Stings musikalischer Werdegang beginnt wie der von vielen Jugendlichen. Dass er zum Weltstar wird, liegt an seinem unverwechselbaren Stil und seiner Experimentierfreude. Und vielleicht auch an einer schicksalsträchtigen Begegnung.
Er ist der Sohn eines Milchmanns aus der englischen Kleinstadt Wallsend, der zu einem der erfolgreichsten Popmusiker der Welt wurde – Gordon Matthew Thomas Sumner alias Sting. Wallsend ist eine Stadt am Fluss Tyne in Nordengland, die von Werften und Kohlegruben lebt. Hier wird am 2. Oktober 1951 Gordon Matthew Thomas Sumner in bescheidene Verhältnisse hineingeboren. Sein Vater liefert in der Region Tyneside die Milch aus, sieben Tage die Woche und bei jedem Wetter. Der kleine Gordon hilft ihm dabei. Schon früh wird er von seinem Daddy ermutigt, sich ein besseres Leben aufzubauen. Mister Sumner wünscht sich, dass sein Sohn studiert und seine Reise ins Leben antritt.
Zu dieser Reise gehörte von Anfang an die Musik, die Gordons Seele so sehr berührt. Ein Abend im März 1967 in Newcastles legendärem Musikclub a‘Gogo in der Percy Street verändert das Leben des 15-Jährigen von Grund auf. Der amerikanische Gitarrengott Jimi Hendrix ist in der Stadt, um seinen revolutionären Rocksound zu präsentieren. An das Ereignis erinnert sich Sting als „eine Mischung aus Lärm und atemberaubender Virtuosität, aus Afro-Haar, wilden Klamotten und Türmen von Marshall-Verstärkern". Es ist auch das erste Mal, dass der Junge aus der nordenglischen Provinz einen dunkelhäutigen Menschen sieht. „Ich lag in dieser Nacht mit klingelnden Ohren in meinem Bett, und meine Weltanschauung hatte sich erheblich verändert."
Mit 18 verlässt Gordon Sumner Wallsend und erlernt das musikalische Handwerk in einer Reihe lokaler Formationen wie der Newcastle Big Band, den Phoenix Jazzmen, Earthrise und Last Exit. In letztgenannter Gruppe unternimmt der Bassist dann auch seine ersten Versuche, Songs zu schreiben. Im Jahr 1976 – Sumner ist in der Arbeiterstadt Newcastle mittlerweile als Musik- und Englischlehrer tätig – begegnet er in einem Jazzclub einem Amerikaner. Es ist der Schlagzeuger der Band Curved Air, Stewart Copeland. Gemeinsam mit dem aus Korsika stammenden Punk-Gitarristen Henry Padovani stellen sie ein Jahr später in London ein Trio auf die Beine. Im Mai 1977 erscheint ihre erste, für 150 Pfund Sterling produzierte Single „Fall Out/Nothing Achieving", ein Achtungserfolg. Strontium 90 und The Elevators heißen die kurzlebigen Nachfolgebands, in denen bereits Andy Summers, Stewart Copeland und Gordon Sumner zusammen spielen. Ihr erster Gig unter dem Bandnamen The Police findet am 18. August 1977 im Rebecca‘s Club in Birmingham statt. Sumners Angewohnheit, einen gelb-schwarz gestreiften Pullover zu tragen, der an eine Wespe erinnert, brachte ihm schon zu Zeiten der Phoenix Jazzmen den Spitznamen „Sting", also Stachel, ein. Seither verwendet er seinen Geburtsnamen nur noch für offizielle Zwecke.
Im Herbst 1977 reist das Trio nach München, weil der dort ansässige experimentierfreudige Komponist Eberhard Schoener für eine Show eine Rockband sucht. Da The Police dringend Geld für die Produktion ihres Debütalbums benötigen, nehmen sie das Angebot an, an einer „Multimedia-Komposition aus Laser, Zirkus, Rock, klassischer und elektronischer Musik mit Ballett-Tänzern und einem Pantomimen" teilzunehmen. Das Ergebnis wird 1978 auf den Langspielplatten „Flashback" und „Video-Magic" festgehalten und auf zwei gemeinsamen Tourneen vorgestellt.
Sting beherrscht das gesamte Spektrum
1978 schreibt Leadsänger und Bassist Sting mit „Roxanne" seinen ersten Song für The Police – aus der Sicht eines Mannes, der sich in eine Prostituierte verliebt. Das für nur 1.500 Pfund Sterling produzierte Erstlingsalbum „Outlandos d‘Amour" (Scherben der Liebe) klingt mit seinem sparsamen Sound und seinen Vorlieben für federnde Rhythmen wie nichts Vergleichbares davor. Die Neutöner kombinieren Elemente von sprödem Punk und New Wave mit Pop, Jazz, Ska und Reggae – und das macht The Police zu Superstars dieser revolutionären Ära. Scheinbar mühelos schüttelt das technisch brillante Trio in den kommenden Jahren Welthits wie „Can’t Stand Losing You", „So Lonely", „Message in a Bottle", „Don‘t Stand So Close To Me" oder „Every Breath You Take" aus dem Ärmel. Doch zwischen Schlagzeuger Stewart Copeland, Gitarrist Andy Summers und ihrem Bassisten Sting gibt es von Anfang an Spannungen, was Sting auf seine damalige Kokainabhängigkeit zurückführt. 1986, nach fünf erfolgreichen Studioalben und rund 20 Hit-Singles, legen The Police deshalb eine kreative Pause ein, die schlussendlich zum Split führt. Danach spielen die drei nur noch gelegentlich zusammen, bis sie sich 2008 endgültig trennen.
