Der Koalitionsvertrag und die meisten Minister sind benannt, die Verfahren über die endgültige Zustimmung zur ersten Bundes-Ampel laufen. Noch steht der Zeitplan zur Wahl von Olaf Scholz als Bundeskanzler. Gleichzeitig wächst der Druck mit den täglich steigenden Infektionszahlen.
Von wegen allem Anfang wohnt ein Zauber inne. Das Ampel-Kabinett ist noch nicht vereidigt, es stehen nicht einmal alle künftigen Ressortchefs fest, da stellen Kommentatoren bereits Spekulationen an, wie lange wohl dieses ungleiche Trio zusammenhalten wird. Ein Trio, das seinerseits selbst erklärt hat, noch bevor alle Parteigremien oder Mitglieder ihr Plazet zum Start gegeben hatten, dass sie sich eine Zusammenarbeit über den nächsten Wahltermin hinaus vorstellen könnten. Was zu diesem Zeitpunkt eher als symbolisches Signal verstanden werden sollte.
Die größten Sorgen schienen von den Jungen auszugehen. Ob Jusos und Grüne Jugend den Koalitionsvertrag so einfach durchgehen lassen würden, war alles andere als sicher. Der designierte Kanzler Olaf Scholz ging selbst zu den Jusos, um zu erklären, wie das mit dem „Mehr Fortschritt wagen" gelingen soll. Wichtiger aber war, dass er offensichtlich die Befindlichkeit der Jusos mit ihrem Markenkern als aufmüpfige linke Truppe ziemlich gut getroffen hat, meinte doch die gerade im Amt bestätigte Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal: „Wir freuen uns, Dich im Bundestag zum Kanzler zu wählen." Scholz hatte zuvor insbesondere wohl mit Blick auf die zahlreichen neuen Bundestagsabgeordneten aus Reihen der Jusos versucht, die neue Rolle der SPD als führende Regierungspartei deutlich zu machen. Kritische Begleitung der Arbeit der neuen Koalition ja – aber bitte immer im Blick, „dass man sich mehr mit der Union beschäftigt als mit denen, mit denen wir jetzt hier den Aufbruch wagen wollen".
Grüne Jugend ohne „Ampel-Euphorie"
Für etliche Abgeordnete wird es in der Tat eine Umgewöhnungsphase geben müssen. Bislang hatten sie in der ungeliebten GroKo immer auch ein Stück innere Oppositionshaltung gegenüber den großem Partner an den Tag gelegt, waren auf Abgrenzung bedacht und darauf aus, die Erfolge der eigenen Ministerriege hervorzuheben. Eine Lehre aus der Vergangenheit, war doch der SPD durchaus attestiert worden, gute Regierungsarbeit zu machen, die Lorbeeren landeten am Schluss aber dann doch bei der Kanzlerin. Jetzt wird der künftige Kanzler und mit ihm seine Partei dafür sorgen wollen, dass Regierungserfolge vor allem mit ihnen nach Hause gehen. Zugleich haben die Jusos bei aller Unterstützung für ihren Kanzler deutlich gemacht, dass sie nicht daran denken, den Druck für ihre Positionen zurückzufahren. Das zumindest verspricht eine lebendige Fraktion, die kaum alles so durchwinken wird, wie es Regierungsvorlagen vorsehen werden.
