Einige Menschen wurden erst mit einem Vektor-Impfstoff und dann mit einem mRNA-Impfstoff gegen Covid-19 geimpft. FORUM sprach mit der Immunologin Prof. Dr. Martina Sester. Sie leitete die weltweit erste Studie, die die unterschiedlichen Impfkombinationen vergleicht.
Frau Sester, weshalb führte ausgerechnet eine saarländische Arbeitsgruppe die erste Studie weltweit durch, die alle fünf in Deutschland zugelassenen Impfschemata miteinander vergleicht?
Mein Labor beschäftigt sich mit der Immunantwort gegen Erreger mit Schwerpunkt auf immunsupprimierte Patienten, die durch die Immunschwäche häufiger Infektionen aller Art haben. Als die Pandemie losging, lenkten viele Labore ihre Forschungskompetenzen in Richtung der Corona-Forschung. Insofern sind auch wir relativ früh in die Forschung der Immunabwehr gegen das Sars-CoV-2 Virus eingestiegen. Im letzten Jahr haben wir uns die Immunantworten bei Sars-CoV-2-infizierten Menschen mit unterschiedlichem Schweregrad angesehen. Diese Erkenntnisse haben wir in diesem Jahr dann um die Frage erweitert, wer wie gut auf Covid-19-Impfungen anspricht. Zum einen haben wir das Ansprechen organtransplantierter Menschen, die ein geschwächtes Immunsystem haben, erforscht. Parallel haben wir die Immunität von Immungesunden auf die damals empfohlenen neuen Impfstoffe charakterisiert. Im April hat die Ständige Impfkommission (Stiko) dann die Empfehlung herausgegeben, dass Astrazeneca-Erstgeimpfte ihre zweite Impfung mit einem mRNA-Impfstoff erhalten sollten, obwohl es hierzu noch gar keine Daten gab. Da waren wir mit unseren Projekten schon voll im Gange und konnten diejenigen direkt erfassen, die das veränderte Impfschema bekamen.
Wie lassen sich die Unterschiede der homologen und heterologen Impfschemata erklären?
Nach Impfung werden sowohl Antikörper als auch T-Zellen als wichtige Komponenten unserer Immunabwehr gebildet. Wenn man die Immunantwort nach der ersten Impfung mit der Astrazeneca-Vektorvakzine und mit einem mRNA-Impfstoff vergleicht, sieht man, dass Vektor-Geimpfte mehr T-Zellen ausbilden als mRNA-Geimpfte, während die mRNA-Geimpften mehr Antikörper haben als die Astra-Geimpften. Dies zeigt, dass der Erstkontakt mit einem Vektor- oder mRNA Impfstoff eine unterschiedliche Grundlage legt. Nach der Vektor-Erstimpfung bewirkt die heterologe Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff einen deutlichen Booster-Effekt auf die T-Zellen und zusätzlich auch auf die Antikörper. So werden offensichtlich bei dem heterologen Impfschema die guten Eigenschaften beider Impfstoffe vereint.
Was können Sie aus diesen Erkenntnissen für die Transplantationsforschung mitnehmen?
Einige Transplantierte haben auf ein homologes Impfschema gar nicht angesprochen, während die heterologe Impfung meist eine bessere Immunität erzielte. Zudem haben einige Patientinnen und Patienten eher mit T-Zellen als mit Antikörpern reagiert, sodass es gerade bei dieser Patientengruppe wichtig erscheint, beide Arme der Immunabwehr anzuschauen, um die Ansprechrate besser zu erfassen. Würde man nur auf die Antikörper testen, wären viele Patienten als negativ durchgegangen, während die Ansprechrate durch Testen der T-Zellen höher war. Trotzdem beobachteten wir einen beträchtlichen Anteil von etwa 30 Prozent, die weder Antikörper noch T-Zellen bildeten. Auf Basis dieser Erkenntnisse hat die Stiko sehr früh eine dritte oder vierte Impfung für immungeschwächte Patientengruppen empfohlen. Hier wurden fast nur noch mRNA-Impfstoffe eingesetzt. Wir analysieren aktuell die Immunität auf Dritt- und Viertimpfungen. Bei einigen Transplantierten, insbesondere auch bei denen, die zuvor einen Vektor-Impfstoff bekommen hatten, scheint die Folgeimpfung mit mRNA-Impfstoff tatsächlich noch einen Durchbruch im Sinne einer Immunantwort zu bringen.
