Es ist die langlebigste Filmreihe der Welt – vor 60 Jahren begannen die Dreharbeiten zum ersten James-Bond-Abenteuer „James Bond 007 jagt Dr. No". Mit geringen Erwartungen gestartet, entwickelte sich die Reihe zu einer der größten Geldmaschinen in Hollywood. Wie alles begann …
Die Sache mit dem Affen war der Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte. Wochenlang hatten die beiden Autoren Richard Maibaum und Wolf Mankowitz an einem Drehbuch nach dem Roman „Dr. No" von Ian Fleming gearbeitet, Ideen entwickelt und wieder verworfen und waren schließlich zu dem Entschluss gekommen, etwas völlig Neues zu erfinden. Dr. No sei mit Abstand der lächerlichste Schurke, den sich Fleming je ausgedacht habe, so eine Art Dr. Fu-Man-Chu mit Stahlklauen, befanden sie. Damit würde man niemanden hinter dem Ofen hervorlocken. Sie reduzierten die titelgebende Figur auf ein Seidenäffchen, das auf der Schulter des eigentlichen Bösewichts sitzen sollte.
Der Vorschlag wurde von den Produzenten Albert R. Broccoli und Harry Saltzman rundweg abgelehnt. Sie sollen sich gefälligst näher an den ersten Entwurf halten, den Broccolis Assistentin Johanna Harwood verfasst hatte, der enger der Romanvorlage folgte und auf dessen Basis Verhandlungen mit Vertriebsgesellschaften geführt worden waren. Mankowitz hatte den Job bekommen, weil er bei den Verhandlungen um die Filmrechte Broccoli und Saltzman zusammengebracht hatte. Doch nun war er so erbost darüber, dass er den Ideen einer „Sekretärin" folgen sollte, dass er die Produktion verließ. Dabei hatte Harwood Film in London und Paris studiert und schon früher Script-Aufgaben für Broccolis Filmproduktionen übernommen. Maibaum war bereit, weiterzumachen, sein nächster Entwurf wurde allerdings nochmals mehrfach überarbeitet – unter anderem von Harwood und Regisseur Terence Young.
Ian Flemings großes Ziel war es immer gewesen, dass aus seinen James-Bond-Romanen entweder eine TV-Serie oder eine Reihe von Kinofilmen wird. Aus seinem Erstling „Casino Royale" hatte die amerikanische TV-Gesellschaft CBS ein einstündiges, stark amerikanisiertes Kammerspiel gemacht – immerhin mit Peter Lorre als Le Chiffre –, aber mehr war bisher nicht herausgekommen. Entwürfe für die nie über das Planungsstadium hinausgekommene TV-Serie „Commander Jamaica" hatte Fleming später zu mehreren Kurzgeschichten sowie dem Roman „Dr. No" verarbeitet. Das Drehbuch zu einem geplanten Filmprojekt arbeitete er in den Roman „Feuerball" um – allerdings ohne Absprache mit seinen Mitautoren, was zu einem Rechtsstreit führte, der sich letztlich bis in die 2010er-Jahre ziehen sollte.
Ein anderes Problem war die Frage des Hauptdarstellers. Zahlreiche Geschichten wurden im Laufe der Jahre kolportiert, wer alles für die Rolle des Agenten 007 angedacht worden war. Cary Grant wird oft genannt, war er doch Broccolis Trauzeuge gewesen. Doch der Hollywood-Star wollte sich nicht an eine mehrteilige Filmreihe binden, zumal die Erfolgsaussichten nur sehr schwer einzuschätzen waren. Abgesehen davon hatte die Finanzierungsgesellschaft United Artists nur knapp 140.000 Dollar für Gagen bewilligt, Grant hätte also sicherlich erhebliche Abstriche von seinem sonst üblichen Salär machen müssen. Aus diesem Grund kamen auch andere Kandidaten dieses Kalibers nicht in Frage, so zum Beispiel Trevor Howard oder James Mason.
Ob man sich tatsächlich bereits zu diesem Zeitpunkt mit dem jungen Roger Moore beschäftigt hatte, ist heute nicht mehr zweifelsfrei belegbar. Ian Fleming hatte angeblich den relativ unbekannten Engländer Edward Underdown favorisiert, auch seinen Freund David Niven hatte er in Erwägung gezogen, doch dieser war bereits eindeutig zu alt gewesen –
und zu teuer. Albert Finney war ebenso ein Kandidat gewesen wie TV-Star Patrick McGoohan, der die Rolle aber aus religiösen Gründen ablehnte.
