Entweder an diesem Sonntag (5. Dezember) in Saudi-Arabien oder eine Woche später (12. Dezember) in Abu Dhabi – in einem dieser beiden Königreiche wird der neue König der Formel 1 gekürt: entweder Max Verstappen (Red Bull) oder Lewis Hamilton (Mercedes). Zwei hochexplosive Rennen stehen bevor.
Mit 22 Rennen wurde der Formel-1-Rennkalender letztendlich verabschiedet. Mit so vielen WM-Läufen wie nie zuvor. Aber erst im finalen Double-Header wird die Entscheidung fallen. Wird der WM-Führende Max Verstappen aus dem Red Bull-Stall oder sein Mercedes-Herausforderer Lewis Hamilton Weltmeister? Der 24-jährige Jung-Bulle aus den Niederlanden zum ersten Mal oder der 36 Jahre alte Brite Lewis Hamilton zum achten Mal und damit alleiniger Rekordhalter vor Michael Schumacher? Steht die Jugend vor einem Generationswechsel? Spätestens nach dem Finale werden diese Fragen beantwortet sein.
Haudegen und Jäger Hamilton lässt sich im Kampf um den WM-Titel von seinem Rivalen Verstappen so schnell nicht zur Strecke bringen. In den vergangenen zwei Rennen machte der siebenmalige Champion auf seinen Gejagten fette Beute. Diese waren sein sensationeller Sieg in Brasilien und zuletzt F1-Triumph Nummerr 102 bei der F1-Premiere in Katar. Bei seinem nie gefährdeten souveränem Start-Ziel-Sieg nach seiner 102. Poleposition (erster Startplatz) profitierte Hamilton auch von der Strafe des „Bullen". Verstappen wurde nach Missachten einer doppelt geschwenkten gelben Flagge in der Samstags-Qualifikation von Platz zwei für das Rennen um fünf Plätze auf Rang sieben strafversetzt. Mit seinem Raketenstart aber katapultierte sich der „fliegende Holländer" auf Rang vier vor und nistete sich später auf Platz zwei ein. Der Zweitplatzierte schnappte sich noch die schnellste Rennrunde und somit den Bonuspunkt. Verstappen hatte aber zu keinem Zeitpunkt die Chance, Hamilton anzugreifen und zu „erlegen". Der fuhr vorne kontrolliert und auf Nimmerwiedersehen auf und davon zu seinem siebten Saisonsieg – und krönte sich zum Wüsten-König. Der Losail International Circuit ist die 30. unterschiedliche Strecke, auf der Hamilton ein Rennen gewinnen konnte. Die britische Boulevardzeitung „Daily Mail" bemerkte zu Hamiltons Wüsten-Triumphfahrt: „Die Strafen der Fia-Stewards in Brasilien haben den Briten dazu veranlasst, sich aus dem Grab zu erheben und einen Sieg zu erringen." Seine „Auferstehung" erklärte der „Auferstandene" bei Sky so: „Es war vorne ziemlich einsam. Ich genieße natürlich auch die Rennen, bei denen man kämpfen muss. Aber heute haben wir diese Punkte gebraucht." Mit Blick auf die beiden Finalrennen sei er „sehr, sehr happy mit dem Auto. Ich fühle mich fitter als je zuvor. Das stimmt mich positiv."
Hamilton „sehr happy" mit dem Auto
Fahrer des Tages und Überraschungs-Dritter in Doha wurde Fernando Alonso im Alpine-Renault. Der 40-jährige F1-Methusalem bestieg nach seiner Sensationsleistung nach 2.674 Tagen oder sieben Jahren seit seinem letzten Podium 2014 in Ungarn wieder das Siegerpodest. Der stolze Spanier ist überraschend im VIP-Bereich der Formel 1 angekommen. „Es fühlt sich gut an, das letzte Podium ist lange her", so Alonso bei Sky. Für den Renault-Weltmeister 2005 und 2006 und 32-maligen GP-Sieger ist es das 98. Podest seiner Karriere. Nebenbei: Der Asturier aus Oviedo ist im „biblischen Alter" der dritte Ü40-Pilot in der Königsklasse. Seine beiden Vorgänger in den vergangenen 35 Jahren waren Nigel Mansell 1994 in Australien sowie Michael Schumacher 2012 beim GP von Europa in Valencia.
