Die Antrittsbesuche sind soweit durch, die ersten Positionen abgesteckt. Vier Wochen nach Amtseid und Weihnachtspause startet Deutschlands erste Ampel in den Regierungsalltag. Soweit von Alltag angesichts der Pandemie die Rede sein kann.
Wie es sich zum Auftakt einer neuen Regierung und zum Start in ein neues Jahr gehört, werden die begleitet mit einer Auflistung von drei, fünf oder wahlweise auch mehr wichtigsten Aufgaben, Herausforderungen oder „großen Baustellen". Bundeskanzler Olaf Scholz hat in seiner Neujahrsansprache selbst schon mal etwas Ordnung in die Agenda-Liste gebracht und damit seine Botschaften gesetzt. Über die Hälfte widmet sich der Regierungschef dabei den Fragen von Pandemiebekämpfung und Zusammenhalt in der Gesellschaft. Ein Signal nicht nur wegen der aktuell drohenden Pandemieentwicklung. Die Protestaktionen, bei denen sich quer durch die Republik auch zwischen den Feiertagen tausende von Menschen versammelten, standen zwar unter dem Motto „Gegen Impfpflicht", in ihnen versammelte sich aber auch viel aufgestauter grundsätzlicher Unmut, für den die Diskussion über eine Impfpflicht vor allem ein Ventil war.
Die Menschen sind zwar erschöpft von zwei Pandemiejahren, dahinter stehen aber auch zuvor verbreitete Sorgen und Unzufriedenheiten. Sorgen beispielsweise darüber, im wirtschaftlichen Wandel abgehängt zu werden, oder dass Maßnahmen gegen den Klimawandel die eigenen Lebensumstände einschränken. Und dass die soziale Situation im Land trotz eines jahrelangen wirtschaftlichen Aufschwungs auch nicht überall zum Besten steht, zeigten Sozialberichte etwa von Wohlfahrtsverbänden schon lange vor der Pandemie. Dass das Armutsrisiko ebenso gestiegen ist wie das Risiko, aus der Mittelschicht abzusteigen, haben zuletzt noch einmal Studien von der (gewerkschaftsnahen) Hans-Böckler- Stiftung ebenso wie der Bertelsmann-Stiftung gezeigt. In der Pandemie hat sich die Situation verschärft, wie Arbeitsplatzverluste in der Mittelschicht zeigen. Die unsichere Situation hat sich durch das Auftreten der Omikron-Variante weiter verlängert.
Neben der Pandemiebekämpfung ist unstrittig der Umbau Deutschlands zu einem klimaneutralen Land die Mega-Herausforderung. In weniger als 25 Jahren dieses Ziel zu erreichen bedeute nicht weniger als „den größten Umbau unserer Wirtschaft seit mehr als 100 Jahren". Positiv gesehen heißt das „massive Investitionen", was wiederum „neuen Wohlstand und gute Arbeitsplätze" schaffe, so der Kanzler. Aber ihm ist klar, dass auch hier einiges an Zumutungen liegt. Nicht umsonst appelliert er: „Wir werden die großen Veränderungen unserer Zeit gemeinsam und miteinander meistern können. Wenn wir als Gemeinschaft zusammenhalten". Nicht nur in der Automobil- und Stahlindustrie wissen die Beschäftigten und ihre Familien, dass hier unsichere Zeiten mit einem erheblichen Klärungsbedarf auf das Land zukommen.
Ein wesentlicher Teil der Verantwortung für diesen Umbau liegt beim grünen Superminister für Wirtschaft und Klimaschutz sowie Vizekanzler Robert Habeck. Der ist sich bewusst, was auf ihn zukommt. Gleich zu Beginn des Jahres musste er die schwierige Ausgangslage einräumen, dass Deutschland seine Klimaziele in diesem Jahr verfehlen werde, und „sogar für 2023 wird es schwer genug". Der „Zeit" erklärte Habeck: „Wir fangen mit einem drastischen Rückstand an". Was nichts anderes heißt, als dass er als Klimaschutzminister das Tempo beim Umbau verschärfen muss, gleichzeitig als Wirtschaftsminister sehen muss, dass es dabei auch um Arbeitsplätze geht. Nicht umsonst ist er um Ermutigung bemüht: „Es werden neue Arbeitsplätze entstehen. Uns geht die Arbeit nicht aus, ganz im Gegenteil". Dass das alles nicht ohne Konflikte und Enttäuschung abgehen wird, weil es den einen womöglich nicht schnell genug, den anderen aber zu weit geht, liegt in der Natur der Sache. Nicht umsonst war während der Koalitionsverhandlungen zu hören, dass sich die Grünen gar nicht so sehr um ein zuvor gefordertes Klimaschutzministerium reißen würden, wie man es hätte vermuten dürfen. Für Habeck hat es immerhin den Vorteil, sich als Klimaschutzminister mit sich selbst auseinandersetzen zu müssen und nicht mit einem Wirtschaftsminister, der womöglich von einem der Koalitionspartner mit anderer Prioritätensetzung gestellt worden wäre.
Finanzierung von Corona-Hilfen und Klimaschutz unklar
Finanzminister Christian Lindner (FDP) ist mit einem Versprechen ins neue Jahr gestartet: 30 Milliarden Entlastung für Bürger und Unternehmen. Diese entsprechen FDP-Linien, die Finanzierungsvorschläge dafür dürften aber kaum Begeisterung bei den Kabinettskollegen ausgelöst haben. Die sollen nämlich ihre „Aufgaben priorisieren" und Ausgaben „auf den Prüfstand stellen". Zudem will er aus symbolischen Gründen auf den endgültigen Ausbau eines Regierungsterminals am Hauptstadtflughafen BER verzichten. Zuletzt geschätzte Kosten dafür: stolze 350 Millionen Euro. Das Auswärtige Amt prüfe den Vorschlag, hieß es. Dass sich Finanzminister viele Freunde machen, ist unüblich. Die Zurückhaltung der Koalitionspartnern gegenüber den Vorstößen spricht nicht für große Begeisterung. Bislang ist auch nicht so recht klar, wie die „Bazooka" an Corona-Hilfen aufgefangen werden sollen – und wieviel die Pandemie weiterhin an direkten und an Folgekosten verursachen wird.
Einige forsche Eckpunkte einer neuen Außenpolitik hat Annalena Baerbock skizziert und mit ihrer Absage einer Reise zu den Olympischen Spielen nach China ein Zeichen gesetzt. Es ist allerdings ausdrücklich ein persönliches Signal, denn die Bundesregierung hatte sich noch nicht zu einer gemeinsamen Haltung in dieser Frage entschieden. Ob Außenpolitik wieder mehr im Auswärtigen Amt oder – wie unter Angela Merkel - im Kanzleramt formuliert wird, ist offensichtlich noch nicht abschließend geklärt. Kanzler Scholz hat jedenfalls in seiner Neujahrsbotschaft klare Positionen in außenpolitischen Fragen beschrieben, etwa im Ukraine-Russland-Konflikt („Die Unverletzlichkeit der Grenzen ist ein hohes Gut – und nicht verhandelbar"), und auf die deutsche Präsidentschaft der G7 verwiesen, die er nutzen will „damit dieser Staatenkreis zum Vorreiter wird. Vorreiter für klimaneutrales Wirtschaften und eine gerechte Welt".
Erste Akzente haben die Überraschungs-Kabinettsmitglieder Nancy Faeser (SPD, Innen) und Cem Özdemir (Grüne, Landwirtschaft) gesetzt. Faeser hat ihre bekannten klaren Positionen im Kampf gegen rechts bekräftigt und, wie Außenministerin Baerbock, eine Teilnahme an den Olympischen Spielen in Peking abgesagt. Offiziell heißt es: „schon aus Pandemiegründen", klar ist aber, dass es als Statement der auch für Sport zuständigen Ministerin gemeint ist. Cem Özdemir hat seinen Akzent mit dem Vorstoß gegen Lebensmittel-„Ramschpreise" gesetzt. Er greift damit zwar eine bekannte Diskussion auf, setzt sich mit der Aussicht auf höhere Preise aber auch einer Diskussion um soziale Fragen aus, erst recht in Zeiten ohnehin steigender Inflationsraten.
Welche Akzente von der Ampel in den ersten Monaten zu erwarten sind, wird auch vom Blick auf die drei Landtagswahlen abhängen, die bis Mai anstehen. Im Saarland (März), Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (Mai) stehen jeweils CDU-geführte Regierungen in allerdings unterschiedlichen Regierungskonstellationen zur Wahl. Der Ausgang wird sich auch auf den Bundesrat auswirken. Die Ampel ist bei vielen Reformvorhaben auf die Länderkammer angewiesen.