Ein großes Tennisturnier sollte in einem Land, das sich stets vorbildlich gegen Corona wappnete, mitten im australischen Sommer kein Problem sein. Das war es im vergangenen Jahr aber doch. Dieses Mal soll der Impfstoff alles einfacher machen. Eigentlich.
Angelique Kerber gehörte zu denen, die im vergangenen Jahr von einer zweiwöchige Hotelquarantäne ohne Trainingsmöglichkeiten getroffen wurde – wie 72 andere Mitwirkende der Australian Open auch, die gemeinsam in einem extra gecharterten Flugzeug saßen. Ein positiver Fall verdarb die Rechnung: Vergeblich versuchte sich die Australian-Open-Siegerin von 2016 auf engem Raum fit zu halten. „Ich bin enttäuscht, und zwar sehr. Ich habe mir die Reise nach Australien anders vorgestellt." Deutschlands Nummer eins bei den Damen flog gleich in der ersten Runde aus dem Turnier. „Ich habe auch gemerkt: Zwei Wochen keinen Schläger in der Hand gehabt zu haben, macht es nicht leichter." Immerhin: Die Organisatoren hatten sich um perfekte Planung bemüht. Größtmögliche Schutzmaßnahmen, darunter mehr als 10.000 Corona-Tests und mobile Desinfektionsstationen kosteten rund 25 Millionen Dollar. Tatsächlich spendete der „Happy Slam" Hoffnung auf mehr Live-Sport mit Publikum. Menschen aus aller Welt freuten sich daran, wieder ein großes Tennisevent via TV und Internet zu sehen. Bis zu 30.000 Zuschauer waren pro Tag auf der gesamten Anlage erlaubt, sonst sind es bis zu 120.000 Menschen. Für fünf Tage vor dem Halbfinale waren wegen eines Lockdowns keine Fans im Stadion zugelassen. Strikte Hygieneregeln, Abstand, freie Plätze, umfassende Quarantäne und Isolierungen: Keiner sollte wegen des Großevents Angst haben müssen, auch die Bevölkerung nicht.
Mehr als 10.000 Corona-Tests
Die Pandemie ist auch 2022 noch nicht vorbei. Obwohl gute Impfstoffe gefunden wurden und es während des europäischen Sommers 2021 schon so wirkte, als würde Corona keine Rolle mehr spielen. Nach Stand zum Jahreswechsel sollen dennoch alle vier Grand-Slam-Turniere 2022 unter Hygienebedingungen stattfinden.
Die Australian Open läuten die Turnierserie am 17. Januar ein, die US Open beenden sie am 11. September. Die French Open sollen am 16. Mai beginnen, falls die Pandemie nicht wie 2020 eine Verschiebung erzwingt. Wimbledon, das damals frühzeitig abgesagt wurde und vergangenes Jahr mit weniger Zuschauern stattfand, ist regulär vom 27. Juni bis 10. Juli geplant – erstmals ohne spielfreien Sonntag.
Die Regeln für Melbourne 2022 sind klar: Nur wer vollständig geimpft ist, darf mitspielen, mitorganisieren, mitarbeiten, mithelfen oder vor Ort zusehen. Dem für Melbourne zuständigen Sportminister zufolge geht es um den Schutz der Gemeinschaft. Daher ist der Impfstatus selbst der Besucher im Vorfeld in eine Victoria-Service-App einzuscannen. Ob sich alle gemeldeten Spieler rechtzeitig bis zum ersten Grand Slam des Jahres impfen ließen, war Ende 2021 noch bei vielen unklar.
Das größte Rätselraten herrschte um den Anführer der Weltrangliste bei den Männern, Novak Djokovic. Der Serbe pochte auf die Privatheit seines Impfstatus. Turnierdirektor Craig Tiley zeigte sich gegenüber dem Sportsender SEN trotzdem zuversichtlich: „Novak hat neunmal die Australian Open gewonnen, und ich bin mir sicher, dass er auf zehn Siege kommen möchte."
Nicht nur das. Es geht um Djokovics 21. Grand-Slam-Titel. Holt sich der 34-Jährige in Melbourne den Siegerpokal, überrundet er Roger Federers und Rafael Nadals Bestmarken. Tritt „Nole" gar nicht erst an, könnte Nadal ihm den Rekord wegschnappen. Gemeldet war der Mann mit den meisten australischen Grand-Slam-Titeln im Dezember. Bestätigt von den Organisatoren. Er selbst hatte noch im November auf die Frage, ob er seinen Titel beim „Happy Slam" verteidigen werde, gesagt: „Wir werden abwarten müssen und es dann sehen."
Daniel Andrews, Premierminister des Bundesstaats Victoria, sah bereits im Oktober klarer: „Dem Virus ist es egal, was Ihr Tennis-Ranking ist oder wie viele Grand Slams Sie gewonnen haben. Sie müssen geimpft sein, um sich selbst und andere zu schützen." Australische Politiker und Organisatoren warben und drängten, dass sich die Profis die Immunisierung holen. Spieler wie Dominic Thiem und Stefanos Tsitsipas zeigten sich einsichtig. Beide hadern mehr mit langwierigen Verletzungen als mit Einreise- und Teilnahmeregelungen.
Keine Privilegien für Sportler
Der Verband Tennis Australia verwies auf die strengen Anforderungen der Gesundheitsbehörden auch für Sportler. Das bedeutet, ein zertifizierter Impfnachweis oder eine – rein medizinische – australische Ausnahmegenehmigung werden für Einreise und Teilnahme verlangt. Keine Privilegien. Für niemanden. Das musste einer besonders spüren: Impfskeptiker Novak Djokovic wurde bei seinem Einreiseversuch am Flughafen von Melbourne von den Grenzbehörden mehrere Stunden befragt und sein Visum letztlich nicht anerkannt. Tennis Australia hatte ursprünglich bestätigt, dass ihm eine medizinische Ausnahmegenehmigung für die Grand-Slam-Teilnahme erteilt worden sei – anonym. Australischen Medien zufolge mangelte es bei Djokovics Einreise jedoch an ausreichenden Gründen, ihn den Standards entsprechend ins Land zu lassen.
Auf Instagram schloss sich der australische Profi Nick Kyrgios dieser Haltung an. Dem beliebten Tennisstar zufolge sei es moralisch nicht richtig, „ungeimpfte Spieler aus Übersee ins Land zu lassen, damit sie die Australian Open spielen". An der Impfhaltung von Nadal, der nach einer Fußverletzung anreisen wollte, herrscht kein Zweifel: „Ich verstehe, dass es Menschen gibt, die sich nicht impfen lassen wollen, aber es kommt mir ein bisschen egoistisch vor", sagte „Rafa" gegenüber der Zeitung „Marca". Der 20-malige Grand-Slam-Sieger fuhr fort: „Wir haben viel gelitten. Wir kennen die Wirkung von Impfstoffen nicht hundertprozentig, aber wir müssen den Ärzten vertrauen." „Schwer getroffen" von der Erfahrung, dass ihre Großmutter mehrere Wochen wegen einer Corona-Infektion auf einer Intensivstation verbracht habe, sagte indes die Kanadierin Bianca Andreescu ihre Teilnahme in Melbouerne ab. Ihr selbst machen immer noch die Folgen ihrer eigenen Erkrankung zu schaffen, die ein Dreivierteljahr zurückliegt.
Die US-Open-Siegerin von 2019 twitterte, dass sie das zurückliegende Jahr mit Quarantäne mental und körperlich stark mitgenommen habe. „Ich habe mich an vielen Tagen nicht wie ich selbst gefühlt, vor allem während des Trainings oder der Spiele. Ich hatte das Gefühl, die ganze Welt auf meinen Schultern zu tragen. Ich konnte mich nicht von allem lösen, was abseits des Spielfeldes vor sich ging."
Die 21-Jährige wird nicht die Letzte sein, die eher unfreiwillig auf ein Grand Slam verzichtet. Auch wenn sie wohl über anderes nachdenkt als über Novak Djokovic.