Das Saarland hat nach den höchsten Zuwächsen im Infektionsgeschehen seine Maßnahmen gegen die vierte Welle drastisch verschärft. Experten erwarten zunächst weiter steigende Zahlen und eine Zunahme von Patienten.
Die Corona-Krise ist, mit der Wirtschaft, in den Augen der Saarländerinnen und Saarländer das größte Problem, vor dem das Land steht. Diese Erkenntnis aus dem jüngsten „Saarlandtrend" im Auftrag des SR kommt wenig überraschend. In einem rasanten Tempo hat sich das zunächst noch einigermaßen überschaubare Infektionsgeschehen im Land mit Sieben-Tages-Inzidenzen von deutlich über 400 dem Bundesdurchschnitt angenähert. Im selben Maß sank denn auch die Zufriedenheit der Saarländer mit dem Krisenmanagement. Ankündigungen, Korrekturen, die Erkenntnis, dass der Abbau von Infrastrukturen wie Test- und Impfzentren übereilt war, dazu das ungute Gefühl, dass Lockerungen zu früh und zu weitreichend waren, haben das Vertrauen sinken lassen. Mehr als die Hälfte äußert sich kritisch, ein Jahr zuvor waren noch zwei Drittel zufrieden mit dem Krisenmanagement.
Dem Eindruck trat Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) in einer Regierungserklärung in der Sondersitzung des Landtags zum einzigen Thema Corona entgegen: „Auch wenn gelegentlich anderes behauptet wird: Wir haben seit Beginn der Pandemie im Februar/März des vergangenen Jahres immer eine klare Linie verfolgt". Unabhängig von der Diskussion über die zurückliegenden Monate stellt der Regierungschef unwidersprochen jetzt fest: „Erneut stehen wir vor einer immensen Herausforderung".
Und die heißt konkret: Die Sieben-Tages-Inzidenz liegt Ende November mehr als doppelt so hoch wie die Höchststände der bisherigen Pandemiewellen.
Die Hospitalisierungs-Inzidenz (Zahl der in Krankenhäuser eingelieferten Corona-Patienten pro 100.000 Einwohner binnen binnen sieben Tagen) lag zeitweise knapp über 3, damit deutlich unter dem Bundesdurchschnitt, aber über dem ersten Schwellenwert, ab dem nach den neuen Vorgaben erste Maßnahmen greifen müssen. Da die Infektionszahlen erst mit Zeitverzögerung, dann aber explosionsartig angestiegen sind, gehen Experten davon aus, dass sich das ebenfalls mit Zeitverzögerung vor Weihnachten in Krankenhäusern und Intensivstationen auswirken wird.
Noch ist die Lage aber so, dass das Saarland Patienten aus den extrem betroffenen Krisenländern aufnehmen konnte. Dafür hatte das Klinikum Saarbrücken das Corona-Beatmungszentrum reaktiviert. Experten gehen davon aus, dass sich die Lage in den nächsten Wochen bis Weihnachten und um den Jahreswechsel auf einen Höhepunkt zubewegt und werden nicht müde, schärfere Maßnahmen bis hin zu einem Lockdown einzufordern, um die vierte Welle zu brechen. Das umso mehr, als noch niemand richtig einschätzen kann, wie sich die Dinge durch die neue Omikron-Mutation weiter entwickeln wird.
Nicht nur im bereits zitierten Saarlandtrend zeigt sich ein großes Verständnis für verschärfte Maßnahmen, das aus Sorge um die neue Omikron-Variante noch gestiegen sein dürfte.
Das Saarland reagiert auf die Entwicklung mit einer weitgehenden 2G-Regelung, teilweise sogar 2G-Plus, was de facto einen Lockdown für Ungeimpfte bedeutet (Ausnahme Kinder, die noch nicht geimpft werden können). Ob das den Druck ausreichend erhöht, um die Impfquote weiter signifikant zu erhöhen, wird sich zeigen.