Schon mit seiner ersten Soloarbeit, „The Dream of the Blue Turtles" (1985) kann Sting an seine Erfolge mit The Police anknüpfen. Die mit renommierten Jazzern wie Kenny Kirkland, Darryl Jones, Omar Hakim und Branford Marsalis aufgenommene Platte wirft Welthits wie „If You Love Somebody Set Them Free" und „Russians" ab und erhält vier Grammy-Nominierungen. 1987 erscheint „… Nothing Like the Sun" und 1991 nach einer Schreibblockade als eine Art Befreiungsschlag das Konzeptalbum „The Soul Cages". Es erzählt von Stings Jugend an der nordenglischen Küste und klettert in Deutschland an die Spitze der Charts. Die gleichnamige Single wird mit dem Grammy Award in der Kategorie „Bester Rocksong" ausgezeichnet.
Mit seinem Ehrgeiz als Musiker revolutioniert der Solokünstler Sting auch mit nachfolgenden Alben wie „Ten Summoners Tales", das den Hit „Fields of Gold" enthält, die populäre Musik, wobei er das gesamte Spektrum seines Fachs beherrscht und sich mit spielender Leichtigkeit zwischen Synthie-Pop, Liebesballade, Weltmusik, Barockklängen, Acid-Jazz, Funk und Rock bewegt. Dabei kommt dem Sänger sein ausgeprägtes Gespür für schöne, schlichte Melodien zu Hilfe. 2003 erhält er von Queen Elizabeth II. für seine Verdienste um die britische Musikindustrie den Orden „Commander of the British Empire" – die Vorstufe zum Adelsschlag.
Mit dem Album „The Last Ship" und dem gleichnamigen Musical setzt Sting 2013 seiner Heimatstadt ein weiteres Denkmal. Erzählt wird die bedrückende Geschichte des langsamen Niedergangs der bedeutenden Swan-Hunter-Werft in den 1980er-Jahren. Deren Konkurs hat massive Auswirkungen auf das Leben in Wallsend und Umgebung. Sting inspirieren vor allem die Schicksale der Menschen der Region, zu denen auch seine Eltern gehörten. Kompositorische Hilfe erfährt der Musical-Novize von dem preisgekrönten US-amerikanischen Dramatiker und Lieddichter Brian Yorkey („Next to Normal") sowie dem Hollywood-Drehbuchautor John Logan („Aviator", „Hugo Cabret", „Skyfall").
Im Studio schauen schließlich Brian Johnson von AC/DC, der singende Schauspieler Jimmy Nail und die Unthank-Schwestern vorbei. Sie alle stammen wie Sting aus der Metropolregion Newcastle. Der eingängige, songorientierte Soundtrack weist neben Pop- auch traditionelle Folkelemente und Schifferlieder auf und steht unter dem Einfluss von George Gershwin, Rodgers und Hammerstein sowie Bertolt Brecht und Kurt Weill. Sting, der hier zum ersten Mal auch im breiten nordenglischen Dialekt singt, schlägt einen weiten Bogen vom Folksound aus dem Norden Englands zur modernen Theatermusik. Die zarte Ballade „Practical Arrangement" erzählt die Geschichte eines älteren Mannes, der eine junge alleinstehende Mutter davon überzeugen will, dass sie zusammen eine prima Zweckgemeinschaft abgeben würden.
Musik als Flucht aus den armen Verhältnissen
Nach einer Tournee im Vereinigten Königreich und einer sechswöchigen Laufzeit im Princess of Wales Theatre in Toronto im Jahr 2015 wird das Musical am 22. Januar 2020 im Ahmanson Theatre in Los Angeles gespielt. Zeitweise ersetzte Sting den Darsteller Jimmy Nail in der Rolle des Jackie White.
Übrigens wäre Gordon Matthew Sumner ohne die Royals vielleicht nie zum Weltstar Sting geworden. Eines Tages in den 1960ern fuhr nämlich die Mutter der Königin, Queen Mum, durch seine Straße in Wallsend, um im dortigen Dock ein Schiff zu taufen. Zur königlichen Aufwartung hatte der kleine Gordon sich in seinen Sonntagsanzug geworfen und schwenkte den Union Jack. Queen Mum, die in ihrem schwarzen Rolls-Royce an dem Steppke vorbeibrauste, drehte sich plötzlich um und winkte ihm zurück. „Das war der Moment, in dem ich infiziert wurde", erinnert Sting sich Jahrzehnte später. „Ich dachte, ich will dieses armselige Leben nicht mehr! Also besorgte ich mir eine Gitarre und fand einen Freund, der mir dabei half, dort hinzukommen, wo ich immer hinwollte."
Und das ist ganz oben. All seine 14 Studioalben haben Edelmetall eingespielt, Sting hat bislang 17 Grammy-Awards gewonnen und blickt zudem auf 38 Nominierungen für den wichtigsten Musikpreis der Welt zurück.
Am 2. Oktober 2021 ist der Superstar 70 geworden. Das Geburtstagsalbum „The Bridge" ist seine erste Studioplatte seit 2016. Mithilfe der neuen Songs und einer ausgiebigen Tournee möchte Sting eine Brücke rund um den von einer gefährlichen Seuche getroffenen Planeten ziehen.