Die Schar derjenigen, die zwar den Winter in den Bergen lieben, nicht aber den Skirummel, wird immer größer. Praktisch, wenn sie im Südtiroler Sexten zu Gast sind. Denn zu Füßen aufragender Dolomitengipfel, allen voran die berühmten Drei Zinnen, warten aufregende Alternativen.
Mit bizarrem Raureif überzogene Schneewiesen glitzern in der Sonne. Die Bäume sehen aus wie Märchenfiguren, die in strahlend weiße Mäntel gehüllt sind. Die schroffen Gipfel der Dolomiten mit der berühmten Sextner Sonnenuhr scheinen zum Greifen nah. Klingt kitschig? Nein, klingt nach Fischleintal, das Bergsteigerlegende Luis Trenker zum „schönsten Tal der Welt" geadelt hat. Und der nicht zuletzt durch seine Filme bekannt gewordene Tausendsassa ist mit seinem Lobgesang wahrlich nicht der einzige. Als vermutlich attraktivste Fortbewegungsart im winterlichen Fischleintal sehen die meisten – neben der Pferdekutsche – die Langlaufski. Die rund vier Kilometer vom Sextener Ortsteil Moos bis zur „Talschlusshütte" sind sowohl für den klassischen als auch für den Skating-Stil gespurt und bis ins Frühjahr hinein befahrbar. Weitere Pluspunkte, die insbesondere Einsteiger ansprechen: breite, sonnige Wege mit mehreren Spuren, kaum Steigung und Traumkulisse (siehe oben). Außerdem kann man sich gleich in mehreren Hütten stärken. Wer sich in der Folge zu Höherem berufen fühlt, kann etwa die 20 Kilometer lange und bis auf 1.800 Meter hinaufführende Panoramaloipe Kreuzberg-Klammbachalm-Mitterberg unter die Bretter nehmen. Und damit nicht genug: Insgesamt locken in der Region mehr als 200 Loipenkilometer, die zusammen mit den nahen Osttiroler Nachbarn ein im wahrsten Sinne grenzenloses Langlaufvergnügen ermöglichen.
Touren für Einsteiger mit Traumkulisse
Kurz: Um den Winter in vollen Zügen zu genießen, braucht es keine vollen Gondeln. Und es braucht noch nicht einmal volle Ausrüstung. Einfach die warmen Stiefel geschnürt und ab in den Schnee! Oder besser: Ab auf die geräumten Winterwanderwege! Da schaltet man automatisch in den Autopilotmodus: Auf Schritt und Tritt die verschneite Landschaft genießen, die klare Winterluft atmen, dem knirschenden Schnee lauschen. Stark, wenn dann auch noch imposante Berge für eine erhabene Kulisse sorgen. Auf der sonnenverwöhnten „Sextener Almenwanderung", die am Kreuzbergpass beginnt und endet, gibt es die wirklich en masse. Wenig erstaunlich bei diesem Namen gehören auch Almen zum Repertoire. Das Besondere: Alle drei haben im Winter geöffnet. So lautet eine der schwersten Fragen bei der drei- bis vierstündigen, moderaten Tour, wo man einkehrt. Auf der für seine Pasta gerühmten „Coltrondo Alm"? Oder lieber auf der „Nemes Alm", bei der Ottis selbstgemachter Apfelstrudel einen legendären Ruf genießt? Oder auf der urigen, auf Tiroler Hausmannskost spezialisierten „Klammbachalm" am Fuße der 2.580 Meter hohen Hollbrucker Spitze? Aber warum eigentlich oder?
Eine winterliche Wanderung durchs Innerfeldtal, etwa zwölf Kilometer nordwestlich des Kreuzbergpasses gelegen, steht besonders bei Familien hoch im Kurs. Schließlich führt der Weg zwar unterhalb majestätischer Gipfel entlang, aber nicht so hoch, als dass es nicht auch Kinder schaffen könnten. Selbst bei aufkommendem Quengeln können Eltern den Nachwuchs sechs Kilometer und gerade einmal 300 Höhenmeter gut „raufmotivieren", nicht zuletzt dank der Aussicht auf Schnitzel und Kaiserschmarrn auf der familienfreundlichen „Dreischusterhütte". Eine andere Art der Motivation stellt eine Nachtwanderung dar. Für professionelle Beleuchtung in Gestalt von Fackeln sorgen etwa die Organisatoren der einmal pro Woche angebotenen „Yetiwanderung". Die ist alles andere als zum Fürchten, im Gegenteil: Die Strecke ist überschaubar, der anschließende Glühwein verlockend. Alternativ drehen alle, die nach Sonnenuntergang noch aufgedreht sind, auf der täglich bis 21 Uhr beleuchteten Loipe im Dorfzentrum von Sexten ein paar Extrarunden.
