Auch wenn der vor 125 Jahren verstorbene Alfred Nobel nie die Beweggründe für seine weltberühmte Stiftung mitgeteilt hat, so wird sein Name heute doch vor allem mit den jährlich verliehenen Nobelpreisen in Verbindung gebracht – und weitaus seltener an seine grundlegenden Sprengstoff-Erfindungen erinnert.
Ein makabrer Nachruf soll am 12. April 1888 den durch seine Sprengstoffe zu einem der reichsten Männer Europas aufgestiegenen Alfred Nobel so sehr geschockt haben, dass er fortan seine Einstellung zu seinen auch für Kriegszwecke nutzbaren Erfindungen grundlegend überdacht hatte. Stattdessen interessierte er sich plötzlich für die aufkommende Friedensbewegung und verfügte schließlich zum Wohle der Menschheit testamentarisch seine Nobelpreis-Stiftung. In besagtem Nachruf soll der damals noch quicklebendige Entdecker des Dynamits, der weitaus explosiveren Sprenggelatine oder des Ballistits als „Kaufmann des Todes" tituliert worden sein, weil durch seine Erfindungen „mehr Menschen schneller als jemals zuvor" das Leben verlieren konnten.
Eine schöne Geschichte, die in nahezu allen Publikationen über den schwedischen Großindustriellen unreflektiert nacherzählt wird, weil sich mit ihr am besten die vermeintliche Wandlung Nobels vom besessenen Sprengstoff-experten zum von der Nachwelt viel bewunderten Philanthropen erklären lässt. Dass an besagtem Datum Alfreds Bruder Ludvig, ein früher Ölmagnat, verstorben war, wurde einfach als peinlich-irrtümliche Verwechslung des Schreiberlings abgetan. Dabei hätte allein schon der seltsame Name des Journals, in dem der Nachruf angeblich publiziert worden sein soll, alle Alarmglocken zum Schrillen bringen müssen: „L’Idiotie Quotidienne". Ein Presseorgan mit diesem Titel konnte im gesamten französischen Sprachraum nirgendwo identifiziert werden. Viel spricht daher dafür, dass es sich um ein Märchen handelt, das die Legende Alfred Nobels beschönigt. Von wem auch immer in die Welt gesetzt.
Alfred Nobel sprach fünf Sprachen fließend
Wie der Vater, so der Sohn, so könnte man in Kurzform die berufliche Karriere des am 21. Oktober 1833 in Stockholm geborenen Alfred Bernhard Nobel zusammenfassen. Das Familienoberhaupt Immanuel Nobel hatte sich als ausgebildeter Ingenieur zunächst in Schweden, dann ab 1837 in St. Petersburg ein Vermögen vor allem durch die Produktion diverser kriegstauglicher Produkte aufzubauen versucht. Darunter Apparaturen wie Land- und Seeminen oder Schnellfeuergewehre. Nach der Gründung eines eigenen Maschinenwerks ließ er 1842 seine Familie ins zaristische Russland nachkommen und ermöglichte seinen vier Söhnen eine erstklassige Ausbildung durch Privatlehrer, wobei besonders viel Wert auf Naturwissenschaften und Sprachen gelegt wurde.
Alfred Nobel erlernte denn auch schnell neben Schwedisch gleich vier Sprachen fließend zu sprechen: Russisch, Deutsch, Englisch und Französisch. Aber leider entwickelte der Filius aus Sicht des Vaters auch ein viel zu großes Interesse an Literatur – ein Faible, dem er zeitlebens verbunden blieb und das sich in letztlich nie verwirklichten Träumen von einer Schriftsteller-Laufbahn niederschlug. Mehr als ein kurz vor seinem Tode publiziertes Theaterstück mit dem Titel „Nemesis" sollte dabei nicht herauskommen. Nobel selbst hatte sich stets als „Einzelgänger, Einsiedler und melancholischer Misanthrop" angesehen.
Um Alfred die literarischen Faxen auszutreiben und ihn für die etwaige Übernahme des eigenen Unternehmens zu drillen, schickte Immanuel Nobel seinen 17-jährigen Sohn auf eine zweijährige Fortbildungs-Tournee zu renommierten Chemie-Laboren in Schweden, Deutschland, Frankreich und in den USA. Besonders sein Aufenthalt in Paris bei dem Chemiker Théophile-Jules Pelouze war sehr folgenreich, weil er in dessen Labor den italienischen Chemiker Ascanio Sobrero kennenlernte. Dieser hatte 1847 mit dem Nitroglycerin den ersten flüssigen Sprengstoff der Geschichte präsentiert, diesen allerdings für die praktische Verwendung nach leidvollen Selbsterfahrungen als zu gefährlich eingestuft. Alfred Nobel schien auf der Stelle das riesige Potenzial des Nitroglycerins erkannt zu haben. Auch wenn er sich nach seiner Rückkehr nach St. Petersburg 1852 zunächst nicht damit befassen konnte, weil er bis 1859 in das normale Alltagsgeschäft des Familienunternehmens eingespannt wurde.
