Die Saar-Kommunen haben kaum finanziellen Spielraum: Hohe Schulden und niedrige Steuereinnahmen verhindern dringend notwendige Investitionen. Die Luft zum Atmen soll vonseiten des Landes und des Bundes kommen.
Ein neues Löschfahrzeug für die Freiwillige Feuerwehr im Ort: 450.000 Euro. Bau eines modernen Klassenzimmers: 500.000 Euro. Bau einer neuen Kita, pro Raum ab 600.000 Euro. Ein moderner, klimafreundlicher Bus für die Verkehrsbetriebe: 650.000 Euro. Finanzieller Spielraum: null.
Obwohl das Land zusätzlich zu seinen Verpflichtungen den Städten und Gemeinden pandemiebedingte Belastungen abnimmt, gehören die Saar-Kommunen weiter zu den finanziell schwächsten der Republik. Und gerade weil Bund und Land derzeit ausgefallene Steuern, nach neuester Schätzung 272 Millionen Euro im Saarland, übernehmen, gilt der bange Blick der Kommunen der Zukunft. Denn noch stehen Zusagen des Bundes aus, diese Ausfälle auch 2022 zu übernehmen. Laut Steuerschätzung 2023 verzeichnen die Gemeinden auch im Jahr 2023 noch Verluste bei den Gewerbesteuereinnahmen – die Nachwirkungen der Corona-Jahre.
Es ist ein zutiefst saarländisches Problem. Eines, das im ständigen Wandel der vergangenen Jahrzehnte begründet liegt – weg von Schwerindustrie, Kohle und Stahl, wohlgemerkt ohne Bundeshilfen wie beispielsweise jüngst das Kohleverstromungsgesetz vergibt, bei dem 38 Milliarden Euro für das Ende der Kohleverstromung ausgeschüttet werden. Und nun ein neuer Strukturwandel, der hohe Investitionen in die Infrastruktur des Landes, aber auch die der Rathäuser selbst erfordert.
„Der kommunale Rettungsschirm des Landes hat uns sehr geholfen", sagt Hermann-Josef Schmidt, Präsident des Saarländischen Städte- und Gemeindetages (SSGT) und Bürgermeister von Tholey. Gleichzeitig erwartet er Zusagen des Bundes, auch weiterhin den Kommunen finanziell zu helfen.
Im Coronajahr 2020 sank zwar die Pro-Kopf-Verschuldung des Saarlandes auf 3.154 Euro je Einwohner, knapp zwölf Prozent weniger als im Vorjahr. Bedingt durch die von Bund und Land erstatteten Steuerausfälle konnten die Kommunen etwas aufatmen. Viel Freiraum für Investitionen aber bleibt nicht, denn der größte Teil der Einnahmen landet bei Gläubigern. Schon 2020 investierten die Kommunen pro Kopf nur 290 Euro in die Infrastruktur und damit im Bundesvergleich mit Abstand am wenigsten (zum Vergleich: Rheinland-Pfalz 415 Euro, Bayern 914 Euro, Quelle: Bertelsmann Stiftung) – Priorität ist und bleibt der Schuldenabbau und die Rückkehr zur Schuldenbremse. Geringe Ausgaben sind bedingt durch die zu geringen Steuereinnahmen. Auch hier liegt das Saarland abgeschlagen auf dem letzten Platz der westlichen Bundesländer, nur die ostdeutschen Kommunen nahmen noch weniger ein. Gleichzeitig ist das Land Spitzenreiter bei den Kassenkrediten, umgerechnet auf die Einwohnerzahl waren dies 1.942 Euro pro Einwohner. Dennoch bleibt es nicht bei den aktuellen Belastungen. Denn neue kommen hinzu, beispielsweise das Angehörigen-Entlastungsgesetz. Durch das Gesetz sollen Angehörige, die weniger als 100.000 Euro pro Jahr verdienen, nicht mehr in Anspruch genommen werden, wenn ihre Eltern oder Kinder pflegebedürftig werden und die Pflegeversicherung und eigene Mittel die Kosten nicht decken. Die Mehrbelastungen haben die kommunalen Sozialhilfeträger zu tragen. „Dass der Bund immer neue Sozialgesetze auf den Weg bringt, ohne dass er hierfür die vollständige Finanzierung übernimmt, ist für die Kommunen eine tickende Zeitbombe", so Schmidt, „denn die Menschen werden immer älter, die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente. Anforderungen an die Jugendhilfe steigen, Rechtsansprüche auf Kitaplätze, Ganztagsunterricht an Schulen, deren Digitalisierung, Klimawandel und moderner ÖPNV." Allesamt Daueraufgaben.
Höhere Steuern sind undenkbar
Wo soll also das Geld nun herkommen? Das Hauptanliegen der Kommunen: die Entlastung bei den Altschulden. Dabei handelt es sich vor allem um Kassenkredite, was im Privaten Dispokrediten entspricht. Die aktuelle Niedrigzinslage kommt den Kommunen natürlich entgegen, aber auch bei diesen Krediten ist der Spielraum jetzt begrenzt. Dafür sorgt der Saarlandpakt. Dieser übernimmt die Hälfte der Kassenkredite, Zinsen und Tilgung. Die andere Hälfte müssen die Kommunen jedoch selbst zurückzahlen.
