In seiner fast 50-jährigen Karriere stieg der vor 75 Jahren geborene David Bowie zu einem der einflussreichsten Popmusiker der Geschichte auf. Er wurde nicht nur dank seiner musikalischen Wandlungsfähigkeit, sondern auch wegen des damit verbundenen Hineinschlüpfens in wechselnde Kunstfiguren zur Ikone.
An David Bowie kann man sich so richtig die Zähne ausbeißen. Der Brite hat sich im Laufe seiner fast 50-jährigen Musikerkarriere stilistisch immer wieder neu erfunden – meist abseits des kommerziellen Mainstreams oder zumindest diesem weit voraus. Die übliche Stilisierung zum „King of Pop" wurde daher bei ihm erst gar nicht versucht, sondern dem laut „New Musical Express" „einflussreichsten Popmusiker aller Zeiten" wurde der nicht unbedingt gänzlich schmeichelhafte Titel „Chamäleon des Pop" verliehen. Diese Bezeichnung hatte Bowie gar nicht gefallen, denn bekanntlich pflegt sich dieses Tier geschickt seiner Umgebung anzupassen. „Ich mache das genaue Gegenteil", betonte er.
Bowie schwang sich vielmehr zur von einer riesigen Fangemeinde bewunderten und viele Kollegen inspirierenden Speerspitze der Avantgarde auf. Über gegen ihn gelegentlich erhobene Plagiatsvorwürfe konnte er allenfalls milde lächeln, weil jeder Musiker nun einmal die in seiner Zeit gerade angesagten Stile zur Kenntnis nehmen sollte. Anschließend habe er für sich die Entscheidung zu treffen, ob er einfach nur mit einer Welle mitschwimmen möchte oder ob er gewisse Anleihen in etwas gänzlich Neues verwandeln kann. Von daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich im Œuvre von David Bowie, der infolge einer Jugendschlägerei unterschiedliche Augenfarben ausgebildet hatte, Reminiszenzen an die meisten Musikrichtungen seiner Epoche wiederfinden – egal ob Beat, Folk, Rock, Punk, Soul, New Wave oder Elektropop.
26 Studioalben hat Bowie geschaffen
Was die anhaltende Spurensuche zum Ego David Bowies zusätzlich erschwert, ist seine Fähigkeit, glaubhaft in immer neue Kunstfiguren schlüpfen zu können. Sein 1972 geschaffener Avatar Ziggy Stardust in Gestalt eines androgynen, die Geschlechterrollen mit flamboyantem Kostüm, Glitter, Plateauschuhen, Federboa oder einer das Gesicht überziehenden Blitz-Bemalung infrage stellenden Außerirdischen hatte ihm zum Durchbruch verholfen. Doch auch diesem Alter Ego war das gleiche Schicksal beschert wie zuvor schon seinem Astronauten „Major Tom" oder danach seinem „Thin White Duke", einem unterkühlt-geschniegelten Jüngling in weißem Hemd, schwarzer Hose und Jacke sowie streng zurückgekämmten Haaren. Sie wurden allesamt konsequent aussortiert, sobald sie ihren Zweck erfüllt hatten – stets verbunden mit einem musikalischen Aufbruch zu neuen Ufern.
Das Thema des Außerirdischen, abgeleitet aus Bowies Interesse für Science- Fiction und kosmische Weiten, zog sich allerdings wie ein roter Faden durch seine Karriere. Beginnend mit besagtem „Major Tom" der Weltraumballade „Space Oddity" 1969 bis hin zum Song „Blackstar" aus dem Jahr 2016. Dieser war auf dem gleichnamigen und zugleich letzten von insgesamt 26 Studioalben nur wenige Tage vor Bowies Tod in New York am 10. Januar 2016 veröffentlicht worden – mit einem toten Astronauten auf einem fernen Planeten als Sujet. Auch in seiner wohl besten Performance als Schauspieler, dem 1975 gedrehten Kinofilm „Der Mann, der vom Himmel fiel", mimte Bowie einen traurigen, auf der Erde gefangenen Außerirdischen. Die Übernahme der Hauptrolle ohne nennenswerte Leinwanderfahrung habe ihm keinerlei Probleme bereitet, sagte Bowie damals augenzwinkernd. Schließlich habe er ja nur sich selbst spielen müssen.
Obwohl er sich hauptsächlich als Musiker verstand, waren gelegentliche Ausflüge zu Film- und Fernsehproduktionen seit Mitte der 70er-Jahre für ihn nichts Ungewöhnliches. Er war beispielsweise an der Seite von Marlene Dietrich 1979 in „Schöner Gigolo, armer Gigolo" oder 1983 neben Catherine Deneuve in „Begierde" zu sehen. Im Streifen „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" hatte er zwar nur einen Kurzauftritt, dafür stammte aber die gesamte Filmmusik aus seiner Feder, darunter das 1977 verfasste Stück „Heroes", das vom Treffen eines Liebespaars an der Berliner Mauer erzählte.
