Mit dem schlechtesten Saisonstart aller Zeiten kratzt Greuther Fürth schon nach elf Spieltagen an ewigen Negativrekorden von Tasmania Berlin. Der Abstieg scheint ohnehin programmiert zu sein.
Die Kleeblätter können einem schon leidtun. Denn ähnlich wie es in der Vorsaison dem traditionsreichen FC Schalke 04 ergangen war, der mit 30 sieglosen Partien am Stück fast eine ewige Marke des Neukölner Clubs aus der Spielzeit 1965/1966 geknackt hätte, wird derzeit die SpVgg Greuther Fürth fast nur in einem Atemzug mit Tasmania Berlin genannt. Eben genau jenem Verein, der gemeinhin als schlechtestes historisches Bundesligateam angesehen wird. Doch selbst die Tasmanen hatten seinerzeit am zwölften Spieltag mit einem Sieg (gegen den Karlsruher SC) und einem Unentschieden (gegen den 1. FC Kaiserslautern) mehr Punkte eingefahren als die Franken. Bei denen lediglich ein einziges Pünktchen zu Buche steht, errungen am zweiten Spieltag zu Hause gegen Arminia Bielefeld, als die Kleeblätter nicht einmal eine fast halbstündige zahlenmäßige Überlegenheit gegen einen der Hauptkonkurrenten im Abstiegskampf zum ersten Heimsieg ihrer Bundesligageschichte nutzen konnten.
Jobgarantie für Trainer Leitl
Nach der Heimpleite am elften Spieltag gegen Eintracht Frankfurt sollte sich die Sieglos-Serie im Sportpark Ronhof auf 22 Partien ausgeweitet haben, nachdem Greuther Fürth schon in seiner ersten Bundesliga-Saison 2012/2013 keines seiner 17 Matches vor eigenem Publikum für sich hatte entscheiden können. Ein Punkt nach zwölf Spieltagen, darunter am achten Spieltag die 0:1-Heimschlappe gegen den zweiten Abstiegskonkurrenten VfL Bochum, ist gleichbedeutend mit dem schlechtesten Bundesliga-Auftakt aller Zeiten. Zumal Fürth schon am elften Spieltag den bisherigen Negativrekordhalter 1. FC Saarbrücken abgelöst hatte, dem in der Saison 1963/1964 in der elften Runde mit einem Remis gegen Preußen Münster immerhin der zweite Punktgewinn gelungen war. Mit dieser ernüchternden Zwischenbilanz dürfte der Abstieg des Sensationsaufsteigers, der im Mai 2021 in einem Herzschlagfinale mit dem jüngsten Team der Zweiten Liga (Schnitt: 24,6 Jahre) dank einer technisch versierten und offensiven Spielweise den Sprung ins Oberhaus trotz vergleichsweise bescheidenen finanziellen Möglichkeiten geschafft hatte, eigentlich nur noch Formsache sein. Fußballwunder lassen nicht mal in Franken ständig wiederholen. Es kann eigentlich für die Spielvereinigung mit dem Mini-Etat von 17,7 Millionen Euro nur noch darum gehen, die aktuelle Spielzeit respektvoll und mit dem einen oder anderen Erfolgserlebnis zu Ende zu bringen. Und gleichzeitig dank der zusätzlichen TV-Gelder eine schlagkräftige Truppe für die kommende Zweitliga-Saison aufzubauen.