Schon jetzt ist klar, dass einige Städte und Gemeinden im Saarland dies nicht schaffen werden, „da müsste uns das Land entgegenkommen", sagt Schmidt. Der damalige Finanzminister Olaf Scholz hatte bereits 2020 auf Bundesebene eine Diskussion über den Altschuldenfonds auf Bundesebene angestoßen. Zustande gekommen ist er jedoch aufgrund von CDU-Bedenken nicht. Jetzt ruht die Hoffnung auf einer neuen Bundesregierung.
Höhere Gewerbesteuern, die Haupteinnahmequelle der Gemeinden, sind ausgeschlossen. Hier liegt das Saarland ohnehin schon bei einem ungünstig hohen Steuersatz. „Wir kennen die Forderungen der Verbände, diesen Steuersatz zugunsten von mehr Ansiedlungen zu senken", erklärt Schmidt. „Aber das können wir uns nicht leisten." Die Grundsteuer liegt mittlerweile im bundesdeutschen Durchschnitt, hier haben die Kommunen an der Einnahmenschraube drehen können.
Mit Blick auf die Zukunft von ansässigen Betrieben und deren Strukturwandel aber graben sich Sorgenfalten auf die Stirn von Jörg Aumann, Oberbürgermeister der Stadt Neunkirchen und stellvertretender Präsident des Städte- und Gemeindetags. „Der abrupte Wechsel in der Antriebstechnik von Verbrenner zu Elektro ist eine massive Herausforderung für viele große Unternehmen nicht nur in meiner Stadt, sondern im ganzen Saarland. Wir hoffen natürlich, dass die Betriebe die Transformation hinbekommen, dass Arbeitsplätze für neue Autobauteile erhalten bleiben. Deshalb freuen wir uns über jede Ansiedlung hier im Land, auch wenn sie nicht im Landkreis Neunkirchen liegt." Denn ein Teil der eingenommenen Gewerbesteuern werde auch über den kommunalen Finanzausgleich in den Saar-Gemeinden verteilt, heißt, alle profitieren von einer größeren Ansiedlung in einer Kommune. Ohnehin gilt für Schmidt, dass der Finanzausgleich neu geregelt werden sollte, insbesondere zwischen Land und Gemeinden. Das Land verteilt nach einem Schlüssel Gelder an die Kommunen, hier solle es eine Erhöhung geben, so Schmidt, „auf 22,5 Prozent". Bislang werden 20 Prozent der Ausgaben vom Land gedeckt.
Und für die ganz großen Zukunftsaufgaben bedürfe es eines Investitionsprogrammes: Bildung, Infrastruktur, die Auswirkungen des Klimawandels, die notwendige Digitalisierung der Verwaltung. „Es gibt Förderprogramme von Bund und EU, deren Gelder von den Verwaltungen im Rathaus aber nicht abgerufen werden", erklärt Stefan Spaniol, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindetags, „weil diese Programme zu kompliziert konzipiert sind oder die Förderfristen in der Praxis nicht einzuhalten sind oder das Personal fehlt." So kommen Gelder für neue Schulen oft nicht nur aus einem, sondern mehreren Fördertöpfen mit unterschiedlichen Anforderungen und bürokratischen Aufwänden. Das sei nicht in allen Rathäusern zu leisten, vor allem nicht in jenen kleiner Kommunen.
Ein paar Zauberworte tauchen in jeder Diskussion um kommunale Finanzen immer wieder auf. Das eine davon: Fusionen. Das hat die jetzige Regierungskoalition von der Agenda genommen. Und an freiwillige Zusammenschlüsse hat in der jüngsten Vergangenheit auch kaum einer ernsthaft gedacht. Geblieben ist die IKZ, die Interkommunale Zusammenarbeit.
Kommunen legen Dienste zusammen
In der Regel, so hieß es immer wieder, sollte die vor allem im „Backoffice"-Bereich vorangetrieben werden, also dort, wo es die Bürger zunächst einmal gar nicht direkt mitbekommen. Deswegen mag das auch in den meisten Fällen wenig wahrgenommen werden, aber es ist einiges passiert, und durch die Erfahrungen in der Krise dürfte sich auch noch vieles weiter bewegen. Hermann-Josef Schmidt jedenfalls stellt fest: „Ich habe den Eindruck, dass sich das durchaus weiterentwickelt hat." Aber in einem Punkt rückt er dann die Zusammenhänge zurecht: Man dürfe sich nicht der Illusion hingeben, dass durch interkommunale Zusammenhalte Haushalte zu sanieren sind, beziehungsweise es große Einsparungen gibt. Was nicht heißen soll, dass sie unnütz wären, im Gegenteil. Die Zusammenarbeit über kommunale Grenzen hinweg sei geradezu notwendig, um die Aufgaben erfüllen zu können. Was unter anderem daran liegt, dass immer mehr Aufgaben auf die kommunale Ebene übertragen werden. Kleinere Gemeinden würden da schlicht schnell an ihre Grenzen stoßen. Kleiner wäre in diesem Fall eine Größenordnung von unter 20.000 Einwohnern.
