Helsinki ist voller Kontraste. Die finnische Hauptstadt lockt mit viel Kultur und beeindruckender Architektur und ist in Sachen Nachhaltigkeit ganz vorne.
Erst 1812 wurde das damals kleine Helsinki die Hauptstadt Finnlands, setzte aber schon unter der Zaren-Herrschaft auf eine vernünftige Stadtplanung. Die übernahm der in Berlin geborene Carl Ludwig Engel (1778–1840), ein Studienfreund von Karl Friedrich Schinkel. Der von Engel entworfene Dom thront nach wie vor über der Stadt und begrüßt schon von Weitem alle, die sich per Schiff oder Fähre dem Südhafen und dem Marktplatz Kauppatori nähern. In nachhaltiger Weise und bestens gepflegt erfreuen dort weitere neoklassische, von Engel geplante Bauten, so das zartblaue Rathaus, die leicht ockerfarbene Universität und das sonnengelbe Senatsgebäude.
Am Hafen beginnt auch der seinerzeit angelegte Boulevard Esplanadi, die grüne Lunge Helsinkis. Die gepflegte Grünanlage mitsamt Park, dem Café-Restaurant „Kappeli" von 1867 und historischen Kiosken lieben die Bewohner ebenso wie Touristen. Im Sommer lohnt sich zeitiges Kommen, um auf den Bänken noch einen Platz zu finden und bequem einem der dann üblichen Konzerte zu lauschen. Manche Vögel haben hier ebenfalls einen Lieblingsplatz. Es ist die Statue des Nationaldichters Johan Ludvig Runeberg, der Finnlands Nationalhymne zu Papier brachte. Oft steht ein gefiederter Fan auf seinem Kopf.
Am Parkrand mit Blick in die Anlage findet sich auch das sehr geschätzte „Savoy Restaurant" von 1937. Es wurde von Finnlands weltberühmtem Stararchitekten Alvar Aalto entworfen, kürzlich restauriert und wird vom Guide Michelin (zu Recht) gelobt.
Der neue Lieblingsplatz der Helsinkier ist jedoch die im Dezember 2018 eröffnete Zentralbibliothek „Oodi", was Ode, also feierliches Gedicht, bedeutet. Diesen Namen hatte die Bevölkerung ausgewählt, sind doch die Finnen, bedingt durch den dunklen Winter, echte Leseratten. Der Weg dorthin führt vorbei im Hauptbahnhof, dessen kolossale steinerne Statuen, ein Beispiel gebend, einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Der muss momentan auch noch in dem lang gestreckten, zitronengelben Bibliotheksbau getragen werden.
Mit seinem bläulich schimmernden Glasdach wirkt das Gebäude wie ein Tropenfisch unter Wasser, der sich jedoch im lebhaften Stadtzentrum ebenso wohlfühlt wie die Menschen drinnen in diesem Bau. Mütter und Väter rücken mit Babys im Kinderwagen an. Das Café-Restaurant im Erdgeschoss ist sichtlich beliebt. Für die Einheimischen, so heißt es, sei die Zentralbibliothek bereits zum zweiten Wohnzimmer geworden. Dort kann jeder auch werkeln oder sogar mit einer digitalen Nähmaschine ein Blumenmuster auf eine Decke sticken. Einfach sei es nicht gewesen, sich diese Technik anzueignen, lächelt die erfolgreiche Näherin. In den Lesesälen im Obergeschoss gibt es Bücher in vielen Sprachen, auch auf Deutsch. Bei meinem Besuch an einem warmen Herbsttag sind sie kaum besucht. Einige junge Frauen sitzen draußen auf der Terrasse. Von dort geht der Blick auf einen weißen Bau, der offensichtlich saniert wird.
Es ist Helsinkis Wahrzeichen der Moderne, die Finlandia-Halle von 1971, geplant von Alvar Aalto. Für sich und seine Familie hatte er im Stadtteil Munkkiniemi ein recht bescheidenes, aber praktisches Haus mit eigenen Möbeln designt. Einiges hatte auch seine Frau Aino, ebenfalls Designerin, ersonnen.
Das meiste kommt den Besuchern bekannt vor und ist weiterhin gefragt. Unter Lizenz werden insbesondere Lampen, Vasen, Sessel und Stühle nachgefertigt und zu entsprechenden Preisen verkauft. So sieht Nachhaltigkeit aus.
Ein Foto von Alvar und Aino Aalto sowie ihre wegweisenden Produkte befinden sich in einem Altbau, dem Design Museum mit seinen Türmchen im Stadtzentrum. Die gestreiften T-Shirts von Marimekko, ein Kinder-Dauer-Hit, sind dort ebenfalls zu sehen.
Überdies hatte sich Alvar Aalto schon in den 1960er-Jahren intensiv mit der Stadtplanung befasst und im Umfeld seiner Finlandia Halle genügend Raum für künftige Bauten gelassen. Der wurde 2011 weitgehend vom smaragdfarbenen Musikzentrum gefüllt, einem Glasbau mit hervorragender Akustik.
Schon seit einigen Jahren befindet sich Helsinki erneut im Bau-Boom. Die Stadt ist als Wohn- und Arbeitsort beliebt. Die Bevölkerung wächst deutlich und wird weiter zunehmen. Daher schießen selbst im Osten Helsinkis, einer früheren Industriegegend, die Hochhäuser wie Pilze aus dem Boden.
