Inflation, Nachschub-Krise, Fachkräftemangel – das Jahr 2022 wird für die Wirtschaft eine besondere Herausforderung. Es bleibt teuer, vor allem in Sachen Energie, ein Ende der Chip-Krise ist nicht in Sicht. Aber es gibt auch gute Nachrichten.
Ausblicke ins neue Jahr sind zum Jahreswechsel die Regel. In diesem Jahr aber wird es besonders schwierig, denn Impfpolitik und ein mutierendes Virus sorgen für reichlich Unwägbarkeiten. Sicher ist, dass Deutschland mit einer rekordverdächtigen Inflation ins neue Jahr startet, zuletzt lagen die Verbraucherpreise laut Statistischem Bundesamt um 5,2 Prozent höher als im Vormonat. Damit steigt der Druck auf die Europäische Zentralbank, etwas dagegen zu unternehmen. Geplant ist jedoch nichts, noch herrscht dort öffentlich die Meinung, dass sich die Teuerungsrate bald stabilisieren werde, sobald sich die Rohstoffknappheit auflöst und Energiepreise nicht weiter steigen – beides ist noch nicht in Sicht. Die EU-Kommission ihrerseits rechnet 2022 mit einer Inflation von 2,4 Prozent, die EZB mit knapp drei Prozent. Das wäre immer noch mehr als die von der Zentralbank angepeilten knapp zwei Prozent.
Trübe Stimmung zum Jahresbeginn
In den USA hatte sich die Zentralbank Fed bereits im Dezember entschlossen, ihr Tempo beim Herunterfahren der Konjunkturhilfen zu erhöhen. Auch dort stieg die Inflation deutlich. Weniger Geld im Markt könnte die angeheizte Inflation dort abflauen lassen, was auch spürbare Rückwirkungen auf den europäischen Markt haben dürfte. Da sich kurz vor Weihnachten auch die EZB entschieden hat, ihr Pandemie-Notkaufprogramm für Anleihen langsam zu beenden, könnte dies ebenfalls den Druck aus dem Kessel der Preissteigerung entweichen lassen. Die Zinsen im Euroraum bleiben aber weiter auf Nullniveau.
Insgesamt ist die Unternehmensstimmung laut Marktforschungen zum Jahreswechsel eingetrübt, vor allem im Dienstleistungssektor. Auch im Gastgewerbe sind die Herbstzahlen 2021 eher bedrückend: Von Januar bis einschließlich Oktober 2021 lagen die Umsätze in der Branche real um 13,4 Prozent unter dem Niveau der ersten zehn Monate 2020, als Hotels und Restaurants noch offen waren. Nominal beträgt das Minus 11,2 Prozent. Die Industrie dagegen blickt auf ein verhältnismäßig gutes Jahr 2021 zurück, im kommenden Jahr könnte die Aufholjagd im Vergleich zu 2019 weitergehen. Beispielsweise die Baubranche erwartet ein deutliches Wachstum im kommenden Jahr. „Die hohen Auftragsbestände weisen auf eine Umsatzsteigerung von nominal etwa 5,5 Prozent auf 151 Milliarden in 2022 hin", so Reinhard Quast, der Präsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe. Unter Berücksichtigung der Preissteigerungen bleibe real ein Zuwachs von 1,5 Prozent. Die Branche gehe verhalten optimistisch in das neue Jahr, kämpfe aber mit den Nebenwirkungen der Pandemie. Quast verwies auf gestörte Lieferketten und knappes Baumaterial. Die Lage werde sich voraussichtlich im zweiten Vierteljahr 2022 beruhigen. Die laut Koalitionsvertrag geplanten 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr könnten dem Gewerbe einen zusätzlichen Schub verleihen. Dafür müssten aber auch die Rahmenbedingungen – schnellere Verfahren, keine weiteren Bürden für Vermieter – stimmen, hieß es seitens der Baubranche.
Die Automobilbranche kämpft ihren Kampf zwischen Technologietransformation und Halbleitermangel weiter. Bedingt unter anderem durch harte chinesische Lockdown-Maßnahmen beispielsweise in Häfen spürten zum Beispiel Autokäufer, dass wir in einer Nachschub- und damit Preisspirale stecken. Laut Marktforschern von Roland Berger könnte die Chip-Krise noch eine ganze Weile anhalten, denn die Produktion hinkt der Nachfrage weit hinterher. Um die Umsatzzahlen dennoch hoch zu halten, setzen Marken wie Mercedes oder BMW derzeit vor allem darauf, hochpreisige Autos bevorzugt zu bauen. Auch wenn Autobauer wie Stellantis mittlerweile selbst Chips produzieren wollen und Samsung neue Werke baut: Bis Produkte aus den neu errichteten Linien auf dem Markt ankommen, werden noch Jahre vergehen.
Auch bleibt vor allem der Fachkräftemangel ein weiterhin beherrschendes Thema. 2020 haben so wenige Azubis wie nie zuvor ihre Ausbildung begonnen: 465.200 und damit 9,4 Prozent weniger als noch 2019, berechnete das Statistische Bundesamt. Eine Studie des Zeitarbeitsunternehmens Randstad zusammen mit dem Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo bestätigte, dass sich nach Angaben der Personalverantwortlichen der befragten Betriebe viele Azubis derzeit unwohl fühlen. Die Unsicherheiten, die die Pandemie mit sich bringt, beruflich wie persönlich, gehen an niemandem spurlos vorbei, auch nicht an Deutschlands Fachkräfte-Nachwuchs. Dabei wird dieser händeringend gebraucht, fand die Bertelsmann-Stiftung heraus: Von 7.500 befragten Führungskräften suchen zwei Drittel nach neuem Personal, ebenfalls zwei Drittel gehen davon aus, dass diese Suche 2022 weitergeht.
Wenige Azubis, hoher Bedarf
Die Wirtschaft im Gesamten soll nach Meinung der Wirtschaftsforschungsinstitute 2022 weiter wachsen. Laut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung setzt sich zwar in diesem Jahr ein moderater Aufschwung fort, der allerdings durch die Omikron-Variante des Coronavirus gedämpft werden könnte. Der Ifo-Geschäftsklimaindex bestätigt eine derzeit eher pessimistische Stimmung, das Institut für Weltwirtschaft in Kiel korrigierte den erwarteten Aufschwung um 1,1 Prozentpunkte auf vier Prozent nach unten.
Das Jahr der uneingeschränkten Aufholjagd auf Vor-Pandemie-Niveau wird es daher nicht werden, dafür werden schon die Materialengpässe sorgen. Haben die Auguren der EZB recht, sind die Sondereffekte der Mehrwertsteuererhöhung und der Lieferkettenprobleme die entscheidenden Treiber der Inflation – neu angesprungener Konsum sollte zu erhöhter Produktion führen, die aber durch die Engpässe bei der Material- und Rohstoffbeschaffung nicht anspringen kann. Alle Augen richten sich auf die Jahresmitte. Erst dann soll sich der Druck auf die Preise lösen.