Beispiele für Felder der Zusammenarbeit sind etwa Standesämter, die Überwachung des Verkehrs in den Kommunen, der gesamte IT-Bereich, Bauhöfe oder Feuerwehr. Bei der Daseinsvorsorge etwa gibt es die Zusammenarbeit schon ziemlich lange in den Zweckverbänden wie etwa der EVS oder für den IT-Bereich der eGo-Saar (elektronische Verwaltung für Kommunen), der jetzt im Zuge zusätzlicher Digitalisierungsanstrengungen noch mal verstärkt worden ist. Mit landesweit für die Kommunen zuständigen Verbänden dieser Art sei das Land schon „ein Unikat", meint Schmidt, was allerdings auch mit der Größe oder in diesem Fall korrekter: Kleinheit des Landes zusammenhängt. Kurzum: „IKZ weil es notwendig ist, um die Aufgaben zu erledigen, nicht um zu sparen".
Jörg Aumann als Vertreter der größeren Gemeinden, die nicht so sehr wie kleine darauf angewiesen sind, bestätigt das am Beispiel seiner Stadt Neunkirchen, die IT-Dienstleistungen für etliche Umfeldgemeinden übernommen hat. Das sichere die Effektivität, spare aber kein Geld. Günstigenfalls könnten Gemeinden womöglich Personalkosten sparen, aber die übernommenen Dienstleistungen sind natürlich nicht umsonst. Ein Beispiel dafür, dass es durchaus Synergien gibt, von denen der Bürger aber im Grunde nichts merkt.
Wo sich Jörg Aumann Fortschritte vorstellen könnte, wäre eine viel stärkere Zusammenarbeit bei Beschaffungen, vorstellbar etwa im Bereich der Feuerwehren. Allerdings stößt auch das oftmals auf sehr unterschiedliche Bedürfnisse. Und natürlich gibt es gerade in einem so sensiblen Bereich wie der Feuerwehr Befindlichkeiten. Trotzdem wäre sicherlich bei gemeinsamer Beschaffung einiges zu sparen, und einheitlichere technische Standards würden auch in diesem Bereich Zusammenarbeiten erleichtern können. Erfahrungsgemäß sind das Prozesse, die Zeit brauchen, zumindest, wenn man sie nicht par ordre du mufti verordnen – und den entsprechenden Ärger einhandeln will.
Gemeinsam neue Anschaffungen planen und bezahlen
Die Herausforderungen der Coronakrise haben aber im Bereich der Zusammenarbeit zwischen Kommunen durchaus neue Erfahrungen hervorgebracht. Und nicht nur zwischen den Kommunen, sondern auch zwischen Kommunen und Kreisen. Deren Verhältnis ist naturgemäß immer etwas distanzierter, was schlicht an Strukturen, Zuständigkeiten und vor allem an der Art der Finanzierungen hängt, Stichwort Kommunalabgabe. Da hat sich nach Bekunden im Grunde von allen Seiten einiges bewegt. Die enge Zusammenarbeit in Krisenstäben, die regelmäßig intensiven Besprechungen und nicht zuletzt die Erfahrung, dass sich doch einiges in Videokonferenzen schnell und mit vergleichsweise geringem Terminkoordinierungsaufwand bewältigen lässt, wird auch nach der Krise bleiben wie auch ein gewachsenes gegenseitiges Verständnis in dieser Zusammenarbeit. Es ist eben nichts so schlecht, dass es am Ende nicht auch für etwas gut sein kann, meinen die kommunalen Spitzenvertreter.
Aber zunächst sind sie wie alle ihre Kolleginnen und Kollegen mit der Bewältigung der neuerlichen und bislang schwersten Pandemiewelle vollauf beschäftigt. Die ersten Weihnachtsmärkte sind bereits abgesagt, aber Aumann stellt auch die Frage, ob man nicht denen, die alles an denkbaren Vorsorgemaßnahmen treffen, um soziales Leben zu organisieren, das nicht auch ermöglichen müsste. Aber auch unter den Rathauschefs gehen die Meinungen durchaus auseinander. In den früheren Wellen ist Deutschland im Vergleich zu europäischen Nachbarn noch ganz gut durchgekommen. Womöglich hat auch das dazu zu einer gewissen Leichtfertigkeit beigetragen, die die Entwicklung der letzten Tagen mit erklärt. Jedenfalls will kein Bürgermeister im Saarland in seiner Gemeinde Entwicklungen, wie sie in etlichen bayrischen Gemeinden der Fall sind.
Und so wenig, wie jemand verlässlich die nächsten Wochen voraussagen kann, so unsicher ist es auch, welche mittel- und langfristigen Auswirkungen diese neue, massive Pandemiewelle haben wird.