Können Sie schon etwas zur Impfwirkung gegen die Omikron-Variante sagen?
Nicht wirklich, da es noch nicht viele Daten gibt. Man weiß, dass die Omikron-Variante erstaunlich viele Mutationen im Spike-Protein trägt. Es gibt erste Hinweise, dass die Antikörper, die man auf die Impfung gebildet hat, möglicherweise nicht mehr so stark an das Spike-Protein binden, was die Infektion und Virusvermehrung begünstigen könnte. Interessanterweise sind T-Zellen etwas weniger anfällig für derartige Mutationen, sodass T-Zellen möglicherweise zur Verhinderung schwererer Verläufe beitragen könnten. Man kennt das von anderen Erregern, dass Antikörper in ihrer Zielstruktur anfälliger sind als die T-Zellen. Das lässt hoffen, dass man durch die Kombination dieser beiden Arme der Immunantwort dann doch einen gewissen Schutz behält. Bekannt ist auch, dass die Immunantwort nach Zweitimpfung auch allmählich nachlässt. Wichtiger denn je erscheint daher die dritte Booster-Impfung, durch die man auf alle Fälle die Menge der Antikörper und T-Zellen erhöht. Dieses „Mehr" mag auch den Schutz gegenüber der Omikron-Mutante verbessern.
Müssen die Impfungen möglicherweise an die Omikron-Variante angepasst werden?
Wie gut Antikörper, die man auf aktuelle Impfungen gebildet hat, an Virusvarianten binden, kann man sehr gut im Labor testen. Man testet, wie gut die Antikörper im Reagenzglas die Virusvermehrung hemmen. Diese Hemmwirkung kann unterschiedlich stark ausfallen. Die bisherigen Varianten konnten immer noch relativ gut kontrolliert werden. Wenn man bei Omikron allerdings deutliche Anzeichen hat, dass die Antikörper nicht mehr so gut binden, wäre es ein Zeichen, eine Anpassung der Impfstoffe an die Variante vorzunehmen. Der Reiz des mRNA-Systems ist, dass man die Sequenz der mRNA und damit auch die Produktion auf den Variantenimpfstoff relativ rasch umstellen kann.
Welche Empfehlung würden Sie für eine Impfstrategie geben?
Absolut wichtig ist die Booster-Impfung! Unsere Forschungsergebnisse nach der Zweitimpfung lassen darauf schließen, dass beide mRNA Impfstoffe sehr gut für die Booster-Impfung geeignet sind, unabhängig davon, welche Kombination man zuvor erhalten hat. Beide mRNA-Impfstoffe folgen demselben Wirkprinzip. Sie stellen den Bauplan für das Spike-Protein dar, das die Körperzellen selbst produzieren, und in der Folge die Antikörper und T-Zellen boostern. Beim direkten Vergleich der Wirkung beider Impfstoffe im Rahmen der Zweitimpfung zeigte sich, dass die Kombinationen mit Moderna eine etwas stärkere Immunität hervorrufen als die jeweiligen Biontech-Kombinationen. Demgegenüber zeigten zweimal Astrazeneca oder auch einmalig mit dem Vektor-Impfstoff Johnson & Johnson-Geimpfte eine um den Faktor zehn schwächere Immunität. Wir zeigten nach Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff, dass man erst mit der zweiten Impfung das Niveau der Antikörper und T-Zellen wirklich hebt. Daher ist eine weitere Impfung auch für Johnson & Johnson-Geimpfte so wichtig.