Impfpflicht wird durch Omikron immer wahrscheinlicher
Die Nachfrage bei den jetzt wieder eröffneten Impfzentren und bei Ärzten ist jedenfalls deutlich gestiegen, auch Booster-Impfungen machen erkennbare Fortschritte. Bei einer Impfquote von 74,9 Prozent vollständig Geimpfter (Zweitimpfung, Stand 30.11.21) liegt das Saarland zwar nach wie vor auf Platz zwei der Länder. Aber von Impfquoten, wie sie Experten immer für notwendig erachtet haben (etwa 85 Prozent, bei Älteren über 90 Prozent) ist man noch ziemlich entfernt.
Der jüngste Streit um Kontingentierungen von Biontech-Impfstoff hat insbesondere Hausärzte auf den Plan gerufen und für weitere Verunsicherungen gesorgt. Mit solchen Ankündigungen „würgt der Bundesgesundheitsminister den Impfturbo ab und verursacht Chaos in den Praxen", kritisiert die Kassenärztliche Vereinigung. Ein Chaos, das gerade jetzt alles andere als gebraucht wird.
Aber auch andernorts läuft es offensichtlich nicht zum Besten. Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Magnus Jung (SPD) verwies auf die Personalsituation in den Gesundheitsämtern, die längst die Grenzen ihrer Möglichkeiten überschritten haben. Bei Tagesfallzahlen im hohen dreistelligen Bereich nachvollziehbar, dass eine konsequente Kontaktnachverfolgung nicht mehr funktionieren kann. In den ersten Wellen hatte hier bereits (wie in Impfzentren) die Bundeswehr unterstützt, Jung fordert nun auch, in der gesamten Landesverwaltung zu prüfen, ob Personal abgestellt werden könnte.
Überhaupt zeigt sich die SPD immer wieder unzufrieden. „Wenn gesagt wird, wir tun alles, was möglich ist, dann sage ich: Es geht noch mehr", betont Magnus Jung. Einigkeit besteht jedenfalls in der Frage der verschärften Maßnahmen: „Wir brauchen Verschärfungen, nicht um Ungeimpfte zu bestrafen, sondern zum Schutz der Menschen".
Uneinigkeit dagegen beim Thema Impfpflicht. Anke Rehlinger (SPD), stellvertretende Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin, ist für eine Impfpflicht, Ministerpräsident Hans (CDU) hatte zunächst die Auffassung vertreten, es sei „nicht die Debatte, die wir jetzt brauchen". In seiner Regierungserklärung bezeichnete er dann „die Forderung nach einer generellen Impfpflicht für alle nachvollziehbar" und wollte auch mit Hinweis auf die neue Omikron-Variante des Virus nicht ausschließen, „dass sie in Zukunft kommen muss".
Der Landtag hat in seiner Sondersitzung den Weg frei gemacht für weitere Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie. Das Infektionsgeschehen sei „virulent wie nie", sagte Ministerpräsident Tobias Hans in seiner Regierungserklärung. Deshalb hat der Landtag die epidemische Lage weiterhin festgestellt als Grundlage für weitere Maßnahmen. Kernpunkte sind Impfen, Testen und Kontaktbeschränkungen. Außerdem soll es wieder eine Maskenpflicht geben, wenn Mindestabstände von 1,5 Metern nicht eingehalten werden können. Es gibt eine weitgehende 2G-Regelung, und dort, wo bislang schon 2G galt, eine Verschärfung auf 2G-Plus (also auch tagesaktuelle Tests für Geimpfte und Genesene), das betrifft vor allem Innenräume, beispielsweise in der Gastronomie oder Freizeiteinrichtungen), außerdem Kontaktbeschränkungen, die vor allem Ungeimpfte treffen.
Konkrete Regelungen erfolgen in einer Rechtsverordnung, die bei Redaktionsschluss noch nicht vorlag.