Die Ära Löw endete 2021, und mit Hansi Flick kam ein neuer Mann als Cheftrainer der deutschen Nationalmannschaft. Nach einem holprigen Start ging es aufwärts. FORUM blickt zurück auf das Jahr der „Mannschaft".
Das Länderspieljahr 2021 endete mit einem 4:1 der deutschen Nationalmannschaft gegen Armenien. Wenn es dabei tatsächlich einen Verlierer gegeben hat, dann wäre es Marc-André ter Stegen. Vier Tore kassierte die deutsche Nationalmannschaft in der Qualifikation zur Weltmeisterschaft, jedes davon ter Stegen, das letzte beim souveränen, aber glanzlosen Sieg in Armenien. Ein wenig Trost wollte scheinbar ein Flitzer dem Schlussmann schenken, der ihn in den Arm nahm. Dennoch, der Abschluss des Länderspieljahres war erwartungsgemäß gelungen. „Die Mannschaft hat Spaß am Fußball", stellte Bundestrainer Hansi Flick fest, dank der Qualität der Einzelspieler müsse sie sich „vor niemandem verstecken". Das war in diesem Jahr jedoch nicht immer so. Denn wer sich an die Anfänge dieses Jahres erinnert, dem wird direkt Nordmazedonien in den Kopf kommen. Dabei gab es zu diesem Zeitpunkt noch so viel mehr als nur diese 1:2-Niederlage. Gerade durch diese Niederlage wurde die Diskussion um Thomas Müller und Mats Hummels noch lauter – und dadurch auch die Kritik an Joachim Löw. Vorherrschend war jedoch die Angst, dass sich die deutsche Nationalmannschaft nicht qualifizieren würde oder zumindest einen Umweg über die Playoffs machen muss. In einer Gruppe, die nicht nur als machbar, sondern eigentlich als völlig ungefährlich eingestuft werden muss.
EM als Höhepunkt der Enttäuschung
Nach dieser eher bescheidenen WM-Qualifikation ging es für die Nationalmannschaft dann zur aufgrund von Corona verschobenen Europameisterschaft nach England. Mit dabei auch Müller und Hummels, die nach zu groß werdender medialer Kritik und bockstarken Leistungen doch noch in den Kader rutschten. Viel half das nicht. Zwar wurde im Auftaktspiel fast schon furios gegen die Portugiesen gewonnen, gegen Frankreich gab es dann aber eine Lehrstunde in Sachen Effizienz und Abwehrverhalten. Im alles entscheidenden letzten Gruppenspiel gegen Ungarn war es dann doch mehr Fortune als eigenes Können –
und vor allem Leon Goretzka – der Joachim Löw noch ein weiteres Spiel schenkte. Mitunter die schönste Geste bei dieser EM war Goretzkas Torjubel als er seine beiden Hände zu einem Herz formte und dem homophoben ungarischen Mob vor die Nase hielt. So glücklich das Weiterkommen in diesem Spiel auch war, so verdient war das Ausscheiden im Achtelfinale. Gegen biedere Engländer ging Joachim Löws Mannschaft baden und schied völlig zurecht aus. Das Aus besiegelte das Ende der Ära Löw auf eine Art und Weise, die sie dennoch nicht verdient hatte. Einen Abschied, der ebenso als eher schwach einzuordnen ist, bescherte ihm der DFB selbst. In Wolfsburg, gegen Liechtenstein – Löws letzter Auftritt im Zusammenhang mit dem DFB.
Danach begann eigentlich eine neue Zeitrechnung, in der die Nationalmannschaft nicht mehr so grau und trist daherkam, sondern irgendwie in Farbe. Das wird Löw sicherlich nicht gerecht, beschreibt aber ganz gut die Veränderung, die sofort Einkehr gehalten hat. Denn mit Hansi Flick kam frischer Wind in ein Gebilde, das seit 16 Jahren zu großen Teilen gut, gegen Ende eher weniger gut daherkam. Mittlerweile geht es sogar schon so weit, dass einige die Nationalmannschaft wieder zu einem Titelkandidaten in Katar machen – dabei ist die Faktenlage die, dass in Russland 2018 in der Vorrunde und in England im Achtelfinale Schluss war. Sogar der bodenständige Christian Günter aus dem noch bodenständigeren Standort Freiburg sagte vor der Partie in Armenien, dass die WM in Katar möglichst gewonnen werden sollte: „Unter Hansi Flick ist sehr viel möglich. Das Ziel muss sein, um Titel zu spielen. Da ist der Hansi der richtige Mann."