In nächster Zukunft steht allerdings zu befürchten, dass Greuther Fürth den einen oder anderen Tasmania-Negativrekord brechen könnte. Am vergangenen Spieltag kassierten die Kleeblätter bei den heimstarken Gladbacher Borussen ihre zehnte Niederlage in Folge und zogen damit in dieser Pleitenbilanz mit Tasmania, dem 1. FC Nürnberg (aus der Saison 1984/1985) und Hansa Rostock (aus der Saison 1999/2000) gleich. Und nach dem folgenden Match gegen Hoffenheim könnte Fürth alleiniger Negativ-Rekordhalter sein. Auch in anderen unrühmlichen Statistiken könnte Tasmania von den Franken abgelöst werden: Acht Heimniederlagen in Folge (wie auch Hansa Rostock 2004) oder nur zwei Saisonsiege (wie der Wuppertaler SV 1974/1975). An Tasmanias 31 sieglosen Partien am Stück war ja schon Schalke gescheitert, was Greuther Fürth Hoffnung machen sollte. Und Tasmanias 108 Gegentore wird die keineswegs sattelfeste Kleeblatt-Abwehr sicher vermeiden können, nach dem zwölften Spieltag stehen erst 29 Treffer negativ zu Buche – bei allerdings erst acht selbst erzielten Toren (da war Tasmania auf insgesamt 15 Treffer gekommen).
Neuzugänge zünden bisher nicht
Dass es eine schwierige Saison 2021/2022 werden würde, war den Hauptverantwortlichen um Präsident Fred Höfler, Trainer Stefan Leitl (seit Februar 2019 im Amt) und Sport-Geschäftsführer Rachid Azzouzi von Anfang an klar gewesen. Der Klassenerhalt wurde trotz des schmalsten Budgets aller 18 Bundesligaclubs natürlich als Ziel ausgegeben, das jedoch nur dann als erreichbar angesehen wurde, wenn alles passen würde. Angesichts des Abgangs von gleich vier Leistungsträgern sprach allerdings von Anfang an viel dagegen. Der Wechsel des defensiven Mittelfeldspielers Anton Stach zu Mainz 05 brachte immerhin 3,5 Millionen Euro Ablösesumme in die Kasse, den Torvorbereiter David Raum musste man hingegen ablösefrei zur TSG Hoffenheim ziehen lassen, auch für den zu Union Berlin abgewanderten Paul Jaeckel und für den sich Hannover 96 anschließenden Sebastian Ernst bekamen die Kleeblätter kein Geld.
Ein Harakiri Richtung Schuldenmachen kam für die Club-Oberen nicht infrage. Wobei sie in Kauf nehmen mussten, dass der Qualitätsverlust durch preisgünstige Neuverpflichtungen in Höhe von insgesamt 1,3 Millionen Euro nicht aufgefangen werden konnte, wie schon das Ausscheiden in der ersten DFB-Pokalrunde beim Regionalligisten SV Babelsberg 03 angedeutet hatte. Obwohl das Ausleihen des Schweizer Stürmers Cedric Itten von Glasgow Rangers oder des Bayern-Innenverteidiger-Talents Adrian Fein zunächst als vielversprechend angesehen wurden, auch wenn sich Fein dann doch keinen Stammplatz erobern konnte. Und sich zudem inzwischen vier von insgesamt zwölf Neuzugängen langwierige Verletzungen zugezogen haben. Wobei besonders auf die drei Innenverteidiger Nick Viergever (vom PSV Eindhoven kommend), Gideon Jung (vom Hamburger SV) und Justin Hoogma (von der TSG Hoffenheim) sowie auf Stürmer Jessic Ngankam (von Hertha BSC) große Hoffnungen gesetzt worden waren.
Größtes Manko ist fraglos die mangelnde Bundesliga-Erfahrung des Kaders. Diesbezüglich ist man in Fürth fast gänzlich auf Kapitän Branimir Hrogota angewiesen. Der zugleich die einzige ernst zu nehmende Offensivkraft im Team darstellt. Auch wenn der Schwede bei seinen früheren Stationen Borussia Mönchengladbach und Eintracht Frankfurt nicht den Nachweis eines herausragenden Erste Liga-Goalgetters hatte erbringen können, aber immerhin mit 16 Toren zum Aufstieg entscheidend beigetragen hatte. Bislang sind ihm drei Treffer in der aktuellen Saison gegen Bielefeld, Hertha BSC und Leipzig gelungen. Ohne dass er mit seiner schmächtigen Statur die gegnerischen Abwehrrecken ständig von einer Verlegenheit in die andere hätte stürzen können. Alle Experten sind sich einig, dass Hrogota viel mehr Unterstützung durch seine Teamkollegen erhalten müsste, was aber kaum möglich sein dürfte, da der Kader im Vergleich zur Aufstiegssaison als schwächer eingestuft und ihm die erforderliche Bundesliga-Tauglichkeit meist abgesprochen wird.