Sein erstes Album floppte 1967
Überhaupt waren die Inhalte seiner Lieder die besondere Stärke Bowies. Er war ein bemerkenswerter Songwriter, seine Texte enthielten oft spannende fiktive Geschichten – weit jenseits von Liebe oder Weltschmerz. Gleichzeitig wurde er im Beherrschen einer Vielzahl von Instrumenten, von Gitarre über Klavier bis hin zum Saxofon nur als solide eingestuft. Das konnte ihn aber nicht am Komponieren teils recht eigenwilliger Melodien oder Harmoniefolgen hindern und brachte ihm daher auch großes Ansehen in der professionellen Jazz-Community ein. Wenig überraschend daher, dass berühmte Kollegen wie John Lennon beim Song „Fame" 1975, Queen beim Mega-Runner „Under Pressure" 1981 oder Mick Jagger beim Coverseller „Dancing in the Street" 1985, Bowies letztem britischen Nummer-eins-Hit, gerne mit ihm zusammengearbeitet hatten. Nebenbei konnte er sich auch noch als Producer, beispielsweise von Lou Reeds Album „Transformer", einen Namen machen. Mit rund 140 Millionen verkauften Tonträgern, wobei das 1983 veröffentlichte Album „Let’s Dance" die meisten Abnehmer fand, zählte Bowie zu den kommerziell erfolgreichsten Musikern seiner Zeit. Am Lebensende wurde sein Vermögen auf 230 Millionen Dollar geschätzt. Den Großteil erhielten seine zweite Ehefrau, das ehemalige Model Iman Abdulmajid, und seine Kinder, darunter der Sohn Duncan Jones aus seiner ersten Partnerschaft mit Angela Barnett.
David Robert Jones wurde am 8. Januar 1947 im Londoner Stadtteil Brixton geboren und wuchs ab 1953 im Mittelklasse-Vorort Bromley auf. Das Interesse für Musik wurde schon früh von Vater und Halbbruder gefördert. Im Alter von 15 Jahren gründete David seine erste Band namens „The Konrads", um sich wenig später der Gruppe „King Bees" anzuschließen und mit ihr seine wenig erfolgreiche Debüt-Single „Liza Jane" zu veröffentlichen. Nach weiteren frühen Plattenmisserfolgen und der Schaffung des Künstlernamens David Bowie – nach einem US-Pionier des 19. Jahrhunderts – erschien 1967 sein kaum beachtetes erstes Album „David Bowie". Zwei Jahre später schaffte er es mit dem Song „Space Oddity" bis auf den fünften Platz in den britischen Charts, wobei vor allem dessen inhaltlich sogenannter Novelty-Charakter Aufsehen erregte. Auf dem Cover seines dritten Albums „The Man Who Sold the World" ließ er sich 1971 in einem Kleid ablichten. Ein Jahr später trieb er den Tabubruch mit „The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars" auf die Spitze. Mit der Singleauskoppelung „Starman" stürmte er wieder die Top Ten der britischen Charts und schaffte es erstmals auch in den USA unter die Billboards Hot 100 – immerhin bis auf Platz 65.
In dieser Zeit hatte sich Bowie bereits zum Protagonisten des Glamrocks entwickelt, nur um diesen nach seinem Umzug in die USA sogleich wieder in Richtung Soul oder Rhythm and Blues hinter sich zu lassen. Mit „Fame" gelang ihm seine erste Nummer eins in den USA. Und gleich danach konnte er mit seinem zehnten Studioalbum „Station to Station" Soul und New Wave in seiner „Thin-White-Duke"-Phase miteinander verschmelzen. Anschließend ging es nach Berlin, wo Bowie zwischen 1976 und 1978 im Stadtteil Schöneberg lebte.
Kreativpause nach einem Herzinfarkt
Dort brachte er zunächst einen Drogenentzug hinter sich und nahm danach die Arbeit an seiner sogenannten Berlin-Trilogie auf, von der die ersten beiden Alben „Low" und „Heroes" stark vom Elektropop deutscher Bands wie Kraftwerk, Can oder Neu! beeinflusst waren. Häufig werden die ersten beiden Berliner Alben als Bowies Meisterwerke eingestuft. Selbst John Lennon hatte seine Bewunderung für „Heroes" zum Ausdruck gebracht und die Hoffnung verlauten lassen, dass ihm auch noch so ein großartiger Wurf wie dieses Album gelingen möge.
1980 konnte Bowie mit dem Album „Scary Monsters" und der Auskoppelung der Über-Single „Ashes to Ashes" kommerziell noch einen draufsetzen. Das galt noch einmal mehr für das einen breiten Pop-Publikumsgeschmack ansprechende Album „Let’s Dance" aus dem Jahr 1983. Dessen gleichnamige Single erreichte in den US-Billboards die Spitze und die zweite Auskoppelung „China Girl" schaffte es immerhin in die Top Ten.
Nachdem er 1985 noch den legendären Thriller-Soundtrack „This is not America" in Zusammenarbeit mit einer Jazzband fertiggestellt hatte, geriet Bowie in den späten 80er-Jahren in eine unbefriedigende Schaffensphase. Anfang der 90er-Jahre versuchte er es mit seiner neuen Band „Tin Machine" mit Hardrock, und 1995 legte er sein schwer zugängliches Konzeptalbum „Outside" mit Jazz und Trip Hop vor. Nach einem auf der Endstation einer langen Tour erlittenen Herzinfarkt im Sommer 2004 folgte eine Kreativpause bis 2013. Diese beendete Bowie dann mit dem Album „The Next Day", deren Single „Where are We Now" an beste Berliner Glanzzeiten erinnerte. Anfang 2016 publizierte David Bowie schließlich im Alter von 69 Jahren mit „Blackstar" sein musikalisches Testament, das mit seinen modern-futuristischen Klängen wieder weit abseits des Mainstream-Pops angesiedelt war.