Zeitgenössische Kunst im Emma Espoo Museum
Wildwuchs ist jedoch ein Tabu. Daher hat die Stadt ein „Urban Environment House" (ein Stadtentwicklungsgebäude) für 1.500 Beschäftigte errichten lassen, die dort miteinander das Helsinki der Zukunft planen sollen. Übrigens kann und konnte Helsinki schon immer Nach- und Neunutzung. Im 2015 eröffneten schicken Vier-Sterne-Hotel „Lilla Roberts" in der Pieni Roobertinkatu gibt es zum feinen Frühstück reinen Blaubeersaft als Super-Vitaminspender. Der stärkt enorm, muss doch frau einige Kraft aufwenden, um die schwere Zimmertür aufzudrücken. Warum das? Der robuste Bau von 1909 diente diversen Firmen als Sitz, zuletzt auch der Polizei. Vermutlich sollten auf diese Weise auch starke Kerle sicher verwahrt werden.
Ein noch markanteres Nachnutzungsbeispiel ist das 2006 eröffnete Emma Espoo Museum für zeitgenössische Kunst außerhalb Helsinkis, dessen Schätze in dem Betonbau einer ehemaligen Druckerei viel Platz gefunden haben.
Ein feministisch orientiertes Museum ist das Emma nicht, selbst wenn die Keramik-Arbeiten der international prämierten Designerin Rut Bryk (1916–1999) besondere Aufmerksamkeit verdienen. Ihre Kunstwerke sind zusammen mit denen ihres Mannes Tapio Wirkkala ausgestellt. Erneut ein erfolgreiches Designerpaar.
Neben dem Emma-Gebäude steht nun das gelbe, leicht versetzbare Futuro-Haus von Architekt Matti Suuronen, erfunden 1968. Viel Aufmerksamkeit fand es, als Helsinki im Jahr 2012 als Welt-Design-Hauptstadt fungierte. Jetzt wird es wieder instand gesetzt, genau wie es gerade mit der 2012 im Stadtzentrum errichteten Kamppi, der Kapelle der Stille, geschehen ist. Nachhaltigkeit kommt von Erhalten, und so verfahren die Finnen eben.
Doch sie bauen auch neue Kunst-Bauten. So soll in den nächsten Jahren an Helsinkis Südhafen – in dem dort kaum genutzten Gebiet Makasiiniranta – ein zukunftsweisendes Museum für Architektur und Design entstehen. Durch eine Flaniermeile am Wasser entlang soll die ganze Gegend aufgewertet werden.
Im Übrigen soll 2022 der durch Corona verzögerte Erweiterungsbau für Helsinkis Airport fertig sein. „Wir brauchen eine gute Verbindung nach China und Japan", betont ein akademisch gebildeter Taxifahrer. Finnlands nachhaltige Produkte, unter anderem Textilien, sind auch in Fernost stark gefragt.
In Helsinki ist das bei Bekleidung schon länger ein Trend, zu finden im Glasshouse (glasshousehelsinki.com) in der Einkaufsmeile Aleksanterinkatu 13. Beste Qualität aus Leinen, Wolle, Baumwolle und ein hoher Maßstab beim Produzieren, was Material, Menschen und Umwelt betrifft. Weniger kaufen, länger tragen, ist das Motto.
Im Öko-Häuschen direkt am Meer übernachten
Wollsocken und Wollmützen in bunten Farben locken, gestrickt wie einst von der Uroma. Alles soll wie früher lange halten, möglichst ein Leben lang. Schlichter Unisex-Schick von Nomen Nescio konkurriert mit farbenfroh gedrucktem Regenschutz. Dass solch dauerhafte Kleidungsstücke teurer sind als Wegwerfklamotten, versteht sich von selbst.
Auch im Gastronomie-Bereich tut sich was, insbesondere beim beliebten Restaurant „Nolla" in der in der Fredrikinkatu 22 (www.restaurantnolla.com). Nolla bedeutet Null und steht für null Abfall. Die zumeist regionalen Produkte werden nicht mehr in Kartons und Plastiksäcken angeliefert. Eine Kompostanlage verarbeitet die Abfälle. Das Mobiliar ist zweckmäßig und robust, der Service sehr freundlich und das Essen echt schmackhaft. Der Lohn: ein grüner Michelinstern, der 2020 speziell für nachhaltige Gastronomie geschaffen wurde, die auf Regionalität, Umwelt- und Ressourcenschonung setzt.
So bestens und fröhlich gesättigt, lässt sich wohl selbst bei kühlem Wetter eine Übernachtung direkt am Meer wagen, so in einem Majamaja Öko-Häuschen von Littow Architectes in Vuorilahdentie, erreichbar per Boot, mit der Fähre oder mit dem Fahrrad von Helsinki Zentrum in angeblich 30 Minuten. Allein oder zu zweit am Ufer einer Schäreninsel mit Wärme durch Photovoltaik auf dem Dach, kleiner Küche, Trockentoilette und zwei Schlafplätzen unterm Dach wird dieser Versuch mit etwa 250 Euro pro Nacht kein Billig-Vergnügen, aber vielleicht ein in Erinnerung bleibendes Erlebnis.
Preiswerter ist ein Ausflug auf die Schären-Insel Suomenlinna, einer ehemaligen Schwedenfestung und inzwischen Unesco-Weltkulturerbe. Viele Bauten und eine Kirche sind dort noch erhalten. Die schöne, weniger frequentierte Doppelinsel Vallisaari-Kuninkaansaari mit Wanderwegen in intakter Natur ist bereits – nach Beendigung der Kunst-Biennale – in den Winterschlaf gefallen. So bleibt sie ein Traumziel für den nächsten Sommer.