Tom Hillenbrand ist unter anderem bekannt für seine kulinarische Krimi-Reihe. Im neuen Band „Goldenes Gift" deckt der Luxemburger Koch Xavier Kieffer einen Lebensmittelbetrug um gepanschten Honig auf.
Per Videocall begrüßt einen ein gut gelaunter Tom Hillenbrand in seinem Münchener Büro sitzend, hinter seinem Rücken ragt ein Regal mit großen Fächern auf. Darin stehen Recherchematerial für verschiedene Buchprojekte und ein großer Handapparat mit Lektüre zur Essenshistorie und Luxemburgiana. Doch was der Anrufer nicht sieht: In seinem Büro steht kein Kühlschrank mit Lebensmitteln – was von Hillenbrand auch so gewollt ist. Morgens geht er in sein Büro, fängt immer zur selben Zeit an und schreibt 10.000 Zeichen – bevor die nicht geschrieben sind, geht er nicht raus zum Lunch. Wenn er arbeitet, trinkt Tom Hillenbrand kalorienarmen Oolong-Tee. Und immer wenn der Autor an einem Kieffer-Krimi arbeitet, liegt griffbereit eine „Guide Michelin"-Ausgabe von 1939 auf dem Schreibtisch. Die unverfängliche „Wie geht’s Ihnen heute"-Frage verknüpft er automatisch mit der aktuellen Corona-Lage – die dieser Tage alles andere als entspannt ist. Psychologisch findet er es schwierig, dass man erst dachte, nun laufe alles wieder. Wenn er aber jetzt sehe, dass „der Mist wieder über uns hereinbricht" versuche er das auszublenden. Was ihm aber schwerfällt, sagt er mit leiser Stimme.
Zuerst blieben die anstehenden Lesungen zur neuen Veröffentlichung von den Corona-Inzidenzen noch unberührt. Doch seine angedachten Termine wurden nun doch, bis auf die Lesung in Perl-Nennig, ins kommende Frühjahr verschoben. „All bets are off", sagte der 49-Jährige dazu bereits im Vorfeld lakonisch, was so viel heißt wie: „Alles ist möglich." Für alle seine Lesungen gelten die aktuellen Corona-Bestimmungen, wie der gegen Covid-19 Geimpfte betont. „Es ist ein bisschen ungewohnt. Nicht nur weil da weniger Leute sitzen, sondern weil auch im 2G-Bereich keine Maskenpflicht mehr gilt."
Luxemburgisches Essen liebt er
Nach landläufiger Meinung denken viele, „dass der Schriftsteller sowieso zu Hause sitzt und mit niemandem redet". Dieser Logik zufolge müsse es ihm auch egal sein, ob draußen die Welt untergeht oder nicht. Obwohl Tom Hillenbrand bis jetzt ohne Infektionen durch die Pandemie gekommen ist, hat für ihn das Zuhausebleiben mit seiner Familie „nicht gut funktioniert". „Alle waren irgendwie zu Hause und wollten was von dir. Eigentlich hat sich für mich das Schreiben ein halbes Jahr erledigt gehabt", erzählt er. In „Goldenes Gift", dem siebten Band der kulinarischen Krimi-Reihe, klärt der ehemalige Luxemburger Sternekoch Xavier Kieffer zusammen mit seiner Freundin und Gastrokritikerin Valerie Gabin einen Lebensmittelbetrug um gepanschten Honig und gestohlene Bienenstöcke auf. Die luxemburgische Küche findet Tom Hillenbrand fantastisch – außer auf zwei Gerichte, nämlich Kachkeis und Kuttelfleck, ist er nur so „mittelheiß". „Wenn ich zum Beispiel französisch esse, würde ich immer eine Landküche der ausdefinierten Haute Cuisine vorziehen", sagt Hillenbrand. Jeden Tag könnte er ein traditionelles luxemburgisches Gericht essen, so gut schmecken ihm diese. Ob das allerdings so klug sei, wisse er nicht.
