Weinfreund suchte. Ein Viognier von der Rhône etwa, etwas Besonderes von der Loire oder ein Roter aus dem Südwesten Frankreichs. Und vieles mehr. So wurde das Essen zum Fest. Hemingway lässt grüßen …
Es wunderte mich nicht, welche Zuschriften ich bekam, als das Ende des Edel-Bistrots bekannt wurde. Zuschriften von Freundinnen und Freunden, die nur hierher gingen, um besondere, französische Kreationen zu goutieren. Einige davon seit 33 Jahren. Dieses kleine Bistrot am Rande des St. Johanner Marktes war eine Bastion französischer Kochkunst, und deshalb wurde es in all den Jahren so geschätzt. Dass dies nun vorbei sein soll, will mir nicht wirklich in den Kopf.
Mein Freund Oliver Strauch, Musikprofessor an der Hochschule für Musik, stellte fest: „Das „Fruits de mer" war auch immer ein Platz für die Künstler. Viele vom Theater waren hier, die Musikschule sehr gern und wir Jazzer natürlich auch. Ich erinnere mich gern an Abende mit Christoph Mudrich hier. Oli Schmitt war ein großer Kunstkenner und hat die Kunst geliebt. Zu meiner Frau sagte ich immer, wenn die Stimmung nicht so gut war: Heute gehen wir ins ,Fruits de mer‘. Dann ist alles wieder gut!"
Neuer Gastronom wird fürs Haus gesucht
Der Rückzug von Vivian Ghironzi war nicht so ganz freiwillig, gesundheitliche Gründe spielen auch eine Rolle. „Ich bedanke mich bei unserer Kundschaft, die uns so viele Jahre treu war", betont er bei unserem Abschiedstreffen. „Sie kamen immer wieder, weil sie hier Gerichte fanden, die sie gern essen wollten. Sie riefen auch immer vorher an, ob Ochsenschwanz oder eine andere Spezialität an diesem Tag auf der Karte stand." Ein Laden wie dieser war einmalig. Viele meiner Generation lernten in Frankreich eine andere Küche kennen, als sie unsere Eltern zelebrierten. Und genau diese Gourmets fanden dann vor 33 Jahren hier ihre Heimat. Das ist nun vorbei. Unwiderruflich hat ein ganz besonderer Gourmettreff die Türen geschlossen. Das tut vielen weh. Mir auch!
Achim Sprengart, der als Immobilienmakler schon vielen Gastronomen ein schönes Lokal vermittelte, sagt: „Es ist für mich eine große Verantwortung, dieses Unikat in die richtigen Hände zu geben. Im Sinne von Frau Michaeli will ich nun einen würdigen Nachfolger finden." Diese betonte wiederholt an diesem Nachmittag, das Ambiente solle erhalten bleiben. Damit auch die vielen Stammgäste wieder kommen. Sie müssen jetzt nur den richtigen Koch finden …
Nach diesen Zeilen öffnete ich mir einen Côtes du Rhône und legte ein Lied von Joe Cocker auf: N’oubliez jamais. Every generation has its way. Danke, dass wir das erleben durften! Ich wünsche Vivian, auch im Namen vieler Freundinnen und Freunde, nur das Beste für die Zukunft. Im Augenblick aber vor allem Gesundheit und ein Leben, in dem er mal mehr Zeit für sich selbst hat. Danke, Vivian, Du bist ein Großer! Ich werde dieses Bistrot nicht vergessen und viele andere auch nicht! Und so, wie es war, wird es nie wieder sein …