Schließlich einigte man sich auf den noch relativ unbekannten Schotten Sean Connery. Sein Aussehen und seine Ausstrahlung waren phänomenal, seine Bewegungen hatten etwas katzenhaftes an sich, und sein selbstbewusstes Auftreten hatte enormen Eindruck gemacht. Den Ausschlag gab angeblich Broccolis Ehefrau Dana, die ihn in dem Disney-Film „Die verwunschene Höhle" gesehen hatte und begeistert war. Ian Fleming soll anfänglich wenig angetan gewesen sein, Connery schaffte es aber, ihn durch seine Leistung zu überzeugen.
Schon in „Dr. No" trug Connery Toupet
Zwei kleinere Probleme gab es allerdings: Obwohl er erst 31 war, war Connerys Haupthaar bereits merklich zurückgegangen. Er würde also ein Toupet tragen müssen. Außerdem stammte er aus dem Arbeitermilieu, seine frühen Beschäftigungen als Sargpolierer, Milchmann oder Aktmodell werden in diesem Zusammenhang gerne und häufig erwähnt. Auch hatte ihm einmal ein Angebot von Manchester United als Profifußballer vorgelegen. Das alles war weit weg von dem eleganten und weltgewandten Geheimagenten, den er verkörpern sollte.
Regisseur Terence Young nahm ihn daher unter seine Fittiche, brachte ihm bei, wie man einen Anzug trägt und sich richtig darin bewegt, gab ihm Nachhilfe in korrektem Benehmen und führte ihn in die Welt der gehobenen Genüsse ein. Bis heute wird häufig behauptet, Young sei die eigentliche Idealbesetzung für Bond gewesen, denn Connerys Darstellung der Figur sei nichts weiter als ein Abklatsch von Young.
Für die Rolle des titelgebenden „Dr. No" hatte Fleming seinen Freund, den Komponisten, Schriftsteller und Schauspieler Noël Coward, vorgesehen, doch dessen ablehnendes Telegramm war eindeutig gewesen: „No, No, No!". Man hatte auch kurz über Flemings Cousin Christopher Lee nachgedacht, aber seine Zeit als Bond-Schurke sollte erst gut zwölf Jahre später in „Der Mann mit dem Goldenen Colt" kommen. Schließlich wurde es der in Kanada geborene Joseph Wiseman, für den diese Rolle einfach nur ein Job war und der später nie ein Geheimnis daraus machte, dass er nie viel davon gehalten hatte und in späteren Interviews viel lieber über seine Theaterkarriere plauderte.
Für die weibliche Hauptrolle entschied man sich für die Schweizerin Ursula Andress, von der die Produzenten lediglich ein Foto in leichter Bekleidung gesehen hatten. Andress war in Hollywood keine Unbekannte, allerdings hatte sie weniger durch ihr schauspielerisches Talent von sich reden gemacht, denn ihr blendendes Aussehen konnte nur schwer über ihre mangelnden Englischkenntnisse hinweg täuschen. „Kein Foto wird ihrer Schönheit annähernd gerecht, aber wenn sie spricht, hört sie sich an wie ein holländischer Komiker" sagte ihr Agent über sie. Dieses Problem konnte durch eine damals nicht unübliche Nachsynchronisation gelöst werden. Die gebürtige Deutsche Nikki van der Zyl würde ihr ihre Stimme leihen – und sollte das später auch für zahlreiche andere Bondgirls mit ähnlichen Problemen tun.
Andress war zunächst unsicher, ob sie annehmen sollte. Auf einer Party, die sie gemeinsam mit ihrem Mann John Derek gab, schnappte sich Kirk Douglas das Drehbuch und las zur Belustigung der übrigen Gäste laut daraus vor. Anschließend meinte er: „Das ist alles hanebüchener Unsinn, aber es ist von Ian Fleming, und der ist grad ganz groß in Mode. Tu es."