Nach der Rückkehr der Nobels nach Schweden baute Alfred dann aber sogleich einen neuen Betrieb auf, der sich gänzlich dem Experimentieren mit Nitroglycerin verschrieben hatte und dieses ab 1861 in großtechnischem Maßstab produzieren konnte. Die Problematik, dass dieses sogenannte Sprengöl schon bei leichtesten Erschütterungen oder Stößen verheerende Explosionen auszulösen pflegte, konnte fünf Jahre lang nicht gelöst werden. Dafür hatte er aber schon 1863 das Dilemma um die kontrollierte Explosionseinleitung durch die Entwicklung einer Sprengkapsel aus der Welt geschafft und dem Prinzip der Initialzündung zum Durchbruch verholfen. 1864 starb Alfreds jüngerer Bruder Emil bei einem der diversen Nitroglycerin-Unfälle, nach einer neuerlichen Explosion 1866 musste Nobel das Arbeiten mit dem Gefahrgut auf schwedischem Boden einstellen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Nobel aber in der Nähe von Hamburg, im Geesthachter Ortsteil Krümmel, bereits seine erste Gesellschaft außerhalb seines Heimatlandes gegründet. Und hier sollte er durch Tüfteln oder per Zufall den vom ihm „Dynamit" oder anfangs auch noch „Nobels Sicherheitspulver" getauften Sprengstoff entdecken. Er hatte das Nitroglycerin im Verhältnis 3:1 mit Kieselgur vermischt, einem aus den Schalen abgestorbener Kieselalgen gewonnenen Pulvermaterial, das damals südlich der Hansestadt abgebaut wurde.
Gründete 90 Firmen in 20 Ländern
Dank des Dynamits und dessen 1875 präsentierter, leistungsstärkerer Fortentwicklung namens Sprenggelatine, bei der Kieselgur durch Kollodiumwolle ersetzt wurde, konnten erstmals Großprojekte wie der Gotthard-Tunnel in Angriff genommen werden. Auch der Ausbau des weltweiten Eisenbahn- und Straßennetzes profitierte von den neuen Sprengstoffen, deren rasanter Verkauf Alfred Nobel zu einem steinreichen Mann machte. Insgesamt sollte er es zeitlebens auf stolze 355 Patente bringen, darunter auch das für militärische Zwecke perfekt geeignete erste rauchschwache Granatenschießpulver namens Ballistit aus dem Jahr 1887. Zudem gründete er rund 90 Firmen in 20 Ländern.
Der geschäftliche Erfolg bescherte Alfred Nobel allerdings ein unstetes und einsames Privatleben. Die ständigen Reisen zu seinen verschiedenen Unternehmen waren einer festen Partnerschaft wenig förderlich. Am liebsten hielt er sich in Paris auf, das er zu seinem bevorzugten Wohnsitz zwischen 1873 und 1891 auserkoren hatte. Dort hatte er 1875 eine anonyme Kontaktanzeige aufgegeben, mit der er vordergründig eine Privatsekretärin und Haushälterin gesucht, aber insgeheim möglicherweise auch amouröse Absichten verbunden hatte. Es kam zum Treffen mit der Gräfin Bertha von Kinsky, von der Nobel sehr eingenommen war. Diese Beziehung führte allerdings nicht zu einer intimeren Bekanntschaft, auch wenn der Unternehmer, der später unter dem Namen Baroness Bertha von Suttner bekannt gewordenen Friedensaktivistin zeitlebens sehr verbunden bleiben sollte. Von ihr wurde er auch in pazifistische Kreise eingeführt.
Etwas mehr Glück sollte Alfred Nobel im Werben um die Gunst von Sofie Hess beschieden sein. Der damals 43-Jährige lernte die 26-Jährige in einem Blumengeschäft in Baden bei Wien kennen. Die beiden gingen eine 15 Jahre dauernde Beziehung ein, wobei Sofie Hess ihren Verehrer nach Strich und Faden ausgenutzt hatte und sich auf seine Kosten ein Luxusleben leistete. Erst als sie 1891 von einem anderen Mann geschwängert wurde, war für Nobel das Maß endgültig voll.
Erste Verleihung 1901 an seinem Todestag
Seine letzten Jahre verbrachte Nobel in einem Anwesen auf San Remo, wo er am 10. Dezember 1896 infolge einer Hirnblutung im Alter von 63 Jahren verstarb. Ein gutes Jahr zuvor, am 27. November 1895, hatte er in seinem handschriftlich abgefassten Testament bestimmt, dass ein Großteil seines auf 31,2 Millionen Kronen angewachsenen Vermögens einem Stiftungsfonds übereignet werden sollte, dessen „Zinsen jährlich als Preis an diejenigen ausgeteilt werden sollen, die im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht haben." Die Gelder sollten zu fünf gleichen Teilen an Preisträger der Disziplinen Chemie, Physik und Medizin/Physiologie gehen sowie an herausragende Literaten sowie Menschen oder Institutionen, die „am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt" hatten.
1901 wurden die ersten Nobelpreise am Todestag Nobels verliehen, dem Testament gemäß vier Auszeichnungen im schwedischen Stockholm, der Friedensnobelpreis im norwegischen Oslo. Heute bekommen die Preisträger neben einer Goldmedaille und einer Urkunde eine Geldprämie in Höhe von umgerechnet rund einer Million Euro.