Sebastian Vettel fiel nach einem miserablen Start von Platz zehn auf Rang 17 zurück. Der Aston-Martin-Pilot kämpfte sich tapfer nach vorne, wurde nach 57 Runden Zehnter und ergatterte noch einen WM-Punkt. Mick Schumacher im Haas profitierte von Ausfällen, wurde 16. wie fast schon gewohnt vor seinem russischen Stallkollegen Nikita Mazepin. Mit seinem Katar-Erfolg robbte sich Hamilton an den „Bullen" heran und knabberte ihm sechs Punkte von dessen 14-Zähler-Vorsprung ab. Nach neun Saisonsiegen von Verstappen und sieben Triumphen seines Verfolgers steht es in der Fahrerwertung der beiden Alpha-Tiere vor den beiden „furiosen" Finalrennen 351,5:343,5. In der Teamwertung der Konstrukteure hat Mercedes durch den Ausfall nach Reifenschaden von Hamilton-Adjutant Valtteri Bottas noch einen knappen Fünf-Punkte-Vorsprung (546,5:541,5).
Jetzt aber auf ins nächste Formel 1-Königreich auf der Arabischen Halbinsel am Persischen Golf, nach Saudi-Arabien. Nach Katar hat auch dieser Wüstenstaat seine Formel 1-Strecke. Rennpremiere ist am Sonntag (5. Dezember, 17 Uhr, RTL und Sky) auf dem Jeddah Street Circuit. Mit dem ersten Grand Prix in Saudi-Arabien ist wieder ein weißer Fleck auf der Formel 1-Landkarte getilgt. Auf den allerletzten Drücker ist in der Rekordzeit von nur acht Monaten Bauzeit (seit April 2021) direkt an der Küste des Roten Meeres ein Stadtkurs mit sieben Tribünen entstanden, der laut Veranstalter der schnellste der Welt ist. Die Höchstgeschwindigkeit wird mit geschätzten 322 km/h angegeben, das Durchschnitts-Tempo mit 252 km/h. Zum Vergleich: Im Top-Speed-Tempel von Monza sind die Piloten im Schnitt mit 264 km/h auch nicht viel schneller unterwegs. Das Design aus der Feder des Aachener Paradestrecken-Architekten und Streckenbau-Ingenieurs Hermann Tilke bietet „das Beste eines modernen Stadtkurses, beinhaltet aber gleichzeitig auch schnelle und flüssige Passagen, die für hohe Geschwindigkeiten und Überholvorgänge sorgen", heißt es in einer Streckenbeschreibung. Mit einer Gesamtlänge von 6,175 Kilometern und 27 Kurven (16 Links- und elf Rechtskurven), darunter eine Zwölf-Grad-Steilkurve, ist die Strecke der zweitlängste Kurs im Rennkalender. Überboten wird sie nur von der Ardennen-Achterbahn im belgischen Spa-Francorchamps/Belgien mit 7,004 Kilometer. Die Meldung von der Aufnahme Katars und Saudi-Arabiens in den Kalender wurde von vielen Fans und Medien kritisch betrachtet. Wegen der allgemeinen Menschenrechtslage in diesen Golfstaaten stand der geldgierige PS-Zirkus schon im Vorfeld in massiver Kritik. Doch die perlt an den F1-Rechteinhabern und Machern ab. Motto: Ohren zu, Augen auf und durch. Lewis Hamilton, Wortführer bei den Fahrern auf einer Pressekonferenz zum Thema Menschenrechte: „Ich denke, dass wir uns bewusst sind, dass es an den Orten, an die wir reisen, Probleme gibt, wie überall auf der Welt, aber natürlich scheint es in diesem Teil der Welt mit am schlimmsten zu sein." Er denke aber, wenn diese Sportler an diese Orte gehen, „haben sie die Pflicht, auf diese Probleme aufmerksam zu machen. Und diese Orte müssen unter die Lupe genommen werden, und die Medien müssen über diese Dinge sprechen." Hamilton würde sich wünschen, dass mehr Sportler ihre Stimme erheben, um auf Probleme aufmerksam zu machen. „Wir waren in vielen dieser Länder, waren uns aber einiger der Probleme, die es dort gibt, nicht bewusst", sagt er. Der Mercedes-Pilot betont aber, dass es nicht die Entscheidung der Fahrer ist, wo sie fahren. Sebastian Vettel weicht bei der Frage aus, ob er eher eine Chance zur Veränderung sieht oder die Probleme, in solchen Ländern zu fahren. „Das ist eine schwierige Frage", gesteht er und antwortet: „Das ist auch keine Frage nur für mich, sondern für alle. Wir fahren einfach gern Auto, und das tun wir überall auf der Welt. Nicht immer stimmen wir den Kulturen zu, aber das ist eine Frage für die Formel 1 generell." Zu einem Grand Prix in Saudi Arabien äußerte sich der viermalige Weltmeister in einem Interview der „New York Times": „Fairerweise muss ich zugeben, dass ich nicht wirklich etwas sagen kann, weil ich nicht wirklich genug weiß. Wir haben das Thema intern schon ein wenig gestreift, aber ich ziehe es vor, nichts zu sagen, weil ich noch nicht genug Wissen habe, um mich wirklich dazu zu äußern." Unter anderem sagte er auch bemerkenswerterweise: „Wir reisen in viele Länder, und vieles von dem Geld, das wir bekommen, ist vielleicht nicht besonders rein." Dass die Formel 1 diese Rennen trotzdem veranstalte, sei aus moralischer Sicht: „Falsch".