„Manchmal nicht erklärbar"
Branchenuntypisch wurde bislang Trainer Stefan Leitl noch nicht infrage gestellt, sondern ihm wurde sogar schon mehrfach ostentativ von Sportchef Azzouzi der Rücken gestärkt: „Stefan ist ein Toptrainer." Obwohl Leitl angesichts der Misserfolg-Serie eigentlich immer ratloser wirkende Erklärungen oder Durchhalteparolen zu bieten hat. Nach der Last-Minute-Niederlage gegen Eintracht Frankfurt am elften Spieltag klang das wie folgt: „Für mich ist das Ganze schwer zu erklären, ich habe da auch nicht viele Worte." Auch wenn die Enttäuschung bei seinen Jungs in der Kabine natürlich groß gewesen sei, habe die Mannschaft trotz der vielen Nackenschläge Charakter bewiesen und ein sehr gutes Spiel abgeliefert: „Fußball ist manchmal nicht erklärbar, deshalb stehen wir wieder mit null Punkten da."
Man könnte natürlich böswilligerweise durchaus auch mal versuchen, Erklärungen für die Erfolglosigkeit beim Trainer und seiner Spieltaktik zu ergründen. Anknüpfend an Leitls verräterischen Hinweis nach dem Frankfurt-Match: „Wir wollten natürlich hoch anlaufen." Dahinter verbirgt sich nichts anderes als des Trainers von Tempo, Pressing und Offensivfußball geprägte Lieblingsphilosophie, die er bei Ingolstadt von Ralph Hasenhüttl übernommen hatte. Nachdem er bei den Schanzern mit diesem Konzept nicht die erhofften Erfolge hatte erzielen können, wurde er in Fürth, wo man auf einen schönen, technisch versierten Kickstil besonderen Wert legt, mit offenen Armen empfangen. In der Zweiten Liga hatte Leitls Arbeit nach zwei Jahren Früchte getragen. Daher war es nur logisch, dass er an diesem offensiven Spielsystem auch in der Bundesliga festhalten wollte. Statt sich zunächst einmal auf eine solid-kompakte Abwehr zu verlassen, wie es die Abstiegskonkurrenten Bochum oder Bielefeld zu machen pflegen, lässt Leitl sein Team mutig auftreten.
Bis auf die 5:1-Auftaktschlappe in Stuttgart und die jüngste Niederlage in Gladbach klappte das auf dem Platz meist auch ganz ordentlich. Am Ende jubelten allerdings fast immer nur die Gegner, weil Abwehrfehler, drei Eigentore oder auch Gegentreffer nach Standardsituationen die läuferischen Bemühungen und ansehnlichen Kombinations-Darbietungen der Kleeblätter ebenso konterkarierten wie fehlende Coolness vor dem gegnerischen Tor. In Leipzig beispielsweise hätten die Fürther am neunten Spieltag ihre drückende Überlegenheit gegen in der ersten Halbzeit völlig indisponierte Bullen nicht nur in ein Törchen ummünzen, sondern bei etwas mehr Abgezockheit locker gleich deren drei erzielen können. Da große Wintertransfers kaum zu erwarten sein dürften, bleibt Leitl und Co. eigentlich nur noch die Möglichkeit, das Gefühl von Erfolglosigkeit und Selbstzweifel aus den Köpfen der Spieler zu verbannen. „Nach einem Aufstieg tun sich Vereine oft schwer, sich mit den neuen Gegebenheiten zurechtzufinden. Du hast eine Saison lange viele sportliche Erfolge gefeiert. Und plötzlich gibt es eine Serie von Niederlagen", so der Ulmer Sportpsychologe Markus Gretz im Bayerischen Rundfunk zur Situation bei den Kleeblättern.