Mehr Skepsis gegen den Koalitionsvertrag war aus Reihen der Grünen Jugend erwartet worden. Weil die Grünen die Parteibasis nicht nur über den Vertrag, sondern auch über das ausgehandelte Spitzenpersonal entscheiden lassen, ist erheblich unsicherer, wie weit die zurückhaltende Zustimmung tragen wird. Das zeigt auch die Äußerung des Grüne-Jugend-Sprechers Timon Dzienus: „Ampel-Euphorie gibt es bei uns nicht." Konsequenterweise formuliert auch ein Antrag: „Wir als Grüne Jugend werden uns nicht gegen den Koalitionsvertrag stellen." Die Parteispitze dürfte das geahnt haben. Ihre Angespanntheit und Unzufriedenheit in der letzten Phase der Verhandlungen war offensichtlich. Dass sie sich nicht zu 100 Prozent durchsetzen konnten, war klar, aber das müssen sie eben auch der Basis erklären. Und die wiederum spürt vor Ort deutlich, dass vielen das Ergebnis nicht weit genug geht. Druck gibt es aus Verbänden, aus Bürgerinitiativen und schließlich auch aus Reihen von Fridays for Future, die wiederum nicht unerheblich zum Höhenflug der Grünen mit beigetragen haben. Jetzt finden nicht nur prominente Aktivistinnen und Aktivisten wie Carla Reemtsma ein ziemlich vernichtendes Urteil: „Das, was die da präsentiert haben, reicht bei Weitem nicht aus, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen." Dazu meint dann auch Dzienus: „Das Pariser Klimaziel ist definitiv wichtiger als die Einhaltung des Koalitionsvertrags." Trotzdem warben er und die Co-Vorsitzende Sarah-Lee Heinrich für eine Zustimmung, schließlich gebe es auch „deutliche Verbesserungen", wobei vor allem auf gesellschaftspolitische Themen abgehoben wurde. Dass die Parteibasis ihr Votum auch über die Ministerriege abgeben kann, macht die Sache zusätzlich unsicher. Im Grunde geht zwar kaum einer davon aus, dass die Basis die Chance auf eine Regierungsbeteiligung vertun will, aber es könnte knapp werden. Für die Grünen auch ein insofern ein Risiko, als das Votum auch etwas über ihre eigene Machtbasis sagt. Geht es zu knapp aus, dürfte das interne Macht- und Richtungskämpfe befeuern, die bislang unter dem Ziel einer Regierungsbeteiligung in den Hintergrund getreten sind. Dabei geht es weniger um die früheren Linien zwischen Realos und Fundis, die neuen Linien verlaufen zwischen umwelt-, gesellschafts- und insbesondere identitätspolitischen Strömungen.
SPD lässt bei Posten auf sich warten
Am leichtesten tut sich noch die FDP. Parteichef Christian Lindner spricht von einer „Regierung der Mitte", die antritt, um „den Status quo zu beenden". Klingt ganz nach FDP pur. Ist es zwar nicht, trotzdem gibt es keine sonderlichen Debatten darüber. Nach acht Jahren zurück in die Regierung, und das, nachdem nicht wenige die FDP vor vier Jahren nach dem Ausstieg aus Jamaika-Verhandlungen so gut wie jede Regierungsfähigkeit abgesprochen hatten. Jetzt können und müssen sie beweisen, was es heißt, besser zu regieren.
Für Irritationen sorgte, dass zwar FDP und kurz darauf die Grünen ihr Personaltableau präsentierten, die SPD dagegen erst einmal nur ihre neue Parteispitze nach dem Rückzug von Co-Parteichef Norbert Walter-Borjans geregelt hat. Mit der Benennung der Ministerriege ließ man sich Zeit. Jedenfalls sollte vor dem Sonderparteitag am 4. Dezember Klarheit herrschen. In der sich zuspitzenden Corona-Krise wurde der Druck immer stärker, Klarheit insbesondere über das Gesundheitsressort zu schaffen.
Einen ersten Aufschlag haben die künftigen Ampelianer im Bundestag mit dem neuen Infektionsschutzgesetz bereits geleistet, bevor eine Koalition unter Dach und Fach ist. Das war dringend nötig, um nach Auslaufen der Regelungen zur „epidemischen Lage von nationaler Tragweite" eine Basis für weiteres Handeln zu haben. Schon bei der Verabschiedung war eine erste Überprüfung für den 9. Dezember mit verabredet, also kurz nach der geplanten Vereidigung des neuen Kabinetts. Die Bewältigung der sich immer weiter verschärfenden Lage ist die erste und entscheidende Bewährungsprobe, an der sich Entschlossenheit aber auch Geschlossenheit der neuen Partner ablesen lassen wird.