Angehenden Lehrkräften kann auf Empfehlung des Amtsarztes die Verbeamtung verweigert werden, wenn ein dauerhafter oder sich wiederholender Ausfall abzusehen ist. Denn kranke Beamte kosten den Staat viel Geld. Was tun, wenn mit steigender Belastung immer mehr Lehrkräfte ausbrennen?
Montagmorgen, der Blick auf das schwarze Brett verrät, dass Französisch mal wieder ausfällt. Die Schüler wissen um ihre freien Doppelstunden, denn das Lehrpersonal zeigt auch im Unterricht verwundbare Stellen. Interessanterweise sprechen Kultusministerien oder auch das Robert-Koch-Institut im Zusammenhang mit Covid-19 von „vulnerablen" (verwundbaren) Lehrkräften. Zu jenen zählen solche, die gefährdet sind durch Alter, Vorerkrankungen, Übergewicht, Diabetes et cetera. Diese sind schon eine Bedrohung, bevor es mit der Verbeamtung überhaupt klappt. Denn der Gesetzgeber sieht vor, dass die Diagnose des Amtsarztes darüber entscheidet, ob man in den Genuss des Beamtenstatus kommt.
Mehrbelastung für Lehrpersonal
Für den Staat gilt das Prinzip der „Bestenauslese", das heißt „Befähigung und fachliche Leistung". Im Rahmen des Bundesbeamtengesetzes zählt auch die gesundheitliche Eignung dazu, denn länger ausfallende Lehrkräfte kosten den Staat viel Geld. Krankheitstage in der Vergangenheit oder eine frühere Arbeitsunfähigkeit, aber auch Übergewicht oder Bluthochdruck spielen bei der Bewertung durch den Amtsarzt eine Rolle. Genauso verhält es sich mit einer psychischen Diagnose im Zusammenhang mit Vorerkrankungen. Menschen, die während ihres Studiums oder bereits als Teenager an einer Episode seelischer Belastung erkranken und therapeutische Hilfe beanspruchen sind dennoch nicht automatisch aus dem Rennen um den Beamtenstatus.
Die rechtliche Situation
Die Juristin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW Saar), Gabi Melles-Müller, die Beratung und Unterstützung bei der Bewältigung von Konflikten im Vorfeld von Rechtsstreitigkeiten leistet, gibt Einblick in ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom Juli 2013 an die Hand. Dort steht schwarz auf weiß, dass „Beamtenbewerber gesundheitlich nicht geeignet sind, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vom Eintritt der Dienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze auszugehen ist". Damit wurde die vorangehende Rechtsprechung im Wortlaut modifiziert. Die alte lautete auf „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" und nicht von „überwiegender Wahrscheinlichkeit und tatsächlichen Anhaltspunkten", die eine Verneinung des Beamtenstatus erlauben. „Die medizinische Diagnose muss daher Anknüpfungs- und Befundtatsachen darstellen, die Untersuchungsmethoden erläutern und ihre Hypothesen sowie deren Grundlagen offenlegen." Kurz gesagt, man schaut viel mehr auf den Einzelfall, zum Beispiel die Blutwerte einer Person, als auf einen Body-Mass-Index.
Leerpersonal, wenn das Lehren ausbrennt
Der Gedanke, dass man mit der Untersuchung durch den Amtsarzt Ausfälle und Mehrkosten verhindern möchte, ist nachvollziehbar, denn der Entzug des Beamtenstatus in Form einer außerordentlichen Kündigung kann nur in ganz wenigen Fällen durchgesetzt werden. Nicht wegen durch chronische Erkrankungen bedingten Dauerfehlens. Das Paradoxon, dass die Pandemie das Maß an Belastung nochmals verschärft hat, immer mehr Lehrkräfte ausfallen beziehungsweise schon vor der Pandemie gefehlt haben, gleichzeitig aber den Kultusministerien wenig einfällt, den ohnehin schon mit allerlei Belastungen verbundenen Job attraktiver zu machen, spiegelt sich in den Veranstaltungen des Landesinstituts für Pädagogik und Medien (LPM) wider. „Kraft und Entspannung für den Schulalltag" oder „Achtsam und gesund im Lehrerberuf" sind Hinweise auf die hohen Anforderungen, die der Job mit sich bringt. Andreas Sánchez Haselberger, der das Thema „Lehrerinnengesundheit" politisch im Vorstand der GEW Saar verantwortet, bestätigt, dass diese Veranstaltungen die bestbesuchten sind. Doch verweist er ausdrücklich auf den Rückgang von Beschwerden, die sich durch eine ausbleibende Empfehlung ergeben haben. „Im Personalrat für die Gemeinschaftsschulen tätig, hatten wir in den letzten drei bis vier Jahren keine Fälle, bei denen es Probleme gab oder ein Amtsarzt die Empfehlung auf eine Planstelle verweigert hätte. Früher war dies häufiger, da die Entsendung zum Amtsarzt schon im Referendariat stattfand. Eine unnütze Regelung, wie ich meine, die abgeschafft wurde und nur beim Angebot einer Planstelle überhaupt Sinn macht. Rechtlich wurden da schon einige rote Linien abgeschafft. Übrigens ist der Angestellte teurer als der Beamte, so lange dieser arbeitet. Das letzte Seiteneinsteigerprogramm ist schon sechs oder sieben Jahre her. Es gab mal einen Engpass in Fächern, wo wir Quereinsteiger hatten. Aber das ist nicht mehr der Fall bei den Gesamtschulen, jedenfalls sind es mehr Bewerbende als offene Planstellen. Insofern gilt für das Saarland kein Vorbehalt von Unterbesetzung." Doch eine Mehrbelastung wird von den Betroffenen trotzdem moniert.
