Nachdem der SC Verl und der 1. FC Saarbrücken im vergangenen Jahr als Aufsteiger die Liga begeisterten, stecken beide Clubs derzeit in der ersten richtigen Krise in der 3. Liga.
Der Corona-Spielbetrieb machte es möglich: Der SC Verl konnte seine Heimspiele in seinem Stadion austragen. Dies ist in dieser Saison anders. Durch den Umzug nach Lotte geht dem kleinen Club der Heimvorteil verloren. Dies ist auch an den Ergebnissen ablesbar.
Sportliche Situation
„Wir sind im Abstiegskampf", sagte Cheftrainer Guerino Capretti schon vor der Heim-Niederlage gegen den VfL Osnabrück. Ein Satz, an den er in der vergangenen Saison nicht einmal denken musste, ist nun nach 15 Spieltagen Realität. Das liegt zum einen an der Ausgeglichenheit der 3. Liga, zum anderen daran, dass derzeit die Mechanismen in der Defensive nicht so greifen. Verl steht auf dem 17. Platz, hat dabei aber nur acht Punkte weniger als der derzeitige Tabellendritte. Auf den 1. FC Saarbrücken sind es fünf Punkte Rückstand – und damit acht Tabellenplätze. Die Tabelle kann sich also binnen zweier Spieltage wieder vollkommen drehen. Weitaus schwieriger ist es derzeit, die sportliche Ausgangslage zu drehen. An der spektakulären Spielweise und der Spielfreudigkeit aus der vergangenen Saison hat sich nichts geändert, jedoch gehen Caprettis Mannschaft die entscheidenden Momente ab, die in der vergangenen Saison oft zu Gunsten der Verler ausfielen. Gier und Zielstrebigkeit fehlen laut Kasim Rabihic in diesen Momenten. Er hat allemal das Recht zur Kritik: Mit zwölf Scorerpunkten, davon zehn Vorlagen, ist er Verls torgefährlichster Mann. Ansonsten gibt es in dieser Saison schon elf verschiedenen Torschützen, die sich auf 24 Tore verteilen. Heißt: Den Abschlussspieler wie Zlatko Janjic in der vergangenen Saison hat der SCV nicht in seinen Reihen – zumindest bis jetzt noch nicht. Ob der Sportclub für den Abstiegskampf die klassischen Tugenden besitzt, ist fraglich. Capretti, obgleich als Spieler früher Innenverteidiger, ist alles andere als ein Fan von Zerstörerfußball: Er setzt im eingespielten 4-3-3 auf schnelle Kombinationen, auf mutige Laufwege und eine hohe Positionierung. Davon abzuweichen, kommt für den Deutsch-Italiener erst einmal nicht infrage. „Ich glaube, diese Spielweise tut uns gut", sagte er. „Wenn man offensiv spielt, heißt es nicht, dass man hinten offen steht. Wenn wir es gut machen, geben wir den Gegnern keine Räume", so Capretti weiter. „Überall auf dem Platz gibt es Zweikämpfe, die du gewinnen musst, sonst gibt es Gegentore. Das hat nichts mit dem System oder der Herangehensweise zu tun. „Wir müssen zusehen, dass wir besser verteidigen, gerade um unseren Sechzehner herum", nennt Capretti die Stellschrauben, die noch gedreht werden müssen." Besonders prekär: Der Stadtrat entscheidet in den kommenden Wochen über einen Ausbau des Stadions zu einer Profifußball tauglichen Arena.
Transferpolitik
15 Spieler sind weg, 16 neue da – dieser Sommer hatte es in sich. Bemerkenswert: Der durchschnittliche Neuzugang ist – trotz des 38-jährigen Mahir Saglik, wohlgemerkt – keine 23 Jahre jung, auf Abgangsseite stehen mehr als 27 Jahre im Schnitt. Verabschiedet haben sich die Toptorjäger Zlatko Janjic (RW Essen) und Aygün Yildirim (Regensburg) sowie Linksverteidiger Lars Ritzka (St. Pauli) und Sechser Mehmet Kurt (Wiesbaden) sowie Berkan Taz (BVB 2) als Leistungsträger, dazu endete die erfolgreiche Leihe von Philipp Sander aus Kiel. Neben „Alterspräsident" Saglik, der im Spätherbst der Karriere sein Drittliga-Debüt feiert, sind auf allen Positionen Talente hinzugekommen, nur wenige wie etwa Stürmer Cyrill Akono (21) haben schon nennenswerte Profi-Erfahrung. Einige Akteure waren zudem nicht mal in der Regionalliga Stammspieler. Darunter Migel-Max Schmeling, der es für die U23 des BVB in der letzten Saison nur auf 50 Einsatzminuten brachte. Kurios: Der Saarländer Valdrin Mustafa wechselte von Rot-Weiss Koblenz nach Verl, musste seinen Vertrag aber nach kurzer Zeit wieder auflösen und spielt nun für die SV Elversberg.
Die Mannschaft
In der vergangenen Saison zählte Stammtorhüter Robin Brüseke für viele Experten zu den besten Keepern der 3. Liga. Nun findet er sich jedoch auf der Bank wieder. Die Freiburger Leihgabe Niclas Thiede hat sich im Kampf um die Nummer Eins durchgesetzt, besticht vor allem durch seine gute fußballerische Ausbildung. In der Viererkette hat Capretti noch nicht wirklich seine Topbesetzung gefunden. In der Innenverteidigung hat sich Steffen Schäfer durchgesetzt, der gegen den FCS zu seinem ehemaligen Arbeitgeber zurückkehrt. Auf den Außenverteidigerpositionen gibt es noch keine Konstanz. Im Dreier-Mittelfeld sowie in der Sturmreihe rotiert Capretti oft, der einzige wirkliche Stammspieler ist Kasim Rabihic, der mit weitem Abstand die Torjägerliste anführt.
Die Stärken
Verl ist eine spielstarke Mannschaft, die nicht viel von ihrer Spielfreude eingebüßt hat. Technisch starke Dribbler, eine sehr gute Passqualität und enormes Tempo im Spiel nach vorne zeichnet die Verler aus – wenn sie es auf den Platz bringen.
Die Schwächen
Derzeit scheint die Balance nicht zu stimmen im altbewährten 4-3-3 System, von dem Capretti in keiner Weise abrücken will. Derzeit schafft die Mannschaft es nicht, die sich öffnenden Räume, die durch das hohe Pressing entstehen, zu schließen oder zu verteidigen. Seit dem achten Spieltag geriet Verl in jedem Spiel mit 0:1 ins Hintertreffen, verzeichnete an zwölf der 14 Spieltage mindestens einen Rückstand – Liga-Negativwert. Der Trost, daraus immerhin noch zwölf Punkte generiert zu haben, ist allenfalls ein schwacher. Auf zwei Zu-null-Spiele zum Auftakt folgten 27 Gegentore in zwölf Punktspielen, mehr hat sich nur der TSV Havelse eingehandelt. Man wisse, defensiv „nicht die Stärke" zu haben, sagte Capretti. „Das muss man klar so sagen. Aber daran arbeiten wir." Im Spiel nach vorne fehlt ihnen derzeit die Durchschlagskraft und, wenn sie sich dann Chancen erspielen, jemand, der sie eiskalt versenkt.