Wintersportler mit Hang zum Hang zieht es jedoch eher auf Skitour. Diese Art des sanften Wintersports erlebt, nicht zuletzt durch die Corona-Lockdowns befeuert, ja einen wahren Boom. Doch angesichts der zahlreichen Tourmöglichkeiten rund um Sexten muss dort niemand einen Stau am Berg fürchten. Erst recht nicht auf der Route vom Fischleintal hinauf zur Oberbachernspitze im Herzen der Sextner Dolomiten. Was auch daran liegt, dass Einsteiger vermutlich erst mal andere Wege wählen als den durchs Bacherntal. Wobei die teils senkrechten Wände zu Unrecht abschrecken. Der Weg selbst ist nämlich nicht so schwierig wie er „von unten" vermuten lässt. Angesichts rund 1.200 Höhenmeter sollte man aber durchaus Kondition mitbringen. Und auch keine Scheu vor Spitzkehren haben. So heißen die Wenden, bei denen im steileren Gelände erst der Bergski gehoben und dieser dann in einem beinahe 160-Grad-Winkel in die gegenläufige Richtung verrenkt werden muss. Zum Glück sind die anspruchsvollen Passagen nur kurz. Noch besser: Die Mühe lohnt sich sehr. Allein wegen des sagenhaften Blickes vom Gipfelkreuz aus. Aufgrund seiner zentralen Lage bietet der 2.677 Meter hohe Berg eine herrliche freie Sicht auf bekannte Gipfel wie Elferkofel, Hochbrunner Schneid und Zwölferkofel. Zum Greifen nahe scheint auch der Gipfel des Einserkofels. Was man nicht sieht: eine nahe Hütte. Zumindest keine, die geöffnet ist. Die wartet dann, in Gestalt der „Talschlusshütte", erst zum Finale der über vorwiegend offenen Hänge mit kurzen Steilstufen führenden Abfahrt.
Mit Schneeschuhen auf die Gipfel
Eben jene „Talschlusshütte" stellt auch den Start- und Zielpunkt der Drei-Zinnen-Tour dar. Und während es im Sommer vor der meistfotografierten Felstrilogie der Alpen mitunter ganz schön zugeht, dürfen sich Besucher in der kalten Jahreszeit auf ein meist einsames Wintermärchen freuen. Etwas Kondition brauchen sie jedoch schon, wenn sie vom Fischleintal die knapp 1.000 Höhenmeter hinauf zur „Drei-Zinnen-Hütte" wollen. Und Tourenski oder Schneeschuhe sind Pflicht; ohne Equipment „unten rum" käme man im Schnee kaum voran. Mit der Schuhvergrößerung jedoch klappt es gut. Selbst bei Neulingen stellt sich in der Regel kurz nach dem Start der 6,5-Stunden-Tour der richtige Stapfrhythmus ein. Und angesichts der einmaligen Bergkulisse Euphorie. Zwar sind die Gipfel der Dolomiten-Dreitausender mit Schneeschuhen kaum zu bezwingen, aber die vielen Höhenwege und Zwischengipfel um die 2.000-Meter-Marke bieten perfektes Schneeschuhgelände, um sich den Felsgiganten anzunähern – und dazu zählt eben auch der Aufstieg durchs Altensteintal. Gut zu wissen: Erst ganz zum Schluss wird man mit dem Blick auf die einmaligen Drei Zinnen belohnt. Und meistens hat man den fast für sich allein. Die Hütten haben nämlich im Winter geschlossen, eigener Proviant ist also Pflicht. Wer dann (wieder) Energie hat, kann auch noch den Sextner Stein etwas oberhalb der „Drei-Zinnen-Hütte" an- beziehungsweise hinaufgehen.