Pandemie hat die Lage verschärft
Andrea Thielen-Schäfer, Frauenbeauftragte und Mitglied im Vorstand des Saarländischen Philologenverbandes, ist schon 35 Jahre im Lehrberuf und kann über diese Zeitspanne einige der Veränderungen und Mehrbelastungen auf den Punkt bringen: „Insgesamt sind die Eltern fordernder und dreister geworden. Allerdings kommt es auf die jeweilige Schule an, welche ‚Anwaltskultur‘ dort herrscht." Auch die Unterrichtszeit, die man seit der Pandemie und dem damit verbundenen Fernunterricht am PC verbringt, ist für beide Seiten eine enorme Belastung, die ihre Grenze schon mit acht Stunden erreicht hat. Da wollen selbst hartgesottene Schulverweigerer lieber zurück ins Klassenzimmer. „Die Doppelbelastung aus dem letzten Lockdown ist exemplarisch: Wir hatten Schüler vor Ort und gleichzeitig Vulnerable, die nicht im Unterricht waren. Diese mussten auch mit Schulmaterial versorgt werden. Wir können aber nicht streamen und die Fehlenden mit ins Klassenzimmer nehmen. Bei unserer mangelhaften Ausstattung würde das Netz zusammenbrechen. Also mussten wir diese Gruppe nachmittags zusätzlich unterrichten. Wie soll ein Anfänger Französisch lernen, ohne es zu hören? Der Dienstherr erwartet von Ihnen, dass sie den Mehraufwand betreiben. Dazu kommt noch die Vertretung von ebenfalls vulnerablen Kollegen."
Druck durch Schulreform
Aber auch schon lange vor der Pandemie haben gesellschaftliche Veränderungen, wie übermäßiger Medienkonsum von Schülern und damit einhergehend verminderte Konzentrationsfähigkeit, erhöhter Leistungsdruck durch Qualitätsmanagement und -kontrolle, das Abkürzen der Referendariatszeit und ein Anstieg in Sachen Bürokratie, das (Berufs-)Leben des Lehrpersonals enorm erschwert. Außerdem kritisiert Andrea Thielen Sträßer den Wegfall der Gymnasialempfehlung. „Wir haben eine wahnsinnig heterogene Gruppe an den Gymnasien in den ersten drei Schuljahren. Da sind Kinder mit Förderbedarf in der fünften Klasse, die am Gymnasium schlechte bis keine Erfolgschancen haben und an einer Förderschule besser aufgehoben wären. Das macht uns das Leben sehr schwer. Als ich anfing, gab es den Trend hin zur Gesamtschule nicht, das war politisch so gewollt. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen würden auch lieber wieder zu den neun Jahren Gymnasiumszeit zurück. Wir hoffen auf die Wiedereinführung einer Gymnasialempfehlung, damit auch ein mittlerer Abschluss wieder etwas Positives darstellt."
Von Lehreinrichtung zur Kaderschmiede
Die Eltern arbeiten meistens beide. Die Kleinen sind viel alleine, müssen in die Betreuung. Es gibt immer weniger Zeit miteinander. Wenn Vater oder Mutter überlastet sind oder sich selbst nur noch über Whatsapp ihrer Umwelt mitteilen, wird Kindern ein iPad zum Spielen in die Hand gedrückt, anstatt mit ihnen zu spielen. Das sind gesellschaftliche Entwicklungen, die aus einem effizienten Lebensstil heraus entstehen. Damit werden Ausbildungsstätten auf ein Karrieresprungbrett reduziert. Das Ziel einer guten Allgemeinbildung verengt sich auf die Ausbildung zu späteren Managern, IT-Fachleuten und anderen Spezialisten, die sich in der Industrie 4.0 behaupten können. Von dem vielzitierten goldenen Handwerk keine Spur. Die Angst der Eltern, man könne durch zu langes Kind-Sein den Anschluss im Beruf verpassen, überträgt sich schließlich auch auf die Jugend.
Lehrerinnen haben einen „All-in-Beruf", in dem 44 Stunden einen Durchschnittswert von geleisteter Arbeit abbilden, je nach Schulform, so eine Studie der LehrerInnen-Gewerkschaft. Qualitativ kann man nicht sagen, welche Belastungen in den nächsten 20 Jahren auf die Berufsausübenden zukommen. „Nach dem BolognaProzess ist die Vorbereitung auf den praktischen Unterricht besser geworden, man ist nun verpflichtet fünf Praktika während des Studiums nachzuweisen. Dann im Referendariat ist man mit 18 Monaten hart geprüft, die Leistung zu bringen, die man schon mit 24 Monaten als hart empfand", so Andreas Sánchez Haselberger. Wer sich in dieser Zeit bewährt, hat schon eine sehr gute Voraussetzung den „Beruf aus Leidenschaft" ausüben zu können. Übrigens spricht die Statistik bezüglich vorzeitiger Pensionierung oder Dienstunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen für einen rückläufigen Trend. Das heißt die Anpassung des Lehrpersonals durch entsprechende Ausbildung und aufklärende Veranstaltungen zu den gestiegenen Anforderungen, auch im außerschulischen Bereich, scheinen sich doch zu verfangen.