Das übrige Personal zu rekrutieren war relativ einfach. Broccoli hatte langjährige Erfahrung im britischen Filmgeschäft, viele der Darsteller und Techniker in „Dr. No" gehörten zu seinem „Stammpersonal". So zum Beispiel die Darsteller „Bernhard Lee („M") oder Lois Maxwell („Miss Moneypenny") oder auch der Komponist Monty Norman. Ganz glücklich waren die Produzenten nicht mit Normans Arbeit gewesen, seine Calypso-Klänge waren nicht ganz das, was sie sich vorgestellt hatten. Aber mit einer Sache hatte er einen großen Wurf abgeliefert: Diese Titelmusik, für die er den Song „Good sign, bad sign" aus seinem unvollendeten Musical „A House for Mr. Biswas" umgeschrieben hatte, war einfach großartig.
Dreharbeiten begannen in Jamaika
Der junge Bandleader John Barry verpasste dem Song ein jazziges Arrangement und spielte es mit seinen „John Barry Seven" ein, als „James Bond Thema" sollte das Lied zum weltberühmten Erkennungseichen werden. Barry behauptete später, dass er das Lied so stark umschreiben musste, dass er ein eigenes Autorenrecht beanspruchen könne. In einem lang andauernden Gerichtsverfahren bekam allerdings Norman die vollen Rechte zugesprochen.
Am 16. Januar 1962 fiel schließlich in Kingston, Jamaica, die erste Klappe für den Film – und gleichzeitig für die am längsten andauernde Reihe der Filmgeschichte. Und zwar mit einer Szene, in der James Bond aus einer Telefonzelle heraus einen vermeintlichen Gegner beobachtet. Am 6. Februar entstand am Laughing-Waters-Strand von Ocho Rios die wohl berühmteste Szene des Films, in der Ursula Andress als leicht bekleidete Muscheltaucherin Honey Ryder den Fluten entsteigt und nicht nur auf James Bond einen nachhaltigen Eindruck macht. Das „Bond-Girl" war geboren.
Während in Jamaika noch bis Ende Februar Außenaufnahmen gedreht wurden, baute Filmarchitekt Ken Adam in den Londoner Pinewood-Studios fleißig an seinen Sets für die Innendrehs. Er sollte auch in zahlreichen folgenden Bondfilmen seine fantastischen Ideen einbringen und so für einen unverwechselbaren Look der Filme sorgen. Dabei zeichnete er sich nicht nur durch seine überlebensgroßen Entwürfe aus, sondern auch mit seinem Sinn für Details. So platzierte er im Hauptquartier von Dr. No das berühmte Goya-Portrait des Herzogs von Wellington, das ein halbes Jahr zuvor gestohlen worden war. Ironischerweise wurde das Original später zurückgegeben und hängt heute in der Londoner National Gallery. Die Kopie, die Adam gemalt hatte, wurde ebenfalls gestohlen und bleibt bis heute verschwunden.
Am 26. April 1962 waren die Dreharbeiten beendet – etwas später als geplant und mit leicht überzogenem Budget. Aus der ursprünglich bewilligten Million Dollar waren 1,2 Millionen geworden – selbst für damalige Verhältnisse war das nicht sonderlich teuer gewesen, aber die Finanziers von United Artists hatten keine großen Erwartungen an den Film. Sie sahen ihn immer noch als besseres B-Movie an. Nach einer ersten Testvorführung kommentierte der Europa-Chef von UA nur kurz: „Das Beste an dem Film ist, das wir damit höchstens 850.000 Dollar Verlust machen werden." Er hätte nicht falscher liegen können.
Premiere war am 5. Oktober 1962 in London, nach Deutschland kam der Film im Januar 1963. Trotz mäßigem Erfolg in den USA – in Erwartung eines Flops waren die dortigen Marketing-Aktivitäten auf ein Minimum beschränkt worden – spielte der Film sensationelle 60 Millionen Dollar ein. Im Vergleich dazu müsste der aktuelle Film „Keine Zeit zu sterben" bei geschätzten Produktionskosten von 300 Millionen Dollar etwa 150 Milliarden einspielen. Stattdessen waren es angesichts der Corona-Situation beachtliche 775 Millionen Dollar, womit die Finanzierung des nächsten Bond-Streifens gesichert sein dürfte. Und nach wie vor gilt, was schon 1962 galt: James Bond wird zurückkehren.