Die Pläne der Ampelkoalition stoßen stellenweise auf viel Zustimmung, aber auch auf Kritik. Verbände, Naturschützer und Gewerkschaften bringen sich bereits bei vielen Sachthemen erkennbar in Stellung.
Die deutschen Verbände und Gewerkschaften dürften das Koalitionspapier in den vergangenen Tagen genau durchgearbeitet haben. Die Erkenntnis: Nach 16 Jahren CDU-geführter Regierung weht ein scheinbar progressiverer Wind durch das Land. Aber nicht an jeder Stelle und an mancher gar nur als laues Lüftchen.
Vor allem in Sachen Finanzierung. Die Naturschutzorganisation Greenpeace schätzt für Dekarbonisierung und klimaneutrale Transformation einen Bedarf von 80 Milliarden Euro. Pro Jahr. In einer Stellungnahme wirft die Organisation der Koalition jedoch Intransparenz und „Taschenspielertricks" vor. Der neue Finanzminister sei der Öffentlichkeit ein Finanzierungskonzept für all jene Versprechungen schuldig, insbesondere für den Klimaschutz, der einen großen Teil des Papiers einnimmt. Auch die Verkehrswende werde ausgebremst, staatliche Instrumente für die geplanten 15 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen bis 2030 fehlten. Als Erfolg wertet die Organisation den vorgezogenen Kohleausstieg auf das Jahr 2030, den Klimacheck für jegliche Gesetze und der deutlich hervorgehobene Ausbau der Erneuerbaren Energien. Außerdem sei die Förderung der Kreislaufwirtschaft und die Verpflichtung auf Tierwohllabels für Fleisch- und Milchprodukte zu begrüßen.
„Taschenspielertricks"
Auch für die Arbeitgeberverbände ist der „große Wurf" im Papier der Ampelkoalition nicht durchgängig erkennbar. „Leider hat der Ampel der Mut gefehlt, über den Status Quo hinaus neue Freiheiten für Unternehmen und Beschäftigte zu schaffen und Eigenverantwortung zu stärken. Der zaghafte Aufbruch in eine Flexibilisierung der Arbeitszeit ist dafür ein Beispiel", sagt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Eine weiterentwickelte soziale Absicherung sei ebenso wenig erkennbar. Lediglich bei der Einführung einer Aktienrente und der Wiedereinführung des Nachholfaktors in der Rente läge die Koalition richtig; auch damit, dass es keine neuen Regulierungen gibt: Bei befristeten Arbeitsverhältnissen, weiteren Einschränkungen der Zeitarbeit oder der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen.
Die bis 2022 laufende Innovationsprämie, sprich der verdoppelte Bundeszuschuss zum Kauf von Elektroautos, stößt ebenfalls nicht überall auf Gegenliebe. So kritisierte der Bund für Umwelt- und Naturschutz die weitere Förderung von Plug in-Hybriden, wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Der umweltfreundliche Nutzen sei nicht klar, denn ob die Wagen batterieelektrisch oder doch überwiegend mit Verbrenner fahren, bleibt den Lenkern überlassen. „Um den schnellen Hochlauf der Elektromobilität, wie er auch politisch vorgegeben ist, zu unterstützen, sind die Prämien beim E-Auto-Kauf – und dazu zählen ausdrücklich auch Hybride – auch in Zukunft nötig", erwiderte die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller. „Die Förderung der Hybride brauchen wir auch mit Blick auf die noch nicht flächendeckend ausgebaute Ladeinfrastruktur."
DGB-Chef Reiner Hoffmann zeigt sich vor allem unzufrieden mit dem Anheben der Hinzuverdienstgrenze bei Minijobs. Diese seien eine „Falle" für Arbeitnehmer, so der Gewerkschafter. Weiterer Knackpunkt: die Steuern. „Wer mehr Fortschritt wagen will, darf sich nicht vor einem Einstieg in eine gerechte Steuerpolitik drücken. Dazu haben sich die zukünftigen Ampelkoalitionäre nicht durchringen können. Das ist eine zentrale Schwachstelle." Außerdem kritisiert der Gewerkschaftsbund die sachgrundlose Befristung nur für den öffentlichen Dienst und die mangelnden „Preisschilder" für die geplanten Maßnahmen. Ausdrücklich gelobt werden die Punkte der betrieblichen Mitbestimmung, Tariftreue und die geplante Mindestlohnerhöhung auf zwölf Euro, die Ideen zur betrieblichen Weiterbildung und die Kindersicherung.
Grundsicherung „ein Meilenstein"
Der Paritätische Wohlfahrtsverband dagegen zeigt sich verhalten optimistisch. Das Glas sei „halb voll", heißt es in einem Pressestatement des Verbandes. „Und das ist mehr, als bei einem solchen Zweckbündnis, in dem zu Teilen komplett gegensätzliche Gesellschaftsentwürfe aufeinander prallen, erwartet werden durfte", so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Positiv bewertet der Verband unter anderem die deutliche Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro, aber auch pflegepolitische Vorhaben im Koalitionsvertrag, wie die Einführung einer Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige, die Ankündigung, die pflegebedingten Eigenanteile abzusenken und die Einführung einer Pflegevollversicherung zu prüfen. Mit dem Einstieg in eine Kindergrundsicherung oder in den gemeinnützigen Wohnungsbau würden zudem geradezu Meilensteine gesetzt. Auch dass sich die Koalition geeinigt habe, ein Klimageld zur sozialen Kompensation steigender CO2-Preise zu entwickeln, sei voll zu begrüßen.
Die Pläne für eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns lassen Hoteliers und Gastwirte, die ohnehin massiv unter der Pandemie leiden, deutlich höhere Personalkosten fürchten. Die staatliche Heraufsetzung von derzeit 9,60 auf zwölf Euro je Stunde bedeute laut einer Umfrage für die Mehrzahl der Betriebe eine Personalkostensteigerung von 15 bis 25 Prozent, kritisierte der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Der Handelsverband HDE warnte, die sprunghafte Steigerung sei ein Eingriff in die Tarifverträge zahlreicher Branchen. Nur die Tarifvertragsparteien könnten die wirtschaftliche Belastbarkeit der Unternehmen in ihrer Branche beurteilen.
Auch die Pläne zum Umbau der Landwirtschaft hat die Verbraucherorganisation Foodwatch bereits als unzureichend kritisiert. SPD, Grüne und FDP wollen mehr Tierschutz in den Ställen durchsetzen und planen dafür eine gesicherte Finanzierung für die Bauern und neue Kennzeichnungen im Supermarkt. Der Koalitionsvertrag aber sei insgesamt nicht geeignet, ein zukunftsfähiges, klima- und tierfreundliches europäisches Agrarsystem zu schaffen, erklärt Foodwatch. Die neue Bundesregierung solle keine weitere Zeit mit „nationalem Klein-Klein" und freiwilligen Maßnahmen der Agrarbranche vergeuden. Sie müsse für konkrete gesetzliche Verbesserungen auf EU-Ebene sorgen. So könne das Ziel der Klimaneutralität nur dann erreicht werden, wenn die Tierbestände in Deutschland und der EU ungefähr halbiert würden. Eingeführt werden müssten strengere gesetzliche Vorgaben für die Gesundheit von Nutztieren. Das mit Subventionen vollgepumpte Agrarsystem schade Klima und Umwelt, mache Nutztiere krank und treibe Landwirte in den Ruin, sagt Foodwatch-Gründer Thilo Bode.