Nur wie kommt man darauf, einen etwas kauzigen Luxemburger in hochbrisanten Fällen ermitteln zu lassen? Die Figur des Xavier Kieffer ist Tom Hillenbrand letztlich zugeflogen. Als er den ersten Band „Teufelsfrucht" um einen Super-Geschmacksverstärker, dem die Lebensmittelindustrie um jeden Preis habhaft zu werden versucht, schrieb, war zuerst die Story da, erzählt der Autor. „Davon ausgehend ist mir klar geworden, dass in diesem Fall ein Koch als Ermittler gut wäre, denn, wenn es einen toten Gastrokritiker gibt, wüsste der schon Bescheid." Erst im nächsten Schritt erfolgte die Lokalisierung der Krimi-Reihe und damit auch die der Hauptfigur. Dabei war für Tom Hillenbrand nicht nur entscheidend, dass er neben seinem Studium der Europapolitik ein Praktikum beim Recherchedienst des Europäischen Parlaments in Luxemburg absolvierte. Auch der Umstand, dass es in Luxemburg-Stadt noch nicht viele Krimi-Ermittler gibt, war ein ausschlaggebender Punkt. „Selbst in den kleinsten Dörfern und winzigsten Tälern gibt es heutzutage mindestens einen Krimi", meint Hillenbrand, der zuletzt als Ressortleiter bei „Spiegel Online" arbeitete. Für den Ermittler Xavier Kieffer musste er aber keine monatelange Figurenanalyse betreiben. „Der ist einfach zur Tür reingekommen. Ich habe mich hingesetzt, ihn gesehen und ab dann war er da", schildert der Halb-Saarländer, dessen Mutter in Saarbrücken geboren wurde. Und Tom Hillenbrand stellt klar: Er selbst kann nicht als „Steinbruch" für all seine Figuren – er schätzt, dass es Hunderte sind – herhalten. Natürlich gibt es aber in allen Romanfiguren gewisse Anteile von realen Persönlichkeiten – sei es zum Beispiel von einem Fernsehkoch oder einem Typ, mit dem er sich auf einer Party unterhalten hat. „Meistens setzt das Unterbewusstsein das beim Schreiben selbst zusammen. Das ist wie bei Träumen, kein wirklich gesteuerter Prozess", erklärt Tom Hillenbrand.
Besucht alle Orte seiner Bücher
Wie seine Westentasche scheint Xavier Kieffer Luxemburg zu kennen, so sicher bewegt er sich im siebten Band durch die Unter- und Oberstadt. Beruhen die detaillierten Ortsbeschreibungen auf Recherchen oder schreibt er alles aus dem Gedächtnis auf? Egal, wo seine Kriminalromane spielen – ob in Luxemburg oder wie sein neuester Thriller „Monte Crypto" in Los Angeles – er muss immer an die Schauplätze reisen. „Alle wesentlichen Orte, die in einem Buch vorkommen, besichtige ich. Das heißt, ich checke überall die Locations und laufe sie ab und mache dabei Hunderte Fotos", erzählt der Autor, der neben Krimis auch Science-Fiction-Thriller und historische Romane vorgelegt hat. Übrigens: Das Restaurant „Deux Eglises" von Xavier Kieffer gibt es in Wirklichkeit nicht und auch nicht die Hausnummer, in der der Koch wohnt – so wie auch die berühmte Baker Street 221B nicht real existiert. Einmal besuchte Tom Hillenbrand spät abends den Park Dräi Eechelen nahe dem Mudam-Museum, denn im neuesten Kieffer-Krimi kommt es ausgerechnet an diesem Ort Luxemburgs zu einem Showdown. Auch wenn er mehrere Male schon dort war, musste Hillenbrand erneut dorthin, um herauszufinden, was man nachts sehen kann, etwa wenn man zur anderen Seite der Alzette-Schlucht rüberblickt. „Damals hat mich allerdings gleich ein Sicherheitsmann aus dem Park geschmissen", erinnert sich Hillenbrand an die Begegnung zurück. Der Mann habe ihm auf Französisch erklärt, dass der Park geschlossen und der Aufenthalt verboten sei. Außerdem wies er ihn darauf hin, dass es viele ungesicherte Erhöhungen gebe.
Doch Tom Hillenbrand schaltete in der Situation zu spät, und sein Französisch reichte nicht aus. „Ich hätte ihm sagen müssen, das ist genau der Grund, warum ich hier bin." Da er in seinem Kriminalroman eine Figur an einer Stelle im Park herunterstürzen lässt, musste er vorab prüfen, ob diese auch wirklich beim Sturz ums Leben kommt oder sich nur ein Bein bricht. Nur wer genau da im Buch sterben muss, erfährt man erst, wenn man das gut 470 Seiten starke Buch fast bis zu Ende gelesen hat.