Wie stehen Sie zu dem Vorwurf die Stiko hätte sich bei vielen Entscheidungen zu viel Zeit gelassen?
Man muss sagen, dass die Stiko als ehrenamtliche Kommission eine wunderbare wissenschaftlich fundierte Arbeit leistet. Die Stiko trifft sich drei- oder viermal im Jahr und erarbeitet Impfempfehlungen auf Basis großer evidenzbasierter, randomisierter Studien. Dieselben Maßstäbe werden auch an die Covid-19- Impfung angelegt. Das mutet in Zeiten einer Pandemie bisweilen etwas langsam an. Bei der Booster-Impfung gab es jetzt den Vorwurf, die Stiko hätte nicht rechtzeitig auf Daten aus Israel oder auch Katar gehört. Aber da gab es lange Zeit einfach noch keine publizierten Studien. Natürlich hätte man ausgehend von der Situation in Israel annehmen können, dass sich das Geschehen in Deutschland ähnlich entwickeln könnte. Auf der anderen Seite hatte man auf Basis der geringen Corona-Fallzahlen auch noch einen etwas optimistischeren Blick in die Zukunft, besonders auch weil die Impfrate höher war als in Israel. Dieses Problem ist sicherlich vielschichtig und vielleicht sollte ein Gremium wie die Stiko in Zeiten der Pandemie auch personell verstärkt werden.
Können Sie in der aktuellen Diskussion um 2G, 2G+ und dem Umgang mit Geboosterten Hinweise geben?
Die dritte Impfung bildet sozusagen den Abschluss einer Grundimmunisierung. Es geht einfach darum, dass man die erste, zweite und dritte Impfung braucht, um einen längerfristigen Schutz zu haben. Das kennt man übrigens auch von vielen anderen Impfungen, beispielsweise gegen Hepatitis-B. Erste Daten zeigen, dass man mit der dritten Impfung sogar etwas schneller als mit der zweiten Impfung einen Boostereffekt auf die Immunantwort erhält. Wir haben jetzt schon gesehen, dass die Immunantwort nach der Zweitimpfung vor dem Boost innerhalb eines halben Jahres etwa auf ein Zehntel abfällt und nach dem Boost wieder steigt. Man kann also davon ausgehen, und das zeigen auch die Daten in Israel, dass man durch den Boost wieder einen effektiven Schutz erhält. Insofern wäre es immunologisch nicht zu rechtfertigen, nach dem Boost noch eine Testpflicht aufzuerlegen. Sollten sich im Hinblick auf Omikron neue Erkenntnisse ergeben, müssen die Regelungen natürlich wieder angepasst werden.
Auf politischer Ebene heißt es zeitweise, man höre nicht ausreichend auf Experten. Wie sehen Sie das?
Die Experten unterschiedlicher Fachrichtungen haben ihre ganz eigenen Blickwinkel. Ein Virologe hat besonders die Dynamik der Virusvermehrung im Blick, eine Immunologin die Schutzwirkung der Impfung und klinische Kollegen die Auswirkung auf die Krankenhausbelegung. Die Aufrechterhaltung des Schulbetriebes in Präsenz ist beispielsweise aus virologischer Sicht wenig sinnvoll, hat jedoch zum Wohle der Kinder und Jugendlichen oberste Priorität. Die Komplexität der politischen Entscheidungen erhöht sich bei Mutanten wie Omikron, über die man noch nicht allzu viel fundierte wissenschaftliche Expertise einfließen lassen kann. Insofern habe ich gleichermaßen Respekt und Verständnis bei vielen politischen Entscheidungen, die oftmals Kompromisse darstellen und viele Facetten berücksichtigen müssen. Letztlich ist es essenziell, die Bevölkerung bei den Entscheidungen mitzunehmen und entsprechend aufzuklären. Auch hier wiederum sind Expertinnen und Experten als Aufklärende gefragt. Insofern danke ich sehr für Ihr Interesse an unserem Forschungsgebiet und für das Gespräch.