Langfristige Verträge mit den Scheichs
Richtig ist dagegen, dass am Ende bekanntlich nur das Geld zählt. Und das ist dank des immer noch reichlich sprudelnden schwarzen Goldes, der Ölquellen, reichlich vorhanden. Locker bis zu 60 Millionen Euro lassen sich die Scheichs ihr PS-Spektakel pro Jahr kosten. Katar hat angeblich 70 Millionen Euro für sein Premiere-Rennen gelöhnt. Zum Vergleich: Die deutschen Strecken mussten schon vor der Pandemie bei Summen von etwa 15 Millionen Euro aussteigen. Mit Katar und Saudi- Arabien hat die Formel 1 langfristige Verträge über zehn Jahre abgeschlossen. Mittelfristig wird der Grand Prix der Saudis auf eine eigens gebaute, permanente Rennstrecke in Qiddiya umziehen.
Auf der Premiere-Strecke in Dschidda, der zweitgrößten Stadt Saudi-Arabiens an der Westküste des Landes nach der Hauptstadt Riad, kann der WM-Führende Verstappen schon vorzeitig seinen ersten Titel einfahren. Mit seinem Acht-Punkte-Vorsprung hat er den Matchball. Reist er mit 26 Zählern mehr als Hamilton zum Finale nach Abu Dhabi (12. Dezember, 14 Uhr Sky), hätte der „stramme Max" sein Ziel erreicht. Eher unwahrscheinlich, aber zumindest theoretisch möglich. Für einen vorzeitigen WM-Sieg gibt es folgende Szenarien: Verstappen gewinnt und holt die schnellste Rennrunde, Hamilton wird maximal Sechster. Oder: Verstappen gewinnt ohne schnellste Rennrunde, Hamilton wird maximal Siebter. Oder: Verstappen wird Zweiter, Hamilton bleibt ohne Punkte. Alle Rechenspiele scheinen für Verstappen eher unrealistisch. Hamilton kann frühestens in Abu Dhabi alter und neuer Champion werden. Und zwar aus eigener Kraft –
wenn er die beiden letzten Rennen gewinnt. Die britische Tageszeitung „The Guardian" kommentierte nach Hamiltons Katar-Sieg: „Nach 20 Rennen einer zermürbenden Formel 1-Saison bleibt Lewis Hamilton unerbittlich und unbeugsam in seiner Entschlossenheit, den Titelkampf bis zum letzten Ende zu führen." Mercedes-Sportchef Toto Wolff bezeichnet seinen besten und teuersten Angestellten als „brutal" und „kaltblütig". Die Disqualifikation und Strafversetzung in Brasilien hätten in ihm „den Löwen geweckt". Für die beiden letzten Rennen, die bei Flutlicht ausgefahren werden, gibt der schwarzhaarige Silberhäuptling und Wiener Schlawiner die Richtung vor: „Jetzt heißt es nur noch volle Attacke. Wir müssen noch einige Punkte aufholen." Und die sollen wie schon in Brasilien mit einem neuen Motor eingefahren werden. Der Kampf Hamilton gegen Verstappen geht jetzt in Richtung Siedepunkt. Es droht „Explosionsgefahr".