Zwischen Fans von Hertha BSC und dem 1. FC Union entstanden zu Mauerzeiten freundschaftliche Bande – heute verbindet beide allgemein nur noch eine innige Abneigung.
Es war Ende September, am 10. Spieltag, als wenigstens das „Berliner Derby" ein wenig die Kassen im Olympiastadion klingeln ließ: 27.000 Zuschauer wollten das Duell zwischen Gastgeber Blau-Weiß 90 und Hertha BSC live miterleben. Schon Mitte Oktober sollte Hertha den Saisontiefstwert aufstellen – nur 5.500 gegen Rot-Weiß Essen. Am 11. November 1989 jedoch, ausgerechnet gegen die nicht unbedingt als Publikumsmagnet bekannte SG Wattenscheid 09, durfte man dann mit 44.000 den Rekordbesuch jener Zweitligasaison verzeichnen. Es war zwei Tage nach der Maueröffnung, und zahlreiche Fußballfans aus dem östlichen Teil Deutschlands und vor allem Berlins pilgerten ins Olympiastadion. Nicht wenige von ihnen Anhänger des 1. FC Union, die gemeinsam mit den West-Berlinern Hertha BSC anfeuerten. Hier durfte erstmals offiziell gemeinsam aufgetreten werden – die freundschaftlichen Kontakte bestanden allerdings längst vor dem Fall der Mauer. Schon in den 70er-Jahren besuchten Fans von Hertha BSC sporadisch Spiele in Köpenick, Union-Fans wiederum begleiteten die West-Berliner zu deren Partien hinter dem „Eisernen Vorhang". Zu dieser Zeit wurde auch der junge Dirk Zingler, heute langjähriger Union-Präsident, wegen Anbringens des Schriftzugs „Hertha und Union – eine Nation" am Schulgebäude vor das Direktorium zitiert und erhielt einen Tadel. Es soll sich um Sympathie unter Underdogs gehandelt haben: Schließlich waren beide Vereine wenig erfolgreich – und sollten es etwa zwei Jahrzehnte noch bleiben. Zwei Monate nach der Partie gegen Wattenscheid kamen dann sogar über 50.000 zum „Wiedervereinigungsspiel" der beiden Clubs im Berliner Westend zusammen – wohlgemerkt einer Partie, die keinen sportlichen, aber damals eben noch einen „übergeordneten" Wert besaß.
Verhältnis bis zum ersten Pflichtspiel sichtlich abgekühlt
Erst 20 Jahre später sollte es zum ersten Pflichtspiel zwischen Hertha und Union kommen – und bis dahin war das Verhältnis bereits deutlich abgekühlt. Möglicherweise war es einerseits die Tatsache, dass in dem Binnenverhältnis der Freundschaft die Rollen von „Chef" und „Juniorpartner" allzu deutlich verteilt waren. Andererseits hatten beide Vereine ihre ureigenen Rivalen inzwischen praktisch verloren. Spätestens mit dem Aufstieg in die Zweite Liga im Jahr 2009 etwa gingen die Eisernen und der Erzfeind aus DDR-Zeiten, der BFC Dynamo, nun sportlich endgültig getrennte Wege. Auf Seiten von Hertha BSC verabschiedete sich der – historisch wohl innigste – Lokalrivale Tennis Borussia zu dieser Zeit in die Untiefen des Amateurfußballs. Dazu waren in der Zwischenzeit junge Fans zu den beiden hochklassigsten Berliner Vereinen gestoßen, die mit Begriffen wie „Mauerstadt" immer weniger anzufangen wussten und sich um alte Geschichten und Verbundenheit nicht mehr viel scherten. Als im September 2010 Hertha BSC so beim 1. FC Union antrat, handelte es sich um ein Spiel der Zweiten Liga, bei dem ein seit Jahren kontinuierlich aufstrebender Verein einen anderen empfing, der gerade mal wieder nach durchaus erfolgreicher Zeit aus der Bundesliga abgestiegen war. Das Aufeinandertreffen dürfte auf Seiten der Blau-Weißen daher auch gewisse „Verlustängste" bezüglich der Nummer eins in der Hauptstadt geweckt haben. So war schon bei diesem „Derby" vor rund 18.000 Besuchern in Köpenick Druck auf dem Kessel, der die mittlerweile entstandene Abneigung zwischen den Fanlagern nur noch vorantrieb. Dazu beugte sich der „Newcomer" dann auch keineswegs in den direkten Aufeinandertreffen, sondern trotzte zu Hause dem Platzhirschen ein 1:1 ab. Im Olympiastadion sollte es für Hertha BSC sogar noch schlimmer kommen: Das Spiel ging, wieder nach einer Führung, diesmal sogar 1:2 verloren – und die vielen Anhänger der Eisernen feierten ungeniert auf den Rängen den Triumph gegen den Lokalrivalen sowie Torsten Mattuschka, der sich mit seinem Freistoßtor zum Sieg endgültig unsterblich bei den Köpenickern machte. Nach dem folgenden Abstieg aus der Bundesliga 2012 aber hatten die Blau-Weißen das bessere Ende in der „Stadtmeisterschaft" – also dem Gesamtergebnis aus Hin- und Rückspiel – für sich. Sie drehten im September 2012 gewissermaßen den Spieß um, entführten nicht nur ebenso mit einem 2:1-Sieg drei Punkte aus Köpenick, sondern feierten ihrerseits den Brasilianer Ronny als „Derbyhelden" – dem mit einem direkten Freistoß das Siegtor gelungen war.
Fanausschreitungen bei Berlin-Derby-Spielen
Bis zum Aufstieg Unions in die Bundesliga 2019 kam es zu keinen weiteren Duellen – die Rivalität wurde jedoch aus der Ferne weiter gepflegt und entlud sich beim ersten Bundesligaderby zwischen beiden Vereinen im November 2019. An der Alten Försterei sorgten Hertha-Fans für eine Spielunterbrechung durch Feuerwerkskörper, auch nach Abpfiff flogen Raketen auf den Rasen und zum Teil in benachbarte Ränge. Aufgebrachte Union-Anhänger konnten daraufhin nur mit Mühe von ihren Spielern an einem Platzsturm gehindert werden, bei dem es möglicherweise zu noch weitaus Schlimmerem hätte kommen können. Seither fanden die folgenden drei „Derbys" – allerdings corona-, nicht ausschreitungsbedingt –
unter Zuschauerausschluss statt. Am Sonnabend dürfen an der Alten Försterei somit erstmals wieder Zuschauer (in beschränkter Zahl) bei diesem Duell anwesend sein. Die „Gesamtwertung" der zwei gemeinsamen Bundesliga-Spielzeiten ging zwar jeweils an Hertha, die Eisernen kratzen jedoch dank allgemein deutlich besserer sportlicher Resultate auch im dritten Jahr im Oberhaus wieder mächtig an der Hackordnung in der Fußball-Hauptstadt – und tragen ihre internationalen Spiele, von denen der Rivale derzeit nur träumen kann, zu allem Überfluss auch noch in der Heimspielstätte des Konkurrenten aus.
Provokante Aktionen beiderseits im Vorfeld der Derbys, am Rande und jenseits der Legalität, gehören mittlerweile wohl oder übel ebenso dazu. Es gibt sie zwar noch, die teils organisierten Bestrebungen, die alte Freundschaft am Leben zu erhalten – Gruppen wie „Hertha und Union Fanfreundschaft" bei Facebook bringen es aber gerade mal auf knapp 3.000 Mitglieder. Angesichts des Anhängerpotenzials eine vergleichsweise bescheidene Zahl, die verdeutlicht, dass die Rivalität zwischen den Clubs mit all ihren Reizen und Exzessen die Oberhand gewonnen hat und sich durchsetzen wird. Geschichten hat die Verbindung zwischen Hertha und Union so durchaus schon reichlich geschrieben – ausreichend Geschichte für die Anwendung des Begriffs „Berlin-Derby" aber hat das Duell eigentlich (noch) nicht.