„Unter Hansi Flick ist viel möglich"
Der Start des neuen Bundestrainers Hansi Flick hat es, wenn nach den Zahlen geschaut wird, sicherlich in sich. Sieben Siege in sieben Spielen bei einem Torverhältnis von 31:2 Toren sprechen eine beachtliche Sprache, relativieren sich aber bei einem Blick auf die Gegner. Aber wenn es dann mal bei der WM oder schon vorher in der Nations League Niederlagen gegen Frankreich, die Niederlande oder Belgien geben wird, fallen ein 4:0 in Nordmazedonien und ein 9:0 gegen Liechtenstein zu Recht als Argument für den aktuellen Bundestrainer weg. Dennoch: Hansi Flick probiert viel aus, bringt neue frische Spieler und hat seiner Mannschaft von Beginn an seinen Spielstil eingeimpft. Von Vorteil dabei war sicher, dass einige Spieler genau diesen schon vom FC Bayern kannten. Als das Jahr 2021 begann, waren die Münchner Spieler höchstwahrscheinlich davon ausgegangen, dass ihr Vereinstrainer auch am Silvestertag noch Flick heißen wird. Dass er den Posten von Löw übernehmen würde, der am 9. März überraschend seine Vertragsauflösung zu Ende August bekannt gab, deutete sich immer mehr an, war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch überraschender. Dass Flick letztendlich wieder zurück zu seinem Verband kam, ist als Verdienst von Oliver Bierhoff einzuordnen – und in diesem Jahr wahrscheinlich der einzige des Sportdirektors. Gegen Ende des Jahres gab Bierhoff bei der Impfthematik um Joshua Kimmich eine fatale Figur ab.
Zumindest dessen Argumente, die von der Wissenschaft zerpflückt wurden, hätte er ebenso entkräften und mit einem Aufruf verbinden sollen, sich impfen zu lassen. Der DFB in Person des für die Nationalmannschaften zuständigen Direktors ist seiner so oft betonten gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht geworden. Dass Bierhoff die Diskussion um Kimmich in Zusammenhang brachte mit der Erinnerung an Robert Enke, der sich vor zwölf Jahren aufgrund von Depressionen das Leben nahm, war ein weiterer Fehler. Die Entschuldigung über die „Bild"-Zeitung ging dann an der eigentlichen Sache vorbei. Hansi Flick sprach sich klar für das Impfen aus, spielte bei der Frage, ob er ungeimpfte Spieler künftig nominieren wolle, aber auf Zeit. Mittlerweile dürfte sich dieses Thema jedoch erledigt haben, Kimmich hat eingeräumt sich nun doch impfen zu lassen, wenn er kann.
„Heiß drauf, Tore zu erzielen"
Zurück zum Sportlichen: Flicks Stempel wurde der Mannschaft schon deutlich aufgedrückt, vor allem der Hunger auf immer mehr, den er mit den Bayern vorlebte, sollte implementiert werden. „Das sind die Dinge, die wir vorgegeben haben", sagt Flick im Interview mit der „Sportschau" und fügte hinzu: „Das auch auf dem Platz zu spüren, dass die Mannschaft auch in der 89. oder 90. Minute gegen Liechtenstein noch heiß drauf ist, ein Tor zu erzielen. Das bedeutet natürlich auch, dass sie alles investiert." Eben jener Spirit ist es, den Flick schon in seinen ersten vier Monaten als Bundestrainer seinem Team zu vermitteln versuchte. Immer mit der klaren Idee, wie sein Fußball aussehen soll, und immer auch mit dem Anspruch, dass diese Idee auf dem Platz zu sehen ist. Der Teamgeist, er ist zurückgekehrt ins deutsche Team – nach dem Ende der Ära Löw musste Flick diesen allerdings mühsam zusammensuchen. „Das ist eine Mannschaft, die da auf dem Platz steht, die auch ein Miteinander pflegt. Und vor allen Dingen sind die Qualität, die Intensität und die absolute Konzentration auf das, was wir vorhaben, da", sagt der Bundestrainer. Deshalb war Flick auch nicht ganz zufrieden, auch wenn die Bilanz fantastisch aussieht: „Gerade die Spiele haben gezeigt, dass noch Präzision fehlt", so Flick. Gegen Spitzenteams aber brauche die Mannschaft „absolute Konzentration, Präzision im Passspiel und in den Aktionen." Und natürlich wird es Joachim Löw nicht gerecht, dass Hansi Flick nach sieben Spielen gegen gelinde gesagt schwache Gegner schon in den Himmel gehoben wird. Es liegt auch nicht daran, dass es gegen Ende unter Löw nicht mehr so lief. Jeder kennt das Gefühl, wenn er seine Wohnung umstellt oder einen neuen Haarschnitt ausprobiert. Beim DFB fühlte sich alles nach 16 Jahren zu bekannt, zu gleich an. Deshalb fühlt sich der Wind unter Flick noch ein wenig